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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Dasselbe gilt von jedem Mann der Oeffentlichkeit.

Wenn ich z. B. von einem General behaupte, er habe sich als unfähig
bewiesen, und er mir darauf entgegnet, das Gesetz seines Standes zwinge
ihn. sich deshalb mit mir zu schießen, so werde ich ihm einfach darauf er¬
widern, daß ich sehr bedauern müsse, ihm bei dieser Erfüllung seiner Stan¬
despflicht nicht behilflich sein zu können, und ihn an die Gerichte ver-
weisen.

Dagegen hat er das Recht mir zu erwidern, ich verstehe von Militär¬
sachen nichts, und solle nicht darüber urtheilen. Die Endentscheidung steht
dann den Sachverständigen zu, die in letzter Instanz doch unbedingt die
öffentliche Meinung leiten.

Noch viel schlimmer ist es mit dem politischen Duell.

Es gibt nickt bloß bürgerliche Rechte, sondern auch bürgerliche Pflichten.
Sobald mir eine öffentliche Einrichtung, die in mein Verständniß fällt, als
verderblich für den Staat erscheint, so habe, ich die Pflicht, darauf
aufmerksam zu machen, und soviel ich kann, zur Abstellung derselben bei¬
zutragen. In wiefern Beamte vermöge ihrer Stellung zu Discretion ver¬
pflichtet und dadurch gebunden sind, kommt hier nicht in Frage.

Noch viel ernster, schwerer und unbedingter wird meine Pflicht, sobald
meine Stellung als Vertreter des Landes dieselbe als Pflicht gegen einen be¬
stimmten Kreis, gegen meine Committenten erscheinen läßt. Unterlasse ich die
Ausübung dieses Berufs, säume ich, die Schäden offen und bestimmt hervor¬
zuheben, so begehe ich eine schwere Pflichtverletzung.

Um den Abgeordneten diese Pflicht zu erleichtern, gewährt ihnen das
Gesetz Straflosigkeit für Alles, was sie in der Erfüllung ihres Amts thun,
und sichert sie vor jeder Verfolgung.

Diese Sicherheit wird aber aufgehoben, sobald sie der Privatrache aus¬
gesetzt werden -- nicht der Rache für persönliche Beleidigungen, Beleidigungen
des Privatlebens, sondern der Rache für politische Angriffe.

Und darum hat jeder Einzelne, der in den Fall kommt, die ernste Pflicht,
um des Princips willen jedes Duell, welches sich auf einen politischen An¬
griff bezieht, entschieden abzulehnen. Gern glauben wir, daß es dem tüchtigen
Mann mitunter schwerer fällt, auf eine Herausforderung nicht einzugehen, als
zwanzig Pistolen gegenüber zu treten. Wer aber, wie gesagt, auf festen Füßen
steht, wird, indem er die Neigung der Pflicht unterordnet, auf allgemeine
Anerkennung rechnen können. Indem er die Herausforderung annimmt, stellt
er ein sehr böses Präjudiz für ähnliche Fälle, d. h. er muntert die Ein¬
schüchterung auf. er hemmt das freie Wort. Denn nicht von jedem Bürger
ist zu verlangen, daß er an der nobeln Passion des Schießens Vergnügen


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Dasselbe gilt von jedem Mann der Oeffentlichkeit.

Wenn ich z. B. von einem General behaupte, er habe sich als unfähig
bewiesen, und er mir darauf entgegnet, das Gesetz seines Standes zwinge
ihn. sich deshalb mit mir zu schießen, so werde ich ihm einfach darauf er¬
widern, daß ich sehr bedauern müsse, ihm bei dieser Erfüllung seiner Stan¬
despflicht nicht behilflich sein zu können, und ihn an die Gerichte ver-
weisen.

Dagegen hat er das Recht mir zu erwidern, ich verstehe von Militär¬
sachen nichts, und solle nicht darüber urtheilen. Die Endentscheidung steht
dann den Sachverständigen zu, die in letzter Instanz doch unbedingt die
öffentliche Meinung leiten.

Noch viel schlimmer ist es mit dem politischen Duell.

Es gibt nickt bloß bürgerliche Rechte, sondern auch bürgerliche Pflichten.
Sobald mir eine öffentliche Einrichtung, die in mein Verständniß fällt, als
verderblich für den Staat erscheint, so habe, ich die Pflicht, darauf
aufmerksam zu machen, und soviel ich kann, zur Abstellung derselben bei¬
zutragen. In wiefern Beamte vermöge ihrer Stellung zu Discretion ver¬
pflichtet und dadurch gebunden sind, kommt hier nicht in Frage.

Noch viel ernster, schwerer und unbedingter wird meine Pflicht, sobald
meine Stellung als Vertreter des Landes dieselbe als Pflicht gegen einen be¬
stimmten Kreis, gegen meine Committenten erscheinen läßt. Unterlasse ich die
Ausübung dieses Berufs, säume ich, die Schäden offen und bestimmt hervor¬
zuheben, so begehe ich eine schwere Pflichtverletzung.

Um den Abgeordneten diese Pflicht zu erleichtern, gewährt ihnen das
Gesetz Straflosigkeit für Alles, was sie in der Erfüllung ihres Amts thun,
und sichert sie vor jeder Verfolgung.

Diese Sicherheit wird aber aufgehoben, sobald sie der Privatrache aus¬
gesetzt werden — nicht der Rache für persönliche Beleidigungen, Beleidigungen
des Privatlebens, sondern der Rache für politische Angriffe.

Und darum hat jeder Einzelne, der in den Fall kommt, die ernste Pflicht,
um des Princips willen jedes Duell, welches sich auf einen politischen An¬
griff bezieht, entschieden abzulehnen. Gern glauben wir, daß es dem tüchtigen
Mann mitunter schwerer fällt, auf eine Herausforderung nicht einzugehen, als
zwanzig Pistolen gegenüber zu treten. Wer aber, wie gesagt, auf festen Füßen
steht, wird, indem er die Neigung der Pflicht unterordnet, auf allgemeine
Anerkennung rechnen können. Indem er die Herausforderung annimmt, stellt
er ein sehr böses Präjudiz für ähnliche Fälle, d. h. er muntert die Ein¬
schüchterung auf. er hemmt das freie Wort. Denn nicht von jedem Bürger
ist zu verlangen, daß er an der nobeln Passion des Schießens Vergnügen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/445>, abgerufen am 16.06.2024.