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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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lere wusch eigenhändig einen Aussätzigen, was zu dem bekannten Gemälde
von Murillo das Motiv gab. Einen bösen und undankbaren Kranken
dieser Art pflegte der heilige Eulogius fünfzig Jahre lang. Als der heilige
Otto von Bamberg von einem polnischen Fürsten einen äußerst kostbaren
Pelz bekam, hing er ihn sogleich einem Aussätzigen um. Je widriger der
Anblick und Geruch der Krankheit war, um so mehr bewährte die Seele ihre
Kraft, indem sie diesen Ekel überwand. Ada von Belomeir in den Nieder¬
landen legte gar einmal aus Mitleid einen Aussätzigen in ihr Ehebett; als aber
der Mann dazu kam, war der Kranke verschwunden und das Bett voller
Rosen. Aehnliches wird vom Papst Leo berichtet. Der heilige Mandarins
bekam von einer reichen Jungfrau Geld, um ihr Juwelen zu kaufen, brachte
das Geld aber in ein Spital und zeigte nachher der Jungfrau die buntfar¬
bigen Wunden und Beulen der Aussätzigen. "Das seien", sagte er. "die
Hyacinthen und Smaragden, die er ihr gekauft habe." -- Der häßliche Aus¬
satz diente dazu, die Herrlichkeit der christlichen Liebe zur Offenbarung zu
bringen, und gab auch bisweilen dem Dichter, wie z. B. einem Hartmann
von der Ane ein Motiv, die Schönheit der Treue zu besingen. Engel-
hardt, im gleichnamigen Gedichte des Conrad von Würzburg, opfert z. B.
seine eignen Kinder, um seinen aufsätzigen Freund durch deren Blut zu
heilen. Dasselbe wiederholt sich in der Sage von Amiens und Amelius.
Auch i.in armen Heinrich des Hartmann von der Ane opfert sich ein zwölfjäh¬
riges Mädchen, um einen kranken Ritter durch ihr Blut gesund zu machen.

War Jemand in einer Stadt oder auf dem Lande in den Verdacht ge¬
kommen, mit diesem Uebel behaftet zu sein, so mußte er sich von geschwornen
Sachkundigen untersuchen lassen und eidlich versprechen, die Wahrheit treu an
den Tag zu geben. Man untersuchte die Beschaffenheit der Haut und des
Blutes, und man prüfte die Stimme; denn der Aussatz erzeugte Heiserkeit.
Wer der Krankheit überwiesen war, kam in's Sondersiechenhaus, noch nicht
ohne alle Hoffnung, dasselbe wieder verlassen zu können. Die Aermeren
wurden unentgeldlich verpflegt und bildeten meist die Classe der niederen
Pfründner. während, sich die Bemittelten bessere Pfründen kaufen konnten.
Die aufgenommenen Sondersiechcn mühten schwören. Satzungen und Ord¬
nung der Anstalt gewissenhaft zu halten. Unter Anderem war ihnen ver¬
boten, in der Stadt aus einem Brunnen zu trinken, i-n ein Haus, Gast¬
haus oder in eine Kirche zu treten, Fisch oder Fleisch zu kaufen, et¬
was anzurühren, was, Gesunden gehöre, dann befohlen, in Straßen und
auf Brücken die Mitte zu halten. Wer dagegen handle, heißt es in vielen
derartigen Verordnungen, werde ohne Gnade aus dem Hause gestoßen.
An manchen Orten wurde den Aussätzigen der Weg, den sie gehen durften,
bezeichnet, und heißt da und dort heut zu Tag noch der Sicchenweg, der


lere wusch eigenhändig einen Aussätzigen, was zu dem bekannten Gemälde
von Murillo das Motiv gab. Einen bösen und undankbaren Kranken
dieser Art pflegte der heilige Eulogius fünfzig Jahre lang. Als der heilige
Otto von Bamberg von einem polnischen Fürsten einen äußerst kostbaren
Pelz bekam, hing er ihn sogleich einem Aussätzigen um. Je widriger der
Anblick und Geruch der Krankheit war, um so mehr bewährte die Seele ihre
Kraft, indem sie diesen Ekel überwand. Ada von Belomeir in den Nieder¬
landen legte gar einmal aus Mitleid einen Aussätzigen in ihr Ehebett; als aber
der Mann dazu kam, war der Kranke verschwunden und das Bett voller
Rosen. Aehnliches wird vom Papst Leo berichtet. Der heilige Mandarins
bekam von einer reichen Jungfrau Geld, um ihr Juwelen zu kaufen, brachte
das Geld aber in ein Spital und zeigte nachher der Jungfrau die buntfar¬
bigen Wunden und Beulen der Aussätzigen. „Das seien", sagte er. „die
Hyacinthen und Smaragden, die er ihr gekauft habe." — Der häßliche Aus¬
satz diente dazu, die Herrlichkeit der christlichen Liebe zur Offenbarung zu
bringen, und gab auch bisweilen dem Dichter, wie z. B. einem Hartmann
von der Ane ein Motiv, die Schönheit der Treue zu besingen. Engel-
hardt, im gleichnamigen Gedichte des Conrad von Würzburg, opfert z. B.
seine eignen Kinder, um seinen aufsätzigen Freund durch deren Blut zu
heilen. Dasselbe wiederholt sich in der Sage von Amiens und Amelius.
Auch i.in armen Heinrich des Hartmann von der Ane opfert sich ein zwölfjäh¬
riges Mädchen, um einen kranken Ritter durch ihr Blut gesund zu machen.

War Jemand in einer Stadt oder auf dem Lande in den Verdacht ge¬
kommen, mit diesem Uebel behaftet zu sein, so mußte er sich von geschwornen
Sachkundigen untersuchen lassen und eidlich versprechen, die Wahrheit treu an
den Tag zu geben. Man untersuchte die Beschaffenheit der Haut und des
Blutes, und man prüfte die Stimme; denn der Aussatz erzeugte Heiserkeit.
Wer der Krankheit überwiesen war, kam in's Sondersiechenhaus, noch nicht
ohne alle Hoffnung, dasselbe wieder verlassen zu können. Die Aermeren
wurden unentgeldlich verpflegt und bildeten meist die Classe der niederen
Pfründner. während, sich die Bemittelten bessere Pfründen kaufen konnten.
Die aufgenommenen Sondersiechcn mühten schwören. Satzungen und Ord¬
nung der Anstalt gewissenhaft zu halten. Unter Anderem war ihnen ver¬
boten, in der Stadt aus einem Brunnen zu trinken, i-n ein Haus, Gast¬
haus oder in eine Kirche zu treten, Fisch oder Fleisch zu kaufen, et¬
was anzurühren, was, Gesunden gehöre, dann befohlen, in Straßen und
auf Brücken die Mitte zu halten. Wer dagegen handle, heißt es in vielen
derartigen Verordnungen, werde ohne Gnade aus dem Hause gestoßen.
An manchen Orten wurde den Aussätzigen der Weg, den sie gehen durften,
bezeichnet, und heißt da und dort heut zu Tag noch der Sicchenweg, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/160>, abgerufen am 16.06.2024.