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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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bis auf die letzte Spur zu vernichten. Wie weit diese Bestrebungen der
Dünen Erfolg gehabt haben, zeigte sich ganz eclatant während der Kriegs¬
jahre 1848 und 1849. Es war der provisorischen Negierung natürlich von
großem Interesse, zu wissen, was von dem Norden Schleswigs zu halten
war. und wurde der Zeit ein Vertrauensmann in die Aemter Apenrade, Ton-
dern und Hadersleben gesandt, um die Stimmung und Ansichten der Leute'
zu erforschen. Das kurze Resumv der Untersuchung war, daß die Leute, mit
Ausnahme der städtischen Bevölkerung, entweder gar kein Verständniß von
den Dingen hatten, welche 1848 vorgingen, oder völlig falsche Begriffe.
Vor allen Dingen herrschte die Ansicht vor, daß man des Königs Land er¬
obern und an Preußen übergeben wolle. Daß es sich darum handelte, die
höchsten Interessen Schleswigs, und damit auch die des nördlichen Schles¬
wigs zu erhalten, davon hatten die Leute durchaus kein Verständniß; sie
waren vielmehr in den unglaublich klingenden und handgreiflichen Lügen
der dänischen Propaganda so befangen, daß sie wirklich unter Anderem glaub¬
ten, daß man sie nur zum Militärdienst ausheben wolle, um sie später gegen
die Türken zu verwenden.

Eine solche Verwirrung in den Vorstellungen unter den Leuten ist nur zu
verstehen, wenn man festhält, daß seit einer längeren Reihe von Jahren der
Norden Schleswigs systematisch dem Einfluß deutscher Bildung entzogen wor¬
den war; man denke nur an die sich von jüngerem Datum datircnde Ma߬
regel König Christians des Achten, der, während früher die meisten Nord-Schles-
wiger in deutsche Regimenter eingestellt und in deutsche Garnisonen gelegt
wurden, alle Nord-Schlesrviger nach Dänemark in Garnison legte, und daß
die Propaganda es sich zur Aufgabe gestellt hatte, ein tiefes Mißtrauen gegen
Alles, was Deutsch heißt, den Leuten einzuflößen. Eine Vorsicht wurde in¬
dessen von der Propaganda stets beobachtet, nämlich die, nie von dem Nor¬
den Schleswigs zu verlangen, daß er ein Theil Dänemarks selbst sein sollte,
sondern man sagte den Leuten immer und immer wieder, sie seien treue
Unterthanen des Königs von Dänemark und dänische Schleswiger! Ma"
richtete seine Appellationen an den Charakter der Bewohner des nördlichen
Schleswigs und an die demselben gewohnte dänische Sprache. Man benutzte
mit richtigem Takt den Mangel eines nationalen Gefühls und erreichte mit
leichter Mühe, dem Nordschleswiger beizubringen, daß er lediglich bleiben
wolle, was er sei, d. h. "dänischer Schlesmiger". Diese reine Negative,
denn weiter ist es nichts, wenn ein Schleswig" unter bewandten Umständen
erklärt, daß er "dänischer" Schleswiger sein und bleiben will, macht ihn in
Betreff seines staatlichen Lebens völlig interessenlos und daher feige. Nach
Ausbruch des Krieges verließ die junge Mannschaft Nord-Schleswigs ihre
Heimath, floh nach Jütland und von Dänen besetzten Distrikten, nicht um


bis auf die letzte Spur zu vernichten. Wie weit diese Bestrebungen der
Dünen Erfolg gehabt haben, zeigte sich ganz eclatant während der Kriegs¬
jahre 1848 und 1849. Es war der provisorischen Negierung natürlich von
großem Interesse, zu wissen, was von dem Norden Schleswigs zu halten
war. und wurde der Zeit ein Vertrauensmann in die Aemter Apenrade, Ton-
dern und Hadersleben gesandt, um die Stimmung und Ansichten der Leute'
zu erforschen. Das kurze Resumv der Untersuchung war, daß die Leute, mit
Ausnahme der städtischen Bevölkerung, entweder gar kein Verständniß von
den Dingen hatten, welche 1848 vorgingen, oder völlig falsche Begriffe.
Vor allen Dingen herrschte die Ansicht vor, daß man des Königs Land er¬
obern und an Preußen übergeben wolle. Daß es sich darum handelte, die
höchsten Interessen Schleswigs, und damit auch die des nördlichen Schles¬
wigs zu erhalten, davon hatten die Leute durchaus kein Verständniß; sie
waren vielmehr in den unglaublich klingenden und handgreiflichen Lügen
der dänischen Propaganda so befangen, daß sie wirklich unter Anderem glaub¬
ten, daß man sie nur zum Militärdienst ausheben wolle, um sie später gegen
die Türken zu verwenden.

Eine solche Verwirrung in den Vorstellungen unter den Leuten ist nur zu
verstehen, wenn man festhält, daß seit einer längeren Reihe von Jahren der
Norden Schleswigs systematisch dem Einfluß deutscher Bildung entzogen wor¬
den war; man denke nur an die sich von jüngerem Datum datircnde Ma߬
regel König Christians des Achten, der, während früher die meisten Nord-Schles-
wiger in deutsche Regimenter eingestellt und in deutsche Garnisonen gelegt
wurden, alle Nord-Schlesrviger nach Dänemark in Garnison legte, und daß
die Propaganda es sich zur Aufgabe gestellt hatte, ein tiefes Mißtrauen gegen
Alles, was Deutsch heißt, den Leuten einzuflößen. Eine Vorsicht wurde in¬
dessen von der Propaganda stets beobachtet, nämlich die, nie von dem Nor¬
den Schleswigs zu verlangen, daß er ein Theil Dänemarks selbst sein sollte,
sondern man sagte den Leuten immer und immer wieder, sie seien treue
Unterthanen des Königs von Dänemark und dänische Schleswiger! Ma»
richtete seine Appellationen an den Charakter der Bewohner des nördlichen
Schleswigs und an die demselben gewohnte dänische Sprache. Man benutzte
mit richtigem Takt den Mangel eines nationalen Gefühls und erreichte mit
leichter Mühe, dem Nordschleswiger beizubringen, daß er lediglich bleiben
wolle, was er sei, d. h. „dänischer Schlesmiger". Diese reine Negative,
denn weiter ist es nichts, wenn ein Schleswig« unter bewandten Umständen
erklärt, daß er „dänischer" Schleswiger sein und bleiben will, macht ihn in
Betreff seines staatlichen Lebens völlig interessenlos und daher feige. Nach
Ausbruch des Krieges verließ die junge Mannschaft Nord-Schleswigs ihre
Heimath, floh nach Jütland und von Dänen besetzten Distrikten, nicht um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/172>, abgerufen am 24.05.2024.