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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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man in Oestreich annimmt, Preußen denke sich das gegenseitige Verhältniß
Wirklich so. wie Herr v. Schleinitz es darstellt. Diplomatischer d.'h. praktischer
wäre, den Oestreichern die Augen zu öffnen und sie auf die wirklichen Dinge
dieser Welt aufmerksam zu machen.

Der östreichische Constitutionalismus kommt auf Folgendes hinaus. Der
Staat war in einer grenzenlosen Geldverlegenheit; er fühlte die Nothwendig¬
keit, wenn nicht Alles zu Grunde gehen sollte, dieser Verlegenheit ein Ende
zu machen. Die allgemeine Stimme erklärte, nur durch eine Reichs¬
verfassung könne das geschehen. -- Aber unter Reichsverfassung ver¬
stand man zwei sehr verschiedene Dinge: die deutschen Liberalen wollten
für ganz Oestreich eine Konstitution in der Weise Englands; die Ungarn da¬
gegen, die Böhmen. Polen und Croaten verlangten eine Föderativ-Verfassung.
Die Regierung schwankte, zwischen den beiden Parteien, das Octoberdiplom
neigte sich mehr auf Sejte der letzteren, das Februardiplom mehr auf Seite
der ersteren. Indem darüber verhandelt wurde, griffen die Ungarn rasch zu,
sie stellten factisch die alte Verfassung her, und wenn innerhalb der Nation
Zwei Ansichten hervortraten, so handelte es sich nur um die Frage, ob man
sich ganz von Oestreich losreißen oder im Föderativ-Verein mit demselben
bleiben solle. Im Uebrigen war die ganze Nation einig und zwar so, daß
die gemäßigte Partei die Führung übernahm -- bis auf einen Punkt, wo sie
Schwäche und Uebereilung verrieth. Wie man diese Schwäche erklären soll,
ist noch heute i/swer zu sagen: der plötzliche und allgemeine Umschwung in
Folge des kaiserlichen Rescripts hätte doch schon früher erfolgen können.

Genug, die Sache liegt jetzt so. daß die Ungarn, um ihre eigene Freiheit
Zu wahren, den stolzen Palast der Freiheit, den man zu Wien aufrichten wollte,
nicht zu Stande kommen lassen, und daß die Wiener "Liberalen" die kaiser¬
liche Negierung drängen, das rebellische Ungarn mit Feuer und Schwert wie¬
der zu unterwerfen. Mit dieser Lage zwischen den beiden Parteien könnte die
Regierung ganz zufrieden sein, wenn nicht ein mißlicher Umstand dabei vorwaltete.

Welchen Zweck hatte das October- und Februardiplom? -- Ungarn zu
unterwerfen? -- das hatte man damals nicht nöthig. Ungarn war ja längst
unterworfen. -- Man wollte Geld haben, und da der Credit des Staates von
der Art war. daß auf sein bloßes ehrliches Gesicht kein Jude mehr borgte, so
wollte man sich eine ständische Garantie verschaffen. Daß ein Reichstag nicht
M Stande kommt, würde an sich der Regierung keine Thränen kosten, aber
der Reichstag ist nöthig, um eine Anleihe zu bewilligen. Kommt er also nicht
SU Stande, oder kommt er gezwungen zu Stande und wird daher oppositionell.
s° hat die Regierung ihren Zweck verfehlt und befindet sich in einer schlimmern
^ge als im October des vorigen Jahres; denn die Nothwendigkeit Ungarn
in Pacificiren, wird ihren Credit nicht heben.


man in Oestreich annimmt, Preußen denke sich das gegenseitige Verhältniß
Wirklich so. wie Herr v. Schleinitz es darstellt. Diplomatischer d.'h. praktischer
wäre, den Oestreichern die Augen zu öffnen und sie auf die wirklichen Dinge
dieser Welt aufmerksam zu machen.

Der östreichische Constitutionalismus kommt auf Folgendes hinaus. Der
Staat war in einer grenzenlosen Geldverlegenheit; er fühlte die Nothwendig¬
keit, wenn nicht Alles zu Grunde gehen sollte, dieser Verlegenheit ein Ende
zu machen. Die allgemeine Stimme erklärte, nur durch eine Reichs¬
verfassung könne das geschehen. — Aber unter Reichsverfassung ver¬
stand man zwei sehr verschiedene Dinge: die deutschen Liberalen wollten
für ganz Oestreich eine Konstitution in der Weise Englands; die Ungarn da¬
gegen, die Böhmen. Polen und Croaten verlangten eine Föderativ-Verfassung.
Die Regierung schwankte, zwischen den beiden Parteien, das Octoberdiplom
neigte sich mehr auf Sejte der letzteren, das Februardiplom mehr auf Seite
der ersteren. Indem darüber verhandelt wurde, griffen die Ungarn rasch zu,
sie stellten factisch die alte Verfassung her, und wenn innerhalb der Nation
Zwei Ansichten hervortraten, so handelte es sich nur um die Frage, ob man
sich ganz von Oestreich losreißen oder im Föderativ-Verein mit demselben
bleiben solle. Im Uebrigen war die ganze Nation einig und zwar so, daß
die gemäßigte Partei die Führung übernahm — bis auf einen Punkt, wo sie
Schwäche und Uebereilung verrieth. Wie man diese Schwäche erklären soll,
ist noch heute i/swer zu sagen: der plötzliche und allgemeine Umschwung in
Folge des kaiserlichen Rescripts hätte doch schon früher erfolgen können.

Genug, die Sache liegt jetzt so. daß die Ungarn, um ihre eigene Freiheit
Zu wahren, den stolzen Palast der Freiheit, den man zu Wien aufrichten wollte,
nicht zu Stande kommen lassen, und daß die Wiener „Liberalen" die kaiser¬
liche Negierung drängen, das rebellische Ungarn mit Feuer und Schwert wie¬
der zu unterwerfen. Mit dieser Lage zwischen den beiden Parteien könnte die
Regierung ganz zufrieden sein, wenn nicht ein mißlicher Umstand dabei vorwaltete.

Welchen Zweck hatte das October- und Februardiplom? — Ungarn zu
unterwerfen? — das hatte man damals nicht nöthig. Ungarn war ja längst
unterworfen. — Man wollte Geld haben, und da der Credit des Staates von
der Art war. daß auf sein bloßes ehrliches Gesicht kein Jude mehr borgte, so
wollte man sich eine ständische Garantie verschaffen. Daß ein Reichstag nicht
M Stande kommt, würde an sich der Regierung keine Thränen kosten, aber
der Reichstag ist nöthig, um eine Anleihe zu bewilligen. Kommt er also nicht
SU Stande, oder kommt er gezwungen zu Stande und wird daher oppositionell.
s° hat die Regierung ihren Zweck verfehlt und befindet sich in einer schlimmern
^ge als im October des vorigen Jahres; denn die Nothwendigkeit Ungarn
in Pacificiren, wird ihren Credit nicht heben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/127>, abgerufen am 27.05.2024.