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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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Zeit wieder viel an ihren Karl IV., die Hussitenzeiten. Georg von Pvdiebrcid
und die Schlacht auf dem weißen Berge zurück!

Auch in den übrigen Ländern wurde die schon seit längerer Zeit gäh-
rende Unzufriedenheit durch die Geschenke des 20. October nicht beschwichtigt,
sondern eher verwehrt, da wan billig erstaunt war, warum den Ungarn eine
fast ungemessene Freiheit, den übrigen Ländern eine höchst beschränkte Begün¬
stigung zu Theil' geworden war.

So hätte denn das Bestehen des Gesammtstaates bei der Bevölkerung
Oestreichs nur auf geringe Sympathien und auf eine noch geringere that¬
kräftige Unterstützung zu zählen. Anders verhielt sich's früher bei der Armee
und verhält sich's bei derselben zum Theile noch. Zwar kennt auch sie keinen
eigentlichen Patriotismus, aber desto fester ist sie der Dynastie zugethan, so
daß die letztere selbst in den verzweifeltsten Lagen immer auf die Unterstützung
wenigstens des größten Theiles ihrer Truppen mit Sicherheit zählen konnte.

Ob dieses Verhältniß noch gegenwärtig allenthalben besteht, dürfte
zweifelhaft erscheinen, da in den letzten Jahren auf das östreichische Hee¬
reswesen zu viele nachtheilige Einflüsse eingewirkt haben. Was demun-
geachtet noch Gutes verbliebe" war, ist allem Anscheine nach durch den
letzten Krieg in Italien, noch mehr aber durch die Folgen desselben vielfach
geschwächt und zerstört worden, und der Geist, welcher unter dem alten Ra-
detzky jeden Einzelnen vom Feldherrn bis zum letzten Trainsoldaten herab be¬
seelte, ist sicher nicht mehr vorhanden.

Es ist behauptet worden, daß man seit 1849 in der obersten Sphäre nur
für das Kriegswesen Sinn und Aufmerksamkeit gehabt und demnach die Ar¬
mee vor allen andern Zweigen des Staatswesens bevorzugt hätte. Das ist
wahr. Aber die ganze militärische Thätigkeit dieser Sphäre war eigentlich
nichts Anderes als ein großartiges Soldatenspiel. Das Ezerziren und Para¬
diren, die Ausführung von meist nach kopflosen Jnstructionen angelegten Ma-
noeuvres, die Feststellung der bis auf die lächerlichsten Kleinigkeiten eingehen¬
den Bestimmungen über Adjüstirung, Ehrenbezeugungen, Kaserncndienst und
endlich eine bis ins Ungeheuerliche getriebene Controle der Administration,
solche und ähnliche Dinge waren es, denen man seine Aufmerksamkeit fast allein
widmete. Allerdings opferte man auf diese Weise den größten Theil seiner
Zeit und Thätigkeit der Armee, doch wußte dieselbe hiefür nur geringen
Dank. Wenn früher, zumal vom Kaiser Ferdinand, die Entscheidung von
Angelegenheiten, die eigentlich nur der Anordnung des Monarchen zugestan¬
den hätten, häufig mit den Worten: "Machen Sie das nach Ihrer Einsicht,
Sie verstehen das besser und haben ja mir immer treu gedient/' an einen
alten erfahrenen General übertragen worden war: so wollte man jetzt Alles
selbst anordne" und entscheiden. Dies ging bald so wett, daß selbst die er-


Zeit wieder viel an ihren Karl IV., die Hussitenzeiten. Georg von Pvdiebrcid
und die Schlacht auf dem weißen Berge zurück!

Auch in den übrigen Ländern wurde die schon seit längerer Zeit gäh-
rende Unzufriedenheit durch die Geschenke des 20. October nicht beschwichtigt,
sondern eher verwehrt, da wan billig erstaunt war, warum den Ungarn eine
fast ungemessene Freiheit, den übrigen Ländern eine höchst beschränkte Begün¬
stigung zu Theil' geworden war.

So hätte denn das Bestehen des Gesammtstaates bei der Bevölkerung
Oestreichs nur auf geringe Sympathien und auf eine noch geringere that¬
kräftige Unterstützung zu zählen. Anders verhielt sich's früher bei der Armee
und verhält sich's bei derselben zum Theile noch. Zwar kennt auch sie keinen
eigentlichen Patriotismus, aber desto fester ist sie der Dynastie zugethan, so
daß die letztere selbst in den verzweifeltsten Lagen immer auf die Unterstützung
wenigstens des größten Theiles ihrer Truppen mit Sicherheit zählen konnte.

Ob dieses Verhältniß noch gegenwärtig allenthalben besteht, dürfte
zweifelhaft erscheinen, da in den letzten Jahren auf das östreichische Hee¬
reswesen zu viele nachtheilige Einflüsse eingewirkt haben. Was demun-
geachtet noch Gutes verbliebe» war, ist allem Anscheine nach durch den
letzten Krieg in Italien, noch mehr aber durch die Folgen desselben vielfach
geschwächt und zerstört worden, und der Geist, welcher unter dem alten Ra-
detzky jeden Einzelnen vom Feldherrn bis zum letzten Trainsoldaten herab be¬
seelte, ist sicher nicht mehr vorhanden.

Es ist behauptet worden, daß man seit 1849 in der obersten Sphäre nur
für das Kriegswesen Sinn und Aufmerksamkeit gehabt und demnach die Ar¬
mee vor allen andern Zweigen des Staatswesens bevorzugt hätte. Das ist
wahr. Aber die ganze militärische Thätigkeit dieser Sphäre war eigentlich
nichts Anderes als ein großartiges Soldatenspiel. Das Ezerziren und Para¬
diren, die Ausführung von meist nach kopflosen Jnstructionen angelegten Ma-
noeuvres, die Feststellung der bis auf die lächerlichsten Kleinigkeiten eingehen¬
den Bestimmungen über Adjüstirung, Ehrenbezeugungen, Kaserncndienst und
endlich eine bis ins Ungeheuerliche getriebene Controle der Administration,
solche und ähnliche Dinge waren es, denen man seine Aufmerksamkeit fast allein
widmete. Allerdings opferte man auf diese Weise den größten Theil seiner
Zeit und Thätigkeit der Armee, doch wußte dieselbe hiefür nur geringen
Dank. Wenn früher, zumal vom Kaiser Ferdinand, die Entscheidung von
Angelegenheiten, die eigentlich nur der Anordnung des Monarchen zugestan¬
den hätten, häufig mit den Worten: „Machen Sie das nach Ihrer Einsicht,
Sie verstehen das besser und haben ja mir immer treu gedient/' an einen
alten erfahrenen General übertragen worden war: so wollte man jetzt Alles
selbst anordne» und entscheiden. Dies ging bald so wett, daß selbst die er-


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[0172] Zeit wieder viel an ihren Karl IV., die Hussitenzeiten. Georg von Pvdiebrcid und die Schlacht auf dem weißen Berge zurück! Auch in den übrigen Ländern wurde die schon seit längerer Zeit gäh- rende Unzufriedenheit durch die Geschenke des 20. October nicht beschwichtigt, sondern eher verwehrt, da wan billig erstaunt war, warum den Ungarn eine fast ungemessene Freiheit, den übrigen Ländern eine höchst beschränkte Begün¬ stigung zu Theil' geworden war. So hätte denn das Bestehen des Gesammtstaates bei der Bevölkerung Oestreichs nur auf geringe Sympathien und auf eine noch geringere that¬ kräftige Unterstützung zu zählen. Anders verhielt sich's früher bei der Armee und verhält sich's bei derselben zum Theile noch. Zwar kennt auch sie keinen eigentlichen Patriotismus, aber desto fester ist sie der Dynastie zugethan, so daß die letztere selbst in den verzweifeltsten Lagen immer auf die Unterstützung wenigstens des größten Theiles ihrer Truppen mit Sicherheit zählen konnte. Ob dieses Verhältniß noch gegenwärtig allenthalben besteht, dürfte zweifelhaft erscheinen, da in den letzten Jahren auf das östreichische Hee¬ reswesen zu viele nachtheilige Einflüsse eingewirkt haben. Was demun- geachtet noch Gutes verbliebe» war, ist allem Anscheine nach durch den letzten Krieg in Italien, noch mehr aber durch die Folgen desselben vielfach geschwächt und zerstört worden, und der Geist, welcher unter dem alten Ra- detzky jeden Einzelnen vom Feldherrn bis zum letzten Trainsoldaten herab be¬ seelte, ist sicher nicht mehr vorhanden. Es ist behauptet worden, daß man seit 1849 in der obersten Sphäre nur für das Kriegswesen Sinn und Aufmerksamkeit gehabt und demnach die Ar¬ mee vor allen andern Zweigen des Staatswesens bevorzugt hätte. Das ist wahr. Aber die ganze militärische Thätigkeit dieser Sphäre war eigentlich nichts Anderes als ein großartiges Soldatenspiel. Das Ezerziren und Para¬ diren, die Ausführung von meist nach kopflosen Jnstructionen angelegten Ma- noeuvres, die Feststellung der bis auf die lächerlichsten Kleinigkeiten eingehen¬ den Bestimmungen über Adjüstirung, Ehrenbezeugungen, Kaserncndienst und endlich eine bis ins Ungeheuerliche getriebene Controle der Administration, solche und ähnliche Dinge waren es, denen man seine Aufmerksamkeit fast allein widmete. Allerdings opferte man auf diese Weise den größten Theil seiner Zeit und Thätigkeit der Armee, doch wußte dieselbe hiefür nur geringen Dank. Wenn früher, zumal vom Kaiser Ferdinand, die Entscheidung von Angelegenheiten, die eigentlich nur der Anordnung des Monarchen zugestan¬ den hätten, häufig mit den Worten: „Machen Sie das nach Ihrer Einsicht, Sie verstehen das besser und haben ja mir immer treu gedient/' an einen alten erfahrenen General übertragen worden war: so wollte man jetzt Alles selbst anordne» und entscheiden. Dies ging bald so wett, daß selbst die er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/172>, abgerufen am 24.05.2024.