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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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als Gefangener gehalten wurde, bat er sofort um die Erlaubniß, auf den be¬
nachbarten Feldern botanisiren zu dürfen. Nach Monaten erhielt er sie, nach
wenigen Wochen ward sie zurückgenommen. Der Sachverhalt war folgender.
Bei seinem ersten Antrage hatte das Gouvernement alle alten Bücher und
Acten nachgeschlagen, und als man daselbst die Thatsache verzeichnet fand,
daß dieselbe Erlaubniß schon vor 100 Jahren einem Arzte derselben Compagnie
ertheilt gewesen war, gewährte man sie anch jetzt, -- der Fall war schon da¬
gewesen. Bald aber hatte ein Schriftgelchrter herausstudirt, daß jener Arzt,
dem vor 100 Jahren die Erlaubniß ertheilt war. nnr ein Unterarzt gewesen
sei; nun war aber Thunberg Oberarzt; folglich war es ein neuer Fall, folg¬
lich mußte die Erlaubniß widerrufen werden.

Bon vornherein ruht das japanische Gesetzbuch uns einer anderen
Basis als irgend eines in der übrigen Welt. Ueberall finden wir sonst die
Voraussetzung des mit freiem Willen begabte" Mensche"; ursprünglich ist Alles
erlaubt, das Gesetz macht nnr mehr oder weniger Restrictioncn; sprichwörtlich
ist überall: was nicht verboten ist. ist erlaubt. Das japanische Gesetzbuch
setzt den Sklaven voraus, den willenlosen, todten Menschen; ursprünglich ist
'Alles verboten; das Gesetz hebt nur Verbote auf, und hier heißt es umge¬
kehrt: "was nicht direct erlaubt ist, rst verboten!"

Eine zweite Eigenthümlichkeit, die vielleicht mit noch größerer Sicherheit
als ein "?in^ Xk/v^to"v in der Weltgeschichte zu betrachten ist. besteht darin,
daß die Höhe des Vergehens keinen Maßstab bildet für die Höhe der Strafe.
Wir bemühen uns seit Jahrhunderten ans das Sorgfältigste die Scala der
Strafe" mit der Scala der Vergehen in Uebereinstimmung zu bringen, und
nennen ein Gesetz recht und billig, wenn es diese Graduationen unserer An¬
schauung nach richtig getroffen hat. Den Japaner kümmert die Größe des
Verbrechens gar nicht; er-straft nicht das specielle Verbrechen, er straft nur
überhaupt den Umstand, daß Jemand das Gesetz übertreten hat. Von diesem
Standpunkte aus gibt es eigentlich nur Ein Verbreche", das ist eben die
Uebertretung des Gesetzes, und es ist demgemäß eine nicht zu leugnende Coa
Sequenz, wen" es auch nur Eine Strafe gibt. Immerhin ein juristisches Pro¬
blem und ein schöner Stoff für eine gelehrte Dissertation. Daß diese Strafe
in Japan der Tod ist, halte ich für einen Umstand, der weit mehr >n das
Gebiet der politischen als der juristische" Erwägungen gehört. Jedenfalls
hat er den Vortheil, daß er Gefä"gmsse erspart, und weder Geld noch Mühe
an unfruchtbare Besscrungsversuchc verschwendet.

Daß dieses ewige -- nicht auf dem <M vivo, sondern auf dem HMZM' -
Stehe" auf die Lebensanschauung und die Sitten eines Volkes von Einfluli
sei" muß. kein" keinem Zweifel unterliegen. Der Tod ist in Japan auch nicht
entferut das schreckliche Gespenst, als welches er drohend vor unseren Augen
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als Gefangener gehalten wurde, bat er sofort um die Erlaubniß, auf den be¬
nachbarten Feldern botanisiren zu dürfen. Nach Monaten erhielt er sie, nach
wenigen Wochen ward sie zurückgenommen. Der Sachverhalt war folgender.
Bei seinem ersten Antrage hatte das Gouvernement alle alten Bücher und
Acten nachgeschlagen, und als man daselbst die Thatsache verzeichnet fand,
daß dieselbe Erlaubniß schon vor 100 Jahren einem Arzte derselben Compagnie
ertheilt gewesen war, gewährte man sie anch jetzt, — der Fall war schon da¬
gewesen. Bald aber hatte ein Schriftgelchrter herausstudirt, daß jener Arzt,
dem vor 100 Jahren die Erlaubniß ertheilt war. nnr ein Unterarzt gewesen
sei; nun war aber Thunberg Oberarzt; folglich war es ein neuer Fall, folg¬
lich mußte die Erlaubniß widerrufen werden.

Bon vornherein ruht das japanische Gesetzbuch uns einer anderen
Basis als irgend eines in der übrigen Welt. Ueberall finden wir sonst die
Voraussetzung des mit freiem Willen begabte» Mensche»; ursprünglich ist Alles
erlaubt, das Gesetz macht nnr mehr oder weniger Restrictioncn; sprichwörtlich
ist überall: was nicht verboten ist. ist erlaubt. Das japanische Gesetzbuch
setzt den Sklaven voraus, den willenlosen, todten Menschen; ursprünglich ist
'Alles verboten; das Gesetz hebt nur Verbote auf, und hier heißt es umge¬
kehrt: „was nicht direct erlaubt ist, rst verboten!"

Eine zweite Eigenthümlichkeit, die vielleicht mit noch größerer Sicherheit
als ein «?in^ Xk/v^to»v in der Weltgeschichte zu betrachten ist. besteht darin,
daß die Höhe des Vergehens keinen Maßstab bildet für die Höhe der Strafe.
Wir bemühen uns seit Jahrhunderten ans das Sorgfältigste die Scala der
Strafe» mit der Scala der Vergehen in Uebereinstimmung zu bringen, und
nennen ein Gesetz recht und billig, wenn es diese Graduationen unserer An¬
schauung nach richtig getroffen hat. Den Japaner kümmert die Größe des
Verbrechens gar nicht; er-straft nicht das specielle Verbrechen, er straft nur
überhaupt den Umstand, daß Jemand das Gesetz übertreten hat. Von diesem
Standpunkte aus gibt es eigentlich nur Ein Verbreche», das ist eben die
Uebertretung des Gesetzes, und es ist demgemäß eine nicht zu leugnende Coa
Sequenz, wen» es auch nur Eine Strafe gibt. Immerhin ein juristisches Pro¬
blem und ein schöner Stoff für eine gelehrte Dissertation. Daß diese Strafe
in Japan der Tod ist, halte ich für einen Umstand, der weit mehr >n das
Gebiet der politischen als der juristische» Erwägungen gehört. Jedenfalls
hat er den Vortheil, daß er Gefä»gmsse erspart, und weder Geld noch Mühe
an unfruchtbare Besscrungsversuchc verschwendet.

Daß dieses ewige — nicht auf dem <M vivo, sondern auf dem HMZM' -
Stehe» auf die Lebensanschauung und die Sitten eines Volkes von Einfluli
sei» muß. kein» keinem Zweifel unterliegen. Der Tod ist in Japan auch nicht
entferut das schreckliche Gespenst, als welches er drohend vor unseren Augen
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[0322] als Gefangener gehalten wurde, bat er sofort um die Erlaubniß, auf den be¬ nachbarten Feldern botanisiren zu dürfen. Nach Monaten erhielt er sie, nach wenigen Wochen ward sie zurückgenommen. Der Sachverhalt war folgender. Bei seinem ersten Antrage hatte das Gouvernement alle alten Bücher und Acten nachgeschlagen, und als man daselbst die Thatsache verzeichnet fand, daß dieselbe Erlaubniß schon vor 100 Jahren einem Arzte derselben Compagnie ertheilt gewesen war, gewährte man sie anch jetzt, — der Fall war schon da¬ gewesen. Bald aber hatte ein Schriftgelchrter herausstudirt, daß jener Arzt, dem vor 100 Jahren die Erlaubniß ertheilt war. nnr ein Unterarzt gewesen sei; nun war aber Thunberg Oberarzt; folglich war es ein neuer Fall, folg¬ lich mußte die Erlaubniß widerrufen werden. Bon vornherein ruht das japanische Gesetzbuch uns einer anderen Basis als irgend eines in der übrigen Welt. Ueberall finden wir sonst die Voraussetzung des mit freiem Willen begabte» Mensche»; ursprünglich ist Alles erlaubt, das Gesetz macht nnr mehr oder weniger Restrictioncn; sprichwörtlich ist überall: was nicht verboten ist. ist erlaubt. Das japanische Gesetzbuch setzt den Sklaven voraus, den willenlosen, todten Menschen; ursprünglich ist 'Alles verboten; das Gesetz hebt nur Verbote auf, und hier heißt es umge¬ kehrt: „was nicht direct erlaubt ist, rst verboten!" Eine zweite Eigenthümlichkeit, die vielleicht mit noch größerer Sicherheit als ein «?in^ Xk/v^to»v in der Weltgeschichte zu betrachten ist. besteht darin, daß die Höhe des Vergehens keinen Maßstab bildet für die Höhe der Strafe. Wir bemühen uns seit Jahrhunderten ans das Sorgfältigste die Scala der Strafe» mit der Scala der Vergehen in Uebereinstimmung zu bringen, und nennen ein Gesetz recht und billig, wenn es diese Graduationen unserer An¬ schauung nach richtig getroffen hat. Den Japaner kümmert die Größe des Verbrechens gar nicht; er-straft nicht das specielle Verbrechen, er straft nur überhaupt den Umstand, daß Jemand das Gesetz übertreten hat. Von diesem Standpunkte aus gibt es eigentlich nur Ein Verbreche», das ist eben die Uebertretung des Gesetzes, und es ist demgemäß eine nicht zu leugnende Coa Sequenz, wen» es auch nur Eine Strafe gibt. Immerhin ein juristisches Pro¬ blem und ein schöner Stoff für eine gelehrte Dissertation. Daß diese Strafe in Japan der Tod ist, halte ich für einen Umstand, der weit mehr >n das Gebiet der politischen als der juristische» Erwägungen gehört. Jedenfalls hat er den Vortheil, daß er Gefä»gmsse erspart, und weder Geld noch Mühe an unfruchtbare Besscrungsversuchc verschwendet. Daß dieses ewige — nicht auf dem <M vivo, sondern auf dem HMZM' - Stehe» auf die Lebensanschauung und die Sitten eines Volkes von Einfluli sei» muß. kein» keinem Zweifel unterliegen. Der Tod ist in Japan auch nicht entferut das schreckliche Gespenst, als welches er drohend vor unseren Augen it>KesmiKMi?^link Med/M l!/!Z M nys>«»0y> '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/322>, abgerufen am 16.06.2024.