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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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dem Empfange beim Abschiede die Hand gegen sie auf und rief drohend: "Ihr Racker,
auf dem Mont Canis sehe ich euch wieder, den Kopf meines Pferdes gegen Norden."
Solche Politik ist vielleicht in dem Vaterland der Sforza und Macchiavell möglich,
sie ist es nicht in Deutschland. Wir mögen solch kühnes Spiel mit Theilnahme be¬
trachten, aber wir sollen nicht vergessen, daß es ein Spiel ist mit dem Glück, ein
abenteuerliches, gewagtes Spiel, und ein herbes Unrecht gegen das geopferte Volk.
Wir sind keine Italiener, und Preußen hat jede Ursache maßvoller und stolzer zu em¬
pfinden, als Piemont. Denn was nährt dem Deutschen die Sehnsucht nach größerer
politischer Concentration seines Vaterlandes? Ist es der brutale Despotismus elender
Regierungen, welche den Wohlstand ihrer Volker niederhalten, durch wilde Polizei-
Willkür Freiheit und Leben der Individuen unerträglich bedrohen? Ist es ein schlaffes,
kopfloses Mißrcgiment voll abgestandener Traditionen? Sind es fremde, durch das
Ausland aufgedrungene Dynastien, welche dem Volke unheimisch gegenüberstelln? Im
Gegentheil. Fast überall angestammte uralte Fürstenhäuser, sie haben ihre Territo¬
rien durch Jahrhunderte regiert, schlecht und recht, wie grade der Geist der Zeit war,
hier einmal ein Querkopf, ein schlechter Mann, eine elende Wirthschaft, ein andermal
wieder ein guter Landesvater, ein wohlwollendes Herz, ein sorgfältiges Regiment, das
sich nach allen Seiten um das Wohl des Landes bemühte. So weit durch die Zeit,
durch gemeinsame Leiden und Freuden ein Volk mit seinem Fürstenhause verwachsen
kann, sind die Deutschen mit ihren Territoriälhcrrcn verbunden. Sie haben ihnen
manches zu danken, und haben manches für sie gethan; die Opfer, die sie ihnen
gebracht, find so gut ein Band geworden, wie die Gutthaten, die sie empfangen.
Wenn also die Deutschen mit ihrer gegenwärtigen politischen Lage nicht zufrieden
sind, so liegt das doch im Ganzen nicht darin, daß ihre Regierungen die gewöhn¬
lichen Anforderungen, welche der Einzelne an seinen Staat macht, schlecht befriedigen,
sondern darin, daß ihre Regierungen beim besten Willen außer Stande sind einige
hohe politische Anforderungen zu befriedigen. Sie vermögen ihnen nicht die relativ
größte Sicherheit gegen auswärtige Feinde zu geben, sie vermögen der erwerbenden
Kraft des Einzelnen, welche sich in die Weite dehnt, nicht dies relativ weiteste Gebiet
zu.gedeihlicher Thätigkeit zu öffnen, sie vermögen endlich nicht das edelste Selbstgefühl,
den Quell der männlichsten Sittlichkeit, zu fördern, das Gefühl, Bürger eines mäch¬
tigen Staates zu sein, ein Herr der Erde, geehrt und gefürchtet von Fremden, Theil
eines großen, lebendigen Ganzen. Es ist von Haus aus gar nicht ihre Schuld, daß
sie das nicht vermögen. Und das Begehren des deutschen Volkes geht nicht gegen
sie, sondern über sie hinaus.

Wie sich der Regent von Preußen zu dieser Sehnsucht der deutschen Nation
? stellt, soll Gegenstand der nächsten Betrachtung sein.




dem Empfange beim Abschiede die Hand gegen sie auf und rief drohend: „Ihr Racker,
auf dem Mont Canis sehe ich euch wieder, den Kopf meines Pferdes gegen Norden."
Solche Politik ist vielleicht in dem Vaterland der Sforza und Macchiavell möglich,
sie ist es nicht in Deutschland. Wir mögen solch kühnes Spiel mit Theilnahme be¬
trachten, aber wir sollen nicht vergessen, daß es ein Spiel ist mit dem Glück, ein
abenteuerliches, gewagtes Spiel, und ein herbes Unrecht gegen das geopferte Volk.
Wir sind keine Italiener, und Preußen hat jede Ursache maßvoller und stolzer zu em¬
pfinden, als Piemont. Denn was nährt dem Deutschen die Sehnsucht nach größerer
politischer Concentration seines Vaterlandes? Ist es der brutale Despotismus elender
Regierungen, welche den Wohlstand ihrer Volker niederhalten, durch wilde Polizei-
Willkür Freiheit und Leben der Individuen unerträglich bedrohen? Ist es ein schlaffes,
kopfloses Mißrcgiment voll abgestandener Traditionen? Sind es fremde, durch das
Ausland aufgedrungene Dynastien, welche dem Volke unheimisch gegenüberstelln? Im
Gegentheil. Fast überall angestammte uralte Fürstenhäuser, sie haben ihre Territo¬
rien durch Jahrhunderte regiert, schlecht und recht, wie grade der Geist der Zeit war,
hier einmal ein Querkopf, ein schlechter Mann, eine elende Wirthschaft, ein andermal
wieder ein guter Landesvater, ein wohlwollendes Herz, ein sorgfältiges Regiment, das
sich nach allen Seiten um das Wohl des Landes bemühte. So weit durch die Zeit,
durch gemeinsame Leiden und Freuden ein Volk mit seinem Fürstenhause verwachsen
kann, sind die Deutschen mit ihren Territoriälhcrrcn verbunden. Sie haben ihnen
manches zu danken, und haben manches für sie gethan; die Opfer, die sie ihnen
gebracht, find so gut ein Band geworden, wie die Gutthaten, die sie empfangen.
Wenn also die Deutschen mit ihrer gegenwärtigen politischen Lage nicht zufrieden
sind, so liegt das doch im Ganzen nicht darin, daß ihre Regierungen die gewöhn¬
lichen Anforderungen, welche der Einzelne an seinen Staat macht, schlecht befriedigen,
sondern darin, daß ihre Regierungen beim besten Willen außer Stande sind einige
hohe politische Anforderungen zu befriedigen. Sie vermögen ihnen nicht die relativ
größte Sicherheit gegen auswärtige Feinde zu geben, sie vermögen der erwerbenden
Kraft des Einzelnen, welche sich in die Weite dehnt, nicht dies relativ weiteste Gebiet
zu.gedeihlicher Thätigkeit zu öffnen, sie vermögen endlich nicht das edelste Selbstgefühl,
den Quell der männlichsten Sittlichkeit, zu fördern, das Gefühl, Bürger eines mäch¬
tigen Staates zu sein, ein Herr der Erde, geehrt und gefürchtet von Fremden, Theil
eines großen, lebendigen Ganzen. Es ist von Haus aus gar nicht ihre Schuld, daß
sie das nicht vermögen. Und das Begehren des deutschen Volkes geht nicht gegen
sie, sondern über sie hinaus.

Wie sich der Regent von Preußen zu dieser Sehnsucht der deutschen Nation
? stellt, soll Gegenstand der nächsten Betrachtung sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/90>, abgerufen am 21.05.2024.