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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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zu verfolgen, so steht eine Restauration in Aussicht, welche die Hoffnungen Italiens
-- (und Deutschlands) -- vielleicht auf ein Jahrhundert hinaus niederschlägt.
Denn darüber täusche man sich nicht! eine durch Waffengewalt niedergeschlagene
Volkserhebung ist nicht ein Mittel die Volkskraft zu stärken. Die Polen haben sich
1831 wahrhaftig so tapfer geschlagen wie irgend ein andres Volk; die moralische
Erhebung jener Periode hat aber keine Früchte getragen, da sie Physisch unterlag.

Mischt sich Frankreich ein und trägt den Sieg davon, so wird es in Italien
und ganz Europa übermächtig; betheiligt sich ganz Deutschland ohne vorhergehende
Garantien an diesem Kampf, fo erfolgt ein wildes Hazardspiel ohne allen Zweck,
dessen Gewinn Niemand berechnen kann, dessen Verluste aber für uns handgreiflich
und unvermeidlich sind.

Aus allen Diesen Prämissen ziehn wir folgende Resultate. -- Es ist Deutsch¬
lands erstes Interesse, den Conflict zwischen Oestreich und Italien für jetzt zU ver¬
hindern. Es scheint uns nicht unmöglich, wenn sich Preußen nur dazu entschließt,
einen offnen und selbständigen Weg zu verfolgen: wenn es Oestreich deutlich
macht, daß jeder Angriff seinerseits auf Italien auf seine unbedingte Gefahr ge¬
schieht, und wenn es gegen Sardinien dasselbe erklärt. Preußen ist nicht ein über¬
mächtiger Staat, aber mächtig genug, daß diese Erklärung in die Wagschale fällt.
Wir sagten auf jede Gefahr, und meinen damit nicht blos die Gefahr der preußi¬
schen Neutralität.

Wird aber der Krieg von Seiten Italiens begonnen, so würden wir auch hier
die preußische Neutralität für unstatthaft halten. Indem Preußen Oestreich gegen
französische oder russische Einmischung sichert und sich sofort für diese Lage in Be¬
reitschaft setzt, übernimmt es damit den militärischen Oberbefehl in Deutschland und
steckt Oestreich die Grenze fest, innerhalb deren es mit seiner Restauration stehn
bleiben muß.

Dies find unsere Interessen, sie sind glücklicherweise aber auch unsern
Sympathien nicht entgegen. Wir haben Sympathien für die Italiener d. h.
wir haben das Interesse daran, daß in Italien geordnete und Dauer ver¬
sprechende Zustände entstehn. Unsere übrigen Sympathien beziehn sich in letzter
Instanz darauf, daß wir auch in Deutschland feste und geordnete Zustände wünschen.
Ein Krieg zwischen Oestreich und Italien oder ein Krieg zwischen Deutschland und
Frankreich würde im gegenwärtigen Augenblicke diese Ordnung nicht fördern, son¬
dern stören, dagegen ist zu erwarten, daß jedes Jahr der natürliche Verlauf der
Dinge diese Verhältnisse klären und die Ordnung erleichtern wird. Preußen müßte
es sehr künstlich anfangen, wenn es nicht jedes Jahr auf natürlichem Wege einen
Schritt vorwärts kommen sollte; und in Oestreich ist ja auch durch den Reichsrath
ein nicht unbedeutender Schritt zur gegenseitigen Aufklärung und Selbsterkenntniß
geschehn. Nebenbei haben wir gegründete Sympathien für die östreichischen Finan¬
zen und können in unserm eignen Interesse nicht wünschen, daß dieselben durch
einen neuen Krieg vollständig ruinirt werden. Endlich aber- ist der Krieg durchaus
nichl zu vermeiden, so müssen wir ihn in die Hand nehmen und ihn in unserm
5 5 eignen Interesse führen.




zu verfolgen, so steht eine Restauration in Aussicht, welche die Hoffnungen Italiens
— (und Deutschlands) — vielleicht auf ein Jahrhundert hinaus niederschlägt.
Denn darüber täusche man sich nicht! eine durch Waffengewalt niedergeschlagene
Volkserhebung ist nicht ein Mittel die Volkskraft zu stärken. Die Polen haben sich
1831 wahrhaftig so tapfer geschlagen wie irgend ein andres Volk; die moralische
Erhebung jener Periode hat aber keine Früchte getragen, da sie Physisch unterlag.

Mischt sich Frankreich ein und trägt den Sieg davon, so wird es in Italien
und ganz Europa übermächtig; betheiligt sich ganz Deutschland ohne vorhergehende
Garantien an diesem Kampf, fo erfolgt ein wildes Hazardspiel ohne allen Zweck,
dessen Gewinn Niemand berechnen kann, dessen Verluste aber für uns handgreiflich
und unvermeidlich sind.

Aus allen Diesen Prämissen ziehn wir folgende Resultate. — Es ist Deutsch¬
lands erstes Interesse, den Conflict zwischen Oestreich und Italien für jetzt zU ver¬
hindern. Es scheint uns nicht unmöglich, wenn sich Preußen nur dazu entschließt,
einen offnen und selbständigen Weg zu verfolgen: wenn es Oestreich deutlich
macht, daß jeder Angriff seinerseits auf Italien auf seine unbedingte Gefahr ge¬
schieht, und wenn es gegen Sardinien dasselbe erklärt. Preußen ist nicht ein über¬
mächtiger Staat, aber mächtig genug, daß diese Erklärung in die Wagschale fällt.
Wir sagten auf jede Gefahr, und meinen damit nicht blos die Gefahr der preußi¬
schen Neutralität.

Wird aber der Krieg von Seiten Italiens begonnen, so würden wir auch hier
die preußische Neutralität für unstatthaft halten. Indem Preußen Oestreich gegen
französische oder russische Einmischung sichert und sich sofort für diese Lage in Be¬
reitschaft setzt, übernimmt es damit den militärischen Oberbefehl in Deutschland und
steckt Oestreich die Grenze fest, innerhalb deren es mit seiner Restauration stehn
bleiben muß.

Dies find unsere Interessen, sie sind glücklicherweise aber auch unsern
Sympathien nicht entgegen. Wir haben Sympathien für die Italiener d. h.
wir haben das Interesse daran, daß in Italien geordnete und Dauer ver¬
sprechende Zustände entstehn. Unsere übrigen Sympathien beziehn sich in letzter
Instanz darauf, daß wir auch in Deutschland feste und geordnete Zustände wünschen.
Ein Krieg zwischen Oestreich und Italien oder ein Krieg zwischen Deutschland und
Frankreich würde im gegenwärtigen Augenblicke diese Ordnung nicht fördern, son¬
dern stören, dagegen ist zu erwarten, daß jedes Jahr der natürliche Verlauf der
Dinge diese Verhältnisse klären und die Ordnung erleichtern wird. Preußen müßte
es sehr künstlich anfangen, wenn es nicht jedes Jahr auf natürlichem Wege einen
Schritt vorwärts kommen sollte; und in Oestreich ist ja auch durch den Reichsrath
ein nicht unbedeutender Schritt zur gegenseitigen Aufklärung und Selbsterkenntniß
geschehn. Nebenbei haben wir gegründete Sympathien für die östreichischen Finan¬
zen und können in unserm eignen Interesse nicht wünschen, daß dieselben durch
einen neuen Krieg vollständig ruinirt werden. Endlich aber- ist der Krieg durchaus
nichl zu vermeiden, so müssen wir ihn in die Hand nehmen und ihn in unserm
5 5 eignen Interesse führen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/490>, abgerufen am 22.05.2024.