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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band.

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konnte er es behaupten. Wie aber, wenn er sich jetzt stark genug fühlte, die
Discussion nicht mehr zu fürchten? Wie, wenn er kühn genug wäre, die Dis¬
kussion und mit ihr Frankreich zu beherrschen?

Obgleich die parlamentarische Freiheit erst ein paar Monate alt ist, sind
die Debatten des französischen Senats bedeutend lebhafter als die Debatten
in mancher altehrwürdigen Ständeversammlung -- z. B. in der zu Dresden.
Es ist ein heißer Kampf, die Gegensätze sprechen sich ganz unumwunden aus,
und, was das Wunderbarste ist, ein kaiserlicher Prinz tritt an die Spitze der
Fortschrittspartei! Man hat sich im Kaiser Napoleon geirrt; wie wäre es,
wenn man sich auch in seinem Vetter geirrt hätte?

Nehmen wir die Rede des Prinzen an sich, und abstrahiren von dem,
der sie gehalten, so werden wir gewiß manche Ausdrücke frivol und unparla¬
mentarisch finden, wir werden aber doch eine bestimmte, zusammenhängende
und recht energische Anschauung darin erkennen; wir werden dieselben Ideen
wiederfinden, die vor noch nicht langer Zeit manches Herz höher schlagen
machten; Ideen, die einer Wirklichkeit entsprechen. -- Aber, wird man sagen,
es ist ja nur ein Betrug! -- Vielleicht; aber man kann auch durch die Wahr¬
heit betrügen! --Der Zweck der napoleoniden ist, Frankreich zu beherrschen;
vielleicht halten sie es jetzt aber für das beste Mittel zu diesem Zweck, offen
die Tricolore aufzustecken. -- Vielleicht denken die napoleoniden größer als
die Republikaner in Glacehandschuhen, größer als die Herren Bastide und
Lamartine, die Frankreichs Untergang prophezeihten, wenn ein unabhängiges
Italien daneben entstände. Napoleon hat ein größeres Zutrauen in Frankreichs
Stärke, er hat bereits ein recht stattliches Italien geschaffen, und, wie die
Sachen jetzt stehen, zweifeln wir keinen Augenblick daran, daß er ihm auch die
Hauptstadt geben wird.

Denn der Krieg gegen den Papst und den Ultramontanismus ist erklärt,
so offen, wie je in der Weltgeschichte ein Krieg erklärt war. Einzelne stu¬
dentische Ausdrücke des Prinzen mögen die Minister mißbilligen, in der Haupt¬
sache haben sie dasselbe gesagt, und der Bischof von Poitiers -- dessen Be¬
redsamkeit wir übrigens volle Gerechtigkeit widerfahren lassen -- hat mit
seinem biblischen Vergleich den Nagel auf den Kopf getroffen. Louis Napo¬
leon hat den Ultramontanismus als Mittel benutzt, die Republik zu besiegen:
jetzt kann er von ihm nichts weiter erwarten, und die Versöhnung ist un¬
möglich geworden. Er bedarf aber eines geistigen Princips, um seine ma¬
terielle Macht zu beleben, und nur das Princip von 1789 ist dem Ultramon-
tanismus gewachsen.

Vielleicht wird noch in diesem Jahr Rom die Hauptstadt des neuen Ita¬
lien. Die öffentliche Meinung in England ist entschieden dafür; wie sehr Ru߬
land geneigt, ist, sich den Ansichten Napoleons unterzuordnen, zeigen die De-


konnte er es behaupten. Wie aber, wenn er sich jetzt stark genug fühlte, die
Discussion nicht mehr zu fürchten? Wie, wenn er kühn genug wäre, die Dis¬
kussion und mit ihr Frankreich zu beherrschen?

Obgleich die parlamentarische Freiheit erst ein paar Monate alt ist, sind
die Debatten des französischen Senats bedeutend lebhafter als die Debatten
in mancher altehrwürdigen Ständeversammlung — z. B. in der zu Dresden.
Es ist ein heißer Kampf, die Gegensätze sprechen sich ganz unumwunden aus,
und, was das Wunderbarste ist, ein kaiserlicher Prinz tritt an die Spitze der
Fortschrittspartei! Man hat sich im Kaiser Napoleon geirrt; wie wäre es,
wenn man sich auch in seinem Vetter geirrt hätte?

Nehmen wir die Rede des Prinzen an sich, und abstrahiren von dem,
der sie gehalten, so werden wir gewiß manche Ausdrücke frivol und unparla¬
mentarisch finden, wir werden aber doch eine bestimmte, zusammenhängende
und recht energische Anschauung darin erkennen; wir werden dieselben Ideen
wiederfinden, die vor noch nicht langer Zeit manches Herz höher schlagen
machten; Ideen, die einer Wirklichkeit entsprechen. — Aber, wird man sagen,
es ist ja nur ein Betrug! — Vielleicht; aber man kann auch durch die Wahr¬
heit betrügen! —Der Zweck der napoleoniden ist, Frankreich zu beherrschen;
vielleicht halten sie es jetzt aber für das beste Mittel zu diesem Zweck, offen
die Tricolore aufzustecken. — Vielleicht denken die napoleoniden größer als
die Republikaner in Glacehandschuhen, größer als die Herren Bastide und
Lamartine, die Frankreichs Untergang prophezeihten, wenn ein unabhängiges
Italien daneben entstände. Napoleon hat ein größeres Zutrauen in Frankreichs
Stärke, er hat bereits ein recht stattliches Italien geschaffen, und, wie die
Sachen jetzt stehen, zweifeln wir keinen Augenblick daran, daß er ihm auch die
Hauptstadt geben wird.

Denn der Krieg gegen den Papst und den Ultramontanismus ist erklärt,
so offen, wie je in der Weltgeschichte ein Krieg erklärt war. Einzelne stu¬
dentische Ausdrücke des Prinzen mögen die Minister mißbilligen, in der Haupt¬
sache haben sie dasselbe gesagt, und der Bischof von Poitiers — dessen Be¬
redsamkeit wir übrigens volle Gerechtigkeit widerfahren lassen — hat mit
seinem biblischen Vergleich den Nagel auf den Kopf getroffen. Louis Napo¬
leon hat den Ultramontanismus als Mittel benutzt, die Republik zu besiegen:
jetzt kann er von ihm nichts weiter erwarten, und die Versöhnung ist un¬
möglich geworden. Er bedarf aber eines geistigen Princips, um seine ma¬
terielle Macht zu beleben, und nur das Princip von 1789 ist dem Ultramon-
tanismus gewachsen.

Vielleicht wird noch in diesem Jahr Rom die Hauptstadt des neuen Ita¬
lien. Die öffentliche Meinung in England ist entschieden dafür; wie sehr Ru߬
land geneigt, ist, sich den Ansichten Napoleons unterzuordnen, zeigen die De-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_110893/444>, abgerufen am 17.06.2024.