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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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in Deutschland machen, wenn es sich Achtung erwirbt, wenn es zeigt, daß es
nicht bloß der stärkste, sondern auch der beste deutsche Staat ist; wenn jeder
Deutsche uns beneidet, daß wir Preußen sind, und wenn wir diesen Neid da¬
durch versöhnen, daß wir auch das Gute bei dem Fremden anerkennen.

Der Nationalverein war im Ganzen genommen ein sehr gutes Zeugniß
für die Unistimmung in Deutschland, aber man schlage dieses Zeugniß nicht
zu hoch an! Seine Abwendung zu Preußen entsprang nicht aus der Ueber¬
zeugung von der Vortrefflichkeit dieses Staats, sondern aus dem Bewußtsein,
daß man nichts Anderes habe, worauf man rechnen könne. Wir stehen jetzt
vor einer ganz ernsten Krisis: sollte sich jetzt wirklich herausstellen, daß das
Herrenhaus den preußischen Staat regiert, so werden die Sympathien bald
wieder eine andere Richtung nehmen.

Die Elasticität Preußens wird nicht bloß durch den deutschen Bund, nicht
bloß durch den Zollverein eingeschränkt (auch hier hätte Preußen viel freier
handeln können, wenn es als Träger großer Principien in denselben einge¬
treten wäre!), sondern hauptsächlich durch diejenigen Elemente unserer eigenen
Verfassung, die mit dem preußischen Leben unvereinbar sind. Das Herren¬
haus, verbunden mit den Provinzialständen und Kreistagen, constituirt eine
Herrschaft der Aristokratie und bewirkt ein Stocken der Gesetzgebung, in Folge
dessen uns bald alle übrige" deutschen Staaten überholen werden. Glaubt
man aber etwa die Sympathien der deutschen Regierungen durch den An¬
schluß an die Aristokratie zu gewinnen, weil diese ja in den Preußen feind¬
lichen Blättern immer gelobt wird, so denke man doch an die Periode von
1850--58. Auch bei den deutschen Regierungen machen wir nicht dadurch
moralische Eroberungen, daß wir uns von ihnen ins Schlepptau nehmen lassen,
sondern dadurch, daß wir sie beherrschen; beherrschen durch keine anderen Mit¬
tel, als durch unsern stärkern Willen und durch unsere größere Einsicht. Nur
der männliche Wille, nur das zweckmäßige Handeln führt zur Hegemonie; wo
jene seinen. könnte ,man uns diese durch gemeinsamen Beschluß aller deut¬
schen Regierungen und aller deutschen Stände übertragen, es würde doch da¬
mit nichts erreicht sein, es würde alles beim Alten bleiben.

Die fehlende Elasticität hat man dadurch zu ergänzen gesucht, daß man
eine Umgestaltung der Armee in Angriff nahm. Die Nothwendigkeit dersel¬
ben wird nirgend in Abrede gestellt. Die Mobilisierung des Jahres 1858 hat
die Schwächen des alten Systems bloßgelegt. Aber man hat bei dem Ent¬
wurf nur materielle, nicht geistige Mittel ins Auge gefaßt, ohne daran zu
denken, daß ein Staat nur bis zu einer gewissen Grenze hin seine Kräfte an¬
spannen kann, und daß der Gewinn einer schlagfertigen Armee beeinträchtigt
wird, sobald dieselbe unpopulär ist und als Verstärkung der Junkerherrschaft
betrachtet wird. Die materiellen Mittel sind sehr nothwendig, aber sie sind


in Deutschland machen, wenn es sich Achtung erwirbt, wenn es zeigt, daß es
nicht bloß der stärkste, sondern auch der beste deutsche Staat ist; wenn jeder
Deutsche uns beneidet, daß wir Preußen sind, und wenn wir diesen Neid da¬
durch versöhnen, daß wir auch das Gute bei dem Fremden anerkennen.

Der Nationalverein war im Ganzen genommen ein sehr gutes Zeugniß
für die Unistimmung in Deutschland, aber man schlage dieses Zeugniß nicht
zu hoch an! Seine Abwendung zu Preußen entsprang nicht aus der Ueber¬
zeugung von der Vortrefflichkeit dieses Staats, sondern aus dem Bewußtsein,
daß man nichts Anderes habe, worauf man rechnen könne. Wir stehen jetzt
vor einer ganz ernsten Krisis: sollte sich jetzt wirklich herausstellen, daß das
Herrenhaus den preußischen Staat regiert, so werden die Sympathien bald
wieder eine andere Richtung nehmen.

Die Elasticität Preußens wird nicht bloß durch den deutschen Bund, nicht
bloß durch den Zollverein eingeschränkt (auch hier hätte Preußen viel freier
handeln können, wenn es als Träger großer Principien in denselben einge¬
treten wäre!), sondern hauptsächlich durch diejenigen Elemente unserer eigenen
Verfassung, die mit dem preußischen Leben unvereinbar sind. Das Herren¬
haus, verbunden mit den Provinzialständen und Kreistagen, constituirt eine
Herrschaft der Aristokratie und bewirkt ein Stocken der Gesetzgebung, in Folge
dessen uns bald alle übrige» deutschen Staaten überholen werden. Glaubt
man aber etwa die Sympathien der deutschen Regierungen durch den An¬
schluß an die Aristokratie zu gewinnen, weil diese ja in den Preußen feind¬
lichen Blättern immer gelobt wird, so denke man doch an die Periode von
1850—58. Auch bei den deutschen Regierungen machen wir nicht dadurch
moralische Eroberungen, daß wir uns von ihnen ins Schlepptau nehmen lassen,
sondern dadurch, daß wir sie beherrschen; beherrschen durch keine anderen Mit¬
tel, als durch unsern stärkern Willen und durch unsere größere Einsicht. Nur
der männliche Wille, nur das zweckmäßige Handeln führt zur Hegemonie; wo
jene seinen. könnte ,man uns diese durch gemeinsamen Beschluß aller deut¬
schen Regierungen und aller deutschen Stände übertragen, es würde doch da¬
mit nichts erreicht sein, es würde alles beim Alten bleiben.

Die fehlende Elasticität hat man dadurch zu ergänzen gesucht, daß man
eine Umgestaltung der Armee in Angriff nahm. Die Nothwendigkeit dersel¬
ben wird nirgend in Abrede gestellt. Die Mobilisierung des Jahres 1858 hat
die Schwächen des alten Systems bloßgelegt. Aber man hat bei dem Ent¬
wurf nur materielle, nicht geistige Mittel ins Auge gefaßt, ohne daran zu
denken, daß ein Staat nur bis zu einer gewissen Grenze hin seine Kräfte an¬
spannen kann, und daß der Gewinn einer schlagfertigen Armee beeinträchtigt
wird, sobald dieselbe unpopulär ist und als Verstärkung der Junkerherrschaft
betrachtet wird. Die materiellen Mittel sind sehr nothwendig, aber sie sind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/44>, abgerufen am 16.06.2024.