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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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aber wir schließen aus den Regeln des Privatverkehrs, daß man durch Stel¬
lung einer Präclusiv-Frist einen Correspondenten nöthigen kann, auf eine be¬
stimmte Frage durch Reden oder durch Schweigen eine bestimmte Antwort zu
geben. Durch das Wahlausschreiben der hessischen Regierung nach der letzten
östreichischen Note war die Situation geändert; es mußte daher festgestellt wer¬
den, ob Oestreich willens war, angesichts dieser veränderten Situation in der
früher vereinbarten Weise mit Preußen gemeinsam auf die kurfürstliche Re¬
gierung einzuwirken. War Oestreich das nicht Willens, so blieb Preußen nichts
Anderes übrig, als das zu thun, was Herr v. Rechberg etwas später gethan
hat: nämlich seine Noten zu veröffentlichen.

Einmal wäre dadurch ein ganz anderer Druck auf die kurfürstliche Ne¬
gierung ausgeübt worden, als durch die heimliche Zuflüsterung, bei der man
noch immer nicht weiß, ob sie nicht durch das betreffende Organ abgeschwächt
wird. Sodann aber -- und das ist bei weitem das Wichtigste -- hat die preu¬
ßische Regierung dem hessischen, dem deutschen und dem preußischen Volk
gegenüber eine heilige Ehrenschuld übernommen, und es ist für den Credit des
Staats nicht gleichgiltig. den Verdacht aufkommen zu lassen, daß man es mit
dieser Schuld kunst nehme. Und dieser Verdacht wurde in der That durch
die Organe Oestreichs sehr geschäftig ausgestreut.

Den 10. April wurde die preußische Note abgeschickt, den 9. Juli hat
man sie veröffentlicht. Nicht etwa, weil man sich vor der öffentlichen Mei¬
nung rechtfertigen wollte, denn das würde man für höchst ehrenrührig halten,
sondern weil Herr von Rechberg geradezu dazu aufforderte. Es liegt in allen
diesen Umständen eine gewisse Unklarheit Preußens, nicht in Bezug aus sein
Recht, sondern auf seine Macht, die wir etwas näher berühren müssen.

Zwar wissen wir sehr wohl, daß die feierlichen Noten, welche man nach¬
her drucken läßt, im internationalen Verkehr nicht immer die Hauptrolle spielen.
Aber die beiden Noten des Herrn v. Schleinitz machen in der That den
Eindruck, als ob sie seine wirkliche Ansicht über Oestreich enthalten, oder
wenigstens die Ansicht, die er als die seinige in Wien geltend machen
möchte.

Diese Ansicht kommt nun ungefähr darauf hinaus, daß Oestreich als ein
großartig aufblühender, bereits jetzt erheblich constitutioneller Staat berufen
sei, allen deutschen Staaten ihre Freiheit und ihr Recht zu schaffen. Mit
andern Worten, Herr v. Schleinitz möchte Oestreich bei der Ambition fassen.

Nun ist aber Oestreich nicht mehr ein so jugendlicher Staat, daß dergleichen
Mittel bei ihm verfangen sollten. Herr v. Rcchberg erwidert barsch, aber von seinem
Standpunkt ganz richtig: unsere Verfassung und unsere Ambition geht keinen An¬
dern etwas an; darüber haben wir allein zu urtheilen. -- Daß Preußen in den
letzten Jahren von Oestreich so wenig erreicht hat. liegt hauptsächlich darin, daß


aber wir schließen aus den Regeln des Privatverkehrs, daß man durch Stel¬
lung einer Präclusiv-Frist einen Correspondenten nöthigen kann, auf eine be¬
stimmte Frage durch Reden oder durch Schweigen eine bestimmte Antwort zu
geben. Durch das Wahlausschreiben der hessischen Regierung nach der letzten
östreichischen Note war die Situation geändert; es mußte daher festgestellt wer¬
den, ob Oestreich willens war, angesichts dieser veränderten Situation in der
früher vereinbarten Weise mit Preußen gemeinsam auf die kurfürstliche Re¬
gierung einzuwirken. War Oestreich das nicht Willens, so blieb Preußen nichts
Anderes übrig, als das zu thun, was Herr v. Rechberg etwas später gethan
hat: nämlich seine Noten zu veröffentlichen.

Einmal wäre dadurch ein ganz anderer Druck auf die kurfürstliche Ne¬
gierung ausgeübt worden, als durch die heimliche Zuflüsterung, bei der man
noch immer nicht weiß, ob sie nicht durch das betreffende Organ abgeschwächt
wird. Sodann aber — und das ist bei weitem das Wichtigste — hat die preu¬
ßische Regierung dem hessischen, dem deutschen und dem preußischen Volk
gegenüber eine heilige Ehrenschuld übernommen, und es ist für den Credit des
Staats nicht gleichgiltig. den Verdacht aufkommen zu lassen, daß man es mit
dieser Schuld kunst nehme. Und dieser Verdacht wurde in der That durch
die Organe Oestreichs sehr geschäftig ausgestreut.

Den 10. April wurde die preußische Note abgeschickt, den 9. Juli hat
man sie veröffentlicht. Nicht etwa, weil man sich vor der öffentlichen Mei¬
nung rechtfertigen wollte, denn das würde man für höchst ehrenrührig halten,
sondern weil Herr von Rechberg geradezu dazu aufforderte. Es liegt in allen
diesen Umständen eine gewisse Unklarheit Preußens, nicht in Bezug aus sein
Recht, sondern auf seine Macht, die wir etwas näher berühren müssen.

Zwar wissen wir sehr wohl, daß die feierlichen Noten, welche man nach¬
her drucken läßt, im internationalen Verkehr nicht immer die Hauptrolle spielen.
Aber die beiden Noten des Herrn v. Schleinitz machen in der That den
Eindruck, als ob sie seine wirkliche Ansicht über Oestreich enthalten, oder
wenigstens die Ansicht, die er als die seinige in Wien geltend machen
möchte.

Diese Ansicht kommt nun ungefähr darauf hinaus, daß Oestreich als ein
großartig aufblühender, bereits jetzt erheblich constitutioneller Staat berufen
sei, allen deutschen Staaten ihre Freiheit und ihr Recht zu schaffen. Mit
andern Worten, Herr v. Schleinitz möchte Oestreich bei der Ambition fassen.

Nun ist aber Oestreich nicht mehr ein so jugendlicher Staat, daß dergleichen
Mittel bei ihm verfangen sollten. Herr v. Rcchberg erwidert barsch, aber von seinem
Standpunkt ganz richtig: unsere Verfassung und unsere Ambition geht keinen An¬
dern etwas an; darüber haben wir allein zu urtheilen. — Daß Preußen in den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/126>, abgerufen am 17.06.2024.