Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stark genug ist, um erhabene Wirkungen, gewaltige Conflicte möglich zu machen,
so ist die dramatische Bewegung derselben in einzelnen Scenen doch knapp,
weise und höchst bühnengerechf, namentlich ist die Composition seiner Dialoge
bewundernswerth, und dem Anfänger ist sehr lehrreich, sich ihren Bau zu zer¬
legen, z. B. die Gespräche des Carlos im Clavigo. Denn es sind die Sce¬
nen, welche zwischen zwei Personen verlaufen, das Schönste in den Dramen
Goethes; Lessing weiß auch drei Charaktere in leidenschaftlichem Gegenspiel
mit höchster Wirkung zu beschäftigen; Schiller aber beherrscht souverän eine
große Zahl auf der Bühne.

Die Methode der Charakterentwicklung ist bei Schiller in der Jugend
sehr anders, als in den Jahren seiner Reife. Es ist ein großer Fort¬
schritt, aber er ist auch nicht ganz ohne Einbuße. Von der Empfindungs-
weise schöner Seelen, welche er in den Räubern ins Ungeheuerliche, später ins
Heldenhafte erhob, bis zu einer, dem Shakespeare ähnlichen festen Geschlossen¬
heit der Charaktere im Demetrius, welche Umwandlung! Durch mehr als ein
halbes Jahrhundert hat Pracht und Adel der Charaktere Schillers die deutsche
Bühne beherrscht, und lange haben die schwachen Nachahmer seines Styls
nicht verstanden, daß die Fülle seiner Diction nur deshalb so große Wirkungen
hervorbrachte, weil unter ihr ein Reichthum von dramatischem Detail, wie unter
einer Vergoldung bedeckt liegt. Das kräftige Leben der Personen ist bereits
in seinen ersten Stücken sehr auffallend, ja es hat in Kabale und Liebe so
bedeutenden Ausdruck gewonnen, daß nach dieser Richtung in den späteren
Werken nicht immer ein Fortschritt sichtbar wird. Dem Verse und höheren
Styl hat er wenigstens die markige Kürze, den bühncngemäßen Ausdruck der
Leidenschaft, manche Rücksicht auf die Darsteller nachgesetzt. Immer voller
und beredter wurde ihm der Ausdruck der Empfindungen durch die Sprache.
Auch seine Charaktere -- am meisten die reichlich ausgeführten -- haben
jene charakteristische Eigenschaft seiner Zeit, ihr Denken und Empfinden dem
Hörer in jedem Moment der Handlung eindringlich zu berichten. Und sie
thun es in der Weise hochgebildeter und beschaulicher Naturen, denn an die
leidenschaftlichste Empfindung hängt sich ihnen sofort ein schönes, oft ausge¬
führtes Bild, und der Stimmung, welche so aus ihrem Innern heraustönt,
folgt eine Reflexion -- wie wir alle wissen, oft von wunderbarer Schönheit
--. durch welche die sittlichen Grundlagen des aufgeregten Gefühls klar ge-,
macht werden, und die Befangenheit der Situation in einer Erhebung aus
höheren Standpunkt wenigstens für Augenblicke aufgehoben erscheint. Es ist
offenbar, daß solche Methode des dramatischen Schaffens der Darstellung starker
Leidenschaften im Allgemeinen nicht günstig ist, und sie wird sicher in irgend einer
Zukunft unseren Nachkommen höchst seltsam erscheinen, aber ebenso sicher ist, daß
sie die Methode zu empfinden, welche den gebildeten Deutschen am Ende des


stark genug ist, um erhabene Wirkungen, gewaltige Conflicte möglich zu machen,
so ist die dramatische Bewegung derselben in einzelnen Scenen doch knapp,
weise und höchst bühnengerechf, namentlich ist die Composition seiner Dialoge
bewundernswerth, und dem Anfänger ist sehr lehrreich, sich ihren Bau zu zer¬
legen, z. B. die Gespräche des Carlos im Clavigo. Denn es sind die Sce¬
nen, welche zwischen zwei Personen verlaufen, das Schönste in den Dramen
Goethes; Lessing weiß auch drei Charaktere in leidenschaftlichem Gegenspiel
mit höchster Wirkung zu beschäftigen; Schiller aber beherrscht souverän eine
große Zahl auf der Bühne.

Die Methode der Charakterentwicklung ist bei Schiller in der Jugend
sehr anders, als in den Jahren seiner Reife. Es ist ein großer Fort¬
schritt, aber er ist auch nicht ganz ohne Einbuße. Von der Empfindungs-
weise schöner Seelen, welche er in den Räubern ins Ungeheuerliche, später ins
Heldenhafte erhob, bis zu einer, dem Shakespeare ähnlichen festen Geschlossen¬
heit der Charaktere im Demetrius, welche Umwandlung! Durch mehr als ein
halbes Jahrhundert hat Pracht und Adel der Charaktere Schillers die deutsche
Bühne beherrscht, und lange haben die schwachen Nachahmer seines Styls
nicht verstanden, daß die Fülle seiner Diction nur deshalb so große Wirkungen
hervorbrachte, weil unter ihr ein Reichthum von dramatischem Detail, wie unter
einer Vergoldung bedeckt liegt. Das kräftige Leben der Personen ist bereits
in seinen ersten Stücken sehr auffallend, ja es hat in Kabale und Liebe so
bedeutenden Ausdruck gewonnen, daß nach dieser Richtung in den späteren
Werken nicht immer ein Fortschritt sichtbar wird. Dem Verse und höheren
Styl hat er wenigstens die markige Kürze, den bühncngemäßen Ausdruck der
Leidenschaft, manche Rücksicht auf die Darsteller nachgesetzt. Immer voller
und beredter wurde ihm der Ausdruck der Empfindungen durch die Sprache.
Auch seine Charaktere — am meisten die reichlich ausgeführten — haben
jene charakteristische Eigenschaft seiner Zeit, ihr Denken und Empfinden dem
Hörer in jedem Moment der Handlung eindringlich zu berichten. Und sie
thun es in der Weise hochgebildeter und beschaulicher Naturen, denn an die
leidenschaftlichste Empfindung hängt sich ihnen sofort ein schönes, oft ausge¬
führtes Bild, und der Stimmung, welche so aus ihrem Innern heraustönt,
folgt eine Reflexion — wie wir alle wissen, oft von wunderbarer Schönheit
—. durch welche die sittlichen Grundlagen des aufgeregten Gefühls klar ge-,
macht werden, und die Befangenheit der Situation in einer Erhebung aus
höheren Standpunkt wenigstens für Augenblicke aufgehoben erscheint. Es ist
offenbar, daß solche Methode des dramatischen Schaffens der Darstellung starker
Leidenschaften im Allgemeinen nicht günstig ist, und sie wird sicher in irgend einer
Zukunft unseren Nachkommen höchst seltsam erscheinen, aber ebenso sicher ist, daß
sie die Methode zu empfinden, welche den gebildeten Deutschen am Ende des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111588"/>
            <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> stark genug ist, um erhabene Wirkungen, gewaltige Conflicte möglich zu machen,<lb/>
so ist die dramatische Bewegung derselben in einzelnen Scenen doch knapp,<lb/>
weise und höchst bühnengerechf, namentlich ist die Composition seiner Dialoge<lb/>
bewundernswerth, und dem Anfänger ist sehr lehrreich, sich ihren Bau zu zer¬<lb/>
legen, z. B. die Gespräche des Carlos im Clavigo. Denn es sind die Sce¬<lb/>
nen, welche zwischen zwei Personen verlaufen, das Schönste in den Dramen<lb/>
Goethes; Lessing weiß auch drei Charaktere in leidenschaftlichem Gegenspiel<lb/>
mit höchster Wirkung zu beschäftigen; Schiller aber beherrscht souverän eine<lb/>
große Zahl auf der Bühne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_480" next="#ID_481"> Die Methode der Charakterentwicklung ist bei Schiller in der Jugend<lb/>
sehr anders, als in den Jahren seiner Reife. Es ist ein großer Fort¬<lb/>
schritt, aber er ist auch nicht ganz ohne Einbuße. Von der Empfindungs-<lb/>
weise schöner Seelen, welche er in den Räubern ins Ungeheuerliche, später ins<lb/>
Heldenhafte erhob, bis zu einer, dem Shakespeare ähnlichen festen Geschlossen¬<lb/>
heit der Charaktere im Demetrius, welche Umwandlung! Durch mehr als ein<lb/>
halbes Jahrhundert hat Pracht und Adel der Charaktere Schillers die deutsche<lb/>
Bühne beherrscht, und lange haben die schwachen Nachahmer seines Styls<lb/>
nicht verstanden, daß die Fülle seiner Diction nur deshalb so große Wirkungen<lb/>
hervorbrachte, weil unter ihr ein Reichthum von dramatischem Detail, wie unter<lb/>
einer Vergoldung bedeckt liegt. Das kräftige Leben der Personen ist bereits<lb/>
in seinen ersten Stücken sehr auffallend, ja es hat in Kabale und Liebe so<lb/>
bedeutenden Ausdruck gewonnen, daß nach dieser Richtung in den späteren<lb/>
Werken nicht immer ein Fortschritt sichtbar wird. Dem Verse und höheren<lb/>
Styl hat er wenigstens die markige Kürze, den bühncngemäßen Ausdruck der<lb/>
Leidenschaft, manche Rücksicht auf die Darsteller nachgesetzt. Immer voller<lb/>
und beredter wurde ihm der Ausdruck der Empfindungen durch die Sprache.<lb/>
Auch seine Charaktere &#x2014; am meisten die reichlich ausgeführten &#x2014; haben<lb/>
jene charakteristische Eigenschaft seiner Zeit, ihr Denken und Empfinden dem<lb/>
Hörer in jedem Moment der Handlung eindringlich zu berichten. Und sie<lb/>
thun es in der Weise hochgebildeter und beschaulicher Naturen, denn an die<lb/>
leidenschaftlichste Empfindung hängt sich ihnen sofort ein schönes, oft ausge¬<lb/>
führtes Bild, und der Stimmung, welche so aus ihrem Innern heraustönt,<lb/>
folgt eine Reflexion &#x2014; wie wir alle wissen, oft von wunderbarer Schönheit<lb/>
&#x2014;. durch welche die sittlichen Grundlagen des aufgeregten Gefühls klar ge-,<lb/>
macht werden, und die Befangenheit der Situation in einer Erhebung aus<lb/>
höheren Standpunkt wenigstens für Augenblicke aufgehoben erscheint. Es ist<lb/>
offenbar, daß solche Methode des dramatischen Schaffens der Darstellung starker<lb/>
Leidenschaften im Allgemeinen nicht günstig ist, und sie wird sicher in irgend einer<lb/>
Zukunft unseren Nachkommen höchst seltsam erscheinen, aber ebenso sicher ist, daß<lb/>
sie die Methode zu empfinden, welche den gebildeten Deutschen am Ende des</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] stark genug ist, um erhabene Wirkungen, gewaltige Conflicte möglich zu machen, so ist die dramatische Bewegung derselben in einzelnen Scenen doch knapp, weise und höchst bühnengerechf, namentlich ist die Composition seiner Dialoge bewundernswerth, und dem Anfänger ist sehr lehrreich, sich ihren Bau zu zer¬ legen, z. B. die Gespräche des Carlos im Clavigo. Denn es sind die Sce¬ nen, welche zwischen zwei Personen verlaufen, das Schönste in den Dramen Goethes; Lessing weiß auch drei Charaktere in leidenschaftlichem Gegenspiel mit höchster Wirkung zu beschäftigen; Schiller aber beherrscht souverän eine große Zahl auf der Bühne. Die Methode der Charakterentwicklung ist bei Schiller in der Jugend sehr anders, als in den Jahren seiner Reife. Es ist ein großer Fort¬ schritt, aber er ist auch nicht ganz ohne Einbuße. Von der Empfindungs- weise schöner Seelen, welche er in den Räubern ins Ungeheuerliche, später ins Heldenhafte erhob, bis zu einer, dem Shakespeare ähnlichen festen Geschlossen¬ heit der Charaktere im Demetrius, welche Umwandlung! Durch mehr als ein halbes Jahrhundert hat Pracht und Adel der Charaktere Schillers die deutsche Bühne beherrscht, und lange haben die schwachen Nachahmer seines Styls nicht verstanden, daß die Fülle seiner Diction nur deshalb so große Wirkungen hervorbrachte, weil unter ihr ein Reichthum von dramatischem Detail, wie unter einer Vergoldung bedeckt liegt. Das kräftige Leben der Personen ist bereits in seinen ersten Stücken sehr auffallend, ja es hat in Kabale und Liebe so bedeutenden Ausdruck gewonnen, daß nach dieser Richtung in den späteren Werken nicht immer ein Fortschritt sichtbar wird. Dem Verse und höheren Styl hat er wenigstens die markige Kürze, den bühncngemäßen Ausdruck der Leidenschaft, manche Rücksicht auf die Darsteller nachgesetzt. Immer voller und beredter wurde ihm der Ausdruck der Empfindungen durch die Sprache. Auch seine Charaktere — am meisten die reichlich ausgeführten — haben jene charakteristische Eigenschaft seiner Zeit, ihr Denken und Empfinden dem Hörer in jedem Moment der Handlung eindringlich zu berichten. Und sie thun es in der Weise hochgebildeter und beschaulicher Naturen, denn an die leidenschaftlichste Empfindung hängt sich ihnen sofort ein schönes, oft ausge¬ führtes Bild, und der Stimmung, welche so aus ihrem Innern heraustönt, folgt eine Reflexion — wie wir alle wissen, oft von wunderbarer Schönheit —. durch welche die sittlichen Grundlagen des aufgeregten Gefühls klar ge-, macht werden, und die Befangenheit der Situation in einer Erhebung aus höheren Standpunkt wenigstens für Augenblicke aufgehoben erscheint. Es ist offenbar, daß solche Methode des dramatischen Schaffens der Darstellung starker Leidenschaften im Allgemeinen nicht günstig ist, und sie wird sicher in irgend einer Zukunft unseren Nachkommen höchst seltsam erscheinen, aber ebenso sicher ist, daß sie die Methode zu empfinden, welche den gebildeten Deutschen am Ende des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/156>, abgerufen am 16.06.2024.