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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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deshalb geeignet sei, daß sich alle Feinde der Demokratie um sie scharrten.
Nachdem ihm das Bündniß dieser Parteien Gelegenheit gegeben, das Militär
vollständig für sich zu gewinnen, nahm er dnrch einen Gewaltstreich den Thron.
Alle Parteien, oder, was in den Resten des constitutionellen Frankreich dasselbe
sagen wollte, alle Männer von Ansehen zogen sich von ihm zurück und bilde¬
ten eine Fronde, die ihm höchst gefährlich werden konnte, wenn es ihm nicht
gelang, das lebhafte und ehrgeizige Volk anderweitig zu beschäftigen. Er
hatte fast keine andern Werkzeuge als die Abenteurer, die mit ihm das Ha-
zcirdspiel unternommen, und das einzige Mittel sich zu behaupten, war rück¬
sichtsloser Despotismus.

Europa urtheilte ganz richtig, wenn es der Ueberzeugung war, die Be¬
hauptung der Gewalt sei sein höchster, sein einziger Zweck, und er werde
vor keinem Mittel zurückschrecken, das er für nothwendig hielt. Aber Europa
urtheilte sehr voreilig, wenn es meinte, er habe eine besondere Vorliebe für
diejenigen Mittel, deren er sich augenblicklich bediente, und er werde keine
andern finden können.

Sein erster Schritt war. sich in der Reihe der europäischen Mächte An-
sehn zu verschaffen. Durch den orientalischen Krieg erhob sich der Parvenu,
mit dem man kaum verkehren mochte, in wenig Jahren zum ersten Fürsten
Europas, und die Franzosen konnten stolz darauf sein, einem so angesehenen,
so gefürchteten Herrn zu dienen. Der Sturz der Julidynastie hatte seinen
Hauptgrund darin, daß der Bürgerkönig kein Ansehen in Europa besaß.

Europa urtheilte sehr richtig, als es in einem System, welches die Fort¬
dauer der Herrschaft aus den Kriegsruhm gründete, eine große Gefahr für
sich sah. Aber es war voreilig, anzunehmen, daß Napoleon damit seinen
letzten Trumpf ausgespielt haben sollte. Es war voreilig, in dem italienischen
Feldzug nichts weiter zu sehen, als ein neues circensischcs Spiel für die Fran¬
zosen; es war voreilig, das Princip der Nationalität für ein leeres Stichwort
anzunehmen; es war voreilig, die liberalen Verordnungen des letzten Jahres
zu verspotten. ,

Die französische Armee ist eine furchtbare Waffe für einen ehrgeizigen
Herrscher, und Napoleon hat alles Mögliche gethan, um sie noch furchtbarer
Zu machen: aber es gibt eine noch furchtbarere Waffe gegen das alternde
Europa, die Principien von 1789! Man beruhige sich doch nicht zu vorschnell
bei dem Glauben, daß diese mit dem Bonapartismus sich niemals vereinigen
könnten.

Wir fürchten nicht, mißverstanden zu werden. Wenn es darauf ankommt,
Zwischen seiner Herrschaft und irgend einem politischen Princip zu wählen, so
würde Napoleon keinen Augenblick Anstand nehmen. In den ersten Jahren
seiner Macht hätte die Discussion sein Reich getödtet, nur durch den Schrecken


G,rmzbotm I. 1861. 55

deshalb geeignet sei, daß sich alle Feinde der Demokratie um sie scharrten.
Nachdem ihm das Bündniß dieser Parteien Gelegenheit gegeben, das Militär
vollständig für sich zu gewinnen, nahm er dnrch einen Gewaltstreich den Thron.
Alle Parteien, oder, was in den Resten des constitutionellen Frankreich dasselbe
sagen wollte, alle Männer von Ansehen zogen sich von ihm zurück und bilde¬
ten eine Fronde, die ihm höchst gefährlich werden konnte, wenn es ihm nicht
gelang, das lebhafte und ehrgeizige Volk anderweitig zu beschäftigen. Er
hatte fast keine andern Werkzeuge als die Abenteurer, die mit ihm das Ha-
zcirdspiel unternommen, und das einzige Mittel sich zu behaupten, war rück¬
sichtsloser Despotismus.

Europa urtheilte ganz richtig, wenn es der Ueberzeugung war, die Be¬
hauptung der Gewalt sei sein höchster, sein einziger Zweck, und er werde
vor keinem Mittel zurückschrecken, das er für nothwendig hielt. Aber Europa
urtheilte sehr voreilig, wenn es meinte, er habe eine besondere Vorliebe für
diejenigen Mittel, deren er sich augenblicklich bediente, und er werde keine
andern finden können.

Sein erster Schritt war. sich in der Reihe der europäischen Mächte An-
sehn zu verschaffen. Durch den orientalischen Krieg erhob sich der Parvenu,
mit dem man kaum verkehren mochte, in wenig Jahren zum ersten Fürsten
Europas, und die Franzosen konnten stolz darauf sein, einem so angesehenen,
so gefürchteten Herrn zu dienen. Der Sturz der Julidynastie hatte seinen
Hauptgrund darin, daß der Bürgerkönig kein Ansehen in Europa besaß.

Europa urtheilte sehr richtig, als es in einem System, welches die Fort¬
dauer der Herrschaft aus den Kriegsruhm gründete, eine große Gefahr für
sich sah. Aber es war voreilig, anzunehmen, daß Napoleon damit seinen
letzten Trumpf ausgespielt haben sollte. Es war voreilig, in dem italienischen
Feldzug nichts weiter zu sehen, als ein neues circensischcs Spiel für die Fran¬
zosen; es war voreilig, das Princip der Nationalität für ein leeres Stichwort
anzunehmen; es war voreilig, die liberalen Verordnungen des letzten Jahres
zu verspotten. ,

Die französische Armee ist eine furchtbare Waffe für einen ehrgeizigen
Herrscher, und Napoleon hat alles Mögliche gethan, um sie noch furchtbarer
Zu machen: aber es gibt eine noch furchtbarere Waffe gegen das alternde
Europa, die Principien von 1789! Man beruhige sich doch nicht zu vorschnell
bei dem Glauben, daß diese mit dem Bonapartismus sich niemals vereinigen
könnten.

Wir fürchten nicht, mißverstanden zu werden. Wenn es darauf ankommt,
Zwischen seiner Herrschaft und irgend einem politischen Princip zu wählen, so
würde Napoleon keinen Augenblick Anstand nehmen. In den ersten Jahren
seiner Macht hätte die Discussion sein Reich getödtet, nur durch den Schrecken


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[0443] deshalb geeignet sei, daß sich alle Feinde der Demokratie um sie scharrten. Nachdem ihm das Bündniß dieser Parteien Gelegenheit gegeben, das Militär vollständig für sich zu gewinnen, nahm er dnrch einen Gewaltstreich den Thron. Alle Parteien, oder, was in den Resten des constitutionellen Frankreich dasselbe sagen wollte, alle Männer von Ansehen zogen sich von ihm zurück und bilde¬ ten eine Fronde, die ihm höchst gefährlich werden konnte, wenn es ihm nicht gelang, das lebhafte und ehrgeizige Volk anderweitig zu beschäftigen. Er hatte fast keine andern Werkzeuge als die Abenteurer, die mit ihm das Ha- zcirdspiel unternommen, und das einzige Mittel sich zu behaupten, war rück¬ sichtsloser Despotismus. Europa urtheilte ganz richtig, wenn es der Ueberzeugung war, die Be¬ hauptung der Gewalt sei sein höchster, sein einziger Zweck, und er werde vor keinem Mittel zurückschrecken, das er für nothwendig hielt. Aber Europa urtheilte sehr voreilig, wenn es meinte, er habe eine besondere Vorliebe für diejenigen Mittel, deren er sich augenblicklich bediente, und er werde keine andern finden können. Sein erster Schritt war. sich in der Reihe der europäischen Mächte An- sehn zu verschaffen. Durch den orientalischen Krieg erhob sich der Parvenu, mit dem man kaum verkehren mochte, in wenig Jahren zum ersten Fürsten Europas, und die Franzosen konnten stolz darauf sein, einem so angesehenen, so gefürchteten Herrn zu dienen. Der Sturz der Julidynastie hatte seinen Hauptgrund darin, daß der Bürgerkönig kein Ansehen in Europa besaß. Europa urtheilte sehr richtig, als es in einem System, welches die Fort¬ dauer der Herrschaft aus den Kriegsruhm gründete, eine große Gefahr für sich sah. Aber es war voreilig, anzunehmen, daß Napoleon damit seinen letzten Trumpf ausgespielt haben sollte. Es war voreilig, in dem italienischen Feldzug nichts weiter zu sehen, als ein neues circensischcs Spiel für die Fran¬ zosen; es war voreilig, das Princip der Nationalität für ein leeres Stichwort anzunehmen; es war voreilig, die liberalen Verordnungen des letzten Jahres zu verspotten. , Die französische Armee ist eine furchtbare Waffe für einen ehrgeizigen Herrscher, und Napoleon hat alles Mögliche gethan, um sie noch furchtbarer Zu machen: aber es gibt eine noch furchtbarere Waffe gegen das alternde Europa, die Principien von 1789! Man beruhige sich doch nicht zu vorschnell bei dem Glauben, daß diese mit dem Bonapartismus sich niemals vereinigen könnten. Wir fürchten nicht, mißverstanden zu werden. Wenn es darauf ankommt, Zwischen seiner Herrschaft und irgend einem politischen Princip zu wählen, so würde Napoleon keinen Augenblick Anstand nehmen. In den ersten Jahren seiner Macht hätte die Discussion sein Reich getödtet, nur durch den Schrecken G,rmzbotm I. 1861. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/443>, abgerufen am 24.05.2024.