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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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und wenn Kant lehrte: handle wie du sollst, ohne andere Nebeiigründe, so
heißt das eigentlich nichts Anderes, als: sei kein Waschlappen. Aber Beide
fehlten darin, daß sie aus diesem richtigen Princip nicht die Fülle der wirk¬
lichen Welt herzuleiten, oder sie nach demselben zu beurtheilen im Stande
waren. Wolfs kam wirklich blos auf die 10 Gebote heraus, und Kant blieb
bei der abstracten Form stehen; er lehrt über den Inhalt der Pflicht Wenig
oder gar Nichts. So siel die eigentliche oder positive Pflichtenlehre unvoll¬
kommenem und schwachen" Denkern in die Hand, z. B. Gellert, der in seiner
weinerlichen Moral immer darauf zurückkam, man soll die Leidenschaften ver¬
weisen, weil diese zu nichts Gutem führen. Gellert hielt daher auch den
Reitknecht für würdiger in den Himmel zu kommen, als Alexander den Großen.
Diese Art von engherziger, spießbürgerlicher Moral hatten die Romantiker im
Auge, wenn sie die Moral im Allgemeinen lächerlich machten und als einen
überwundenen Standpunkt darstellten.. Die Zweideutigkeit dieses Ausdrucks
hätte noch nicht so viel geschadet, wenn sie sür das, was sie an die Stelle
setzen wollten, nur einen poetisch verstündlichen Ausdruck gefunden Hütten; aber
sie gebildeten sich als Reformatoren, ohne zu wissen was sie eigentlich vor¬
hatten, und ohne die Kraft, das, was sie etwa wußten, zu sagen.

Da sie nun keine Sache hatten, sür die sie eigentlich warm wurden, und
doch das Bedürfniß der Wärme in sich fühlten, so ersetzten sie den Cultus der Dinge
durch den Cultus der Persönlichkeiten und zwar ihre eigenen Persönlichkeiten. Die
lächerliche Abgötterei, die sie mit ihren zufälligen Einfällen, Stimmungen, Empfin¬
dungen trieben, ist allgemein bekannt, und wenn der Kritiker der Preußischen Jahr¬
bücher versichert, in den vorliegenden Briefen erscheine Friedrich Schlegel besser
als sein Ruf, so bekenne ich, ihn acht zu verstehen. Was hat man denn
für Enthüllungen über Friedrich Schlegel erwartet? Etwa wilde Leidenschaften,
kolossale Laster, ruchlose Neigungen oder gar Verbrechen? Wer das von ihm
erwartet hat, muß noch wenig von ihm wissen. Was man aber schon aus
seinen Schriften schließen darf, findet man in diesen Briefen im höchsten Grade
bestätigt: eitle hohle Großsprecherei, die niemals wirklich in die Sache aus¬
geht, sondern immer nur mit dem Effect bcschüftigt ist, den die Person daraus
ziehen kann; unendliche Begeisterung sür das Großartige, was er im Begriff
ist zu schaffen, die denn doch eine geheime Unsicherheit versteckt. Und grade
ur dieser Beziehung ist es wünschenswerth, daß wir bei dieser Schule erwas
hinter dre Coulissen treten. Mit ihrem Treiben war nämlich auch eine große
Unwahrheit verbunden. Fast sämmtliche Freunde Friedrich Schlegels haben
in späterer Zeit erklärt, sie hätten die Lucinde und andere Thorheiten schon
damals vollkommen übersehen, namentlich A. W. Schlegel hat sich nach dem
Tode seines Bruders mit einer Härte über ihn ausgesprochen, die über alle
Begriffe geht. Welches von Beiden ist Maske? Das zu erfahren, wäre nicht


und wenn Kant lehrte: handle wie du sollst, ohne andere Nebeiigründe, so
heißt das eigentlich nichts Anderes, als: sei kein Waschlappen. Aber Beide
fehlten darin, daß sie aus diesem richtigen Princip nicht die Fülle der wirk¬
lichen Welt herzuleiten, oder sie nach demselben zu beurtheilen im Stande
waren. Wolfs kam wirklich blos auf die 10 Gebote heraus, und Kant blieb
bei der abstracten Form stehen; er lehrt über den Inhalt der Pflicht Wenig
oder gar Nichts. So siel die eigentliche oder positive Pflichtenlehre unvoll¬
kommenem und schwachen» Denkern in die Hand, z. B. Gellert, der in seiner
weinerlichen Moral immer darauf zurückkam, man soll die Leidenschaften ver¬
weisen, weil diese zu nichts Gutem führen. Gellert hielt daher auch den
Reitknecht für würdiger in den Himmel zu kommen, als Alexander den Großen.
Diese Art von engherziger, spießbürgerlicher Moral hatten die Romantiker im
Auge, wenn sie die Moral im Allgemeinen lächerlich machten und als einen
überwundenen Standpunkt darstellten.. Die Zweideutigkeit dieses Ausdrucks
hätte noch nicht so viel geschadet, wenn sie sür das, was sie an die Stelle
setzen wollten, nur einen poetisch verstündlichen Ausdruck gefunden Hütten; aber
sie gebildeten sich als Reformatoren, ohne zu wissen was sie eigentlich vor¬
hatten, und ohne die Kraft, das, was sie etwa wußten, zu sagen.

Da sie nun keine Sache hatten, sür die sie eigentlich warm wurden, und
doch das Bedürfniß der Wärme in sich fühlten, so ersetzten sie den Cultus der Dinge
durch den Cultus der Persönlichkeiten und zwar ihre eigenen Persönlichkeiten. Die
lächerliche Abgötterei, die sie mit ihren zufälligen Einfällen, Stimmungen, Empfin¬
dungen trieben, ist allgemein bekannt, und wenn der Kritiker der Preußischen Jahr¬
bücher versichert, in den vorliegenden Briefen erscheine Friedrich Schlegel besser
als sein Ruf, so bekenne ich, ihn acht zu verstehen. Was hat man denn
für Enthüllungen über Friedrich Schlegel erwartet? Etwa wilde Leidenschaften,
kolossale Laster, ruchlose Neigungen oder gar Verbrechen? Wer das von ihm
erwartet hat, muß noch wenig von ihm wissen. Was man aber schon aus
seinen Schriften schließen darf, findet man in diesen Briefen im höchsten Grade
bestätigt: eitle hohle Großsprecherei, die niemals wirklich in die Sache aus¬
geht, sondern immer nur mit dem Effect bcschüftigt ist, den die Person daraus
ziehen kann; unendliche Begeisterung sür das Großartige, was er im Begriff
ist zu schaffen, die denn doch eine geheime Unsicherheit versteckt. Und grade
ur dieser Beziehung ist es wünschenswerth, daß wir bei dieser Schule erwas
hinter dre Coulissen treten. Mit ihrem Treiben war nämlich auch eine große
Unwahrheit verbunden. Fast sämmtliche Freunde Friedrich Schlegels haben
in späterer Zeit erklärt, sie hätten die Lucinde und andere Thorheiten schon
damals vollkommen übersehen, namentlich A. W. Schlegel hat sich nach dem
Tode seines Bruders mit einer Härte über ihn ausgesprochen, die über alle
Begriffe geht. Welches von Beiden ist Maske? Das zu erfahren, wäre nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/122>, abgerufen am 15.05.2024.