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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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ohne Interesse, und nur darum bedaure ich, daß die Briefe nicht vollständig
veröffentlicht sind. Ob sich Caroline mit Dorothea über ihren Putz oder der¬
gleichen Dinge gezankt habe, das zu erfahren, bin ich nicht im Mindesten be¬
gierig, ich vermuthe aber, daß in den unterdrückten Stellen noch mehr flehen
wird und daß man erfahren wird, wie weit bei der Lucindenrcligion, die da¬
mals von der gesammten Schule getrieben wurde, offene Heuchelei gegen das
draußen stehende Volk und wie weit Selbsttäuschung vorhanden war.

In Bezug auf die Sittlichkeit fällt mir eine treffende Stelle aus einem
an sich schlechten Buche ein, aus der Schrift Heine's über Boerne. Heine
war in Beziehung auf Eitelkeit und Selbstanbetung mit Friedrich Schlegel
sehr verwandt, den er freilich an poetischer Kraft unendlich überragte. "Die
Welt", sagt er in jenem Buche, "ist am Ende gerecht und verzeiht die Flammen,
wenn nur der Brand stark und echt ist und schön lodert und lange; gegen
eitel verpuffendes Strohfeuer ist sie hart und verspottet jede ängstliche Halb¬
glut; die Welt achtet und ehrt jede Leidenschaft, sobald sie sich als eine wahre
erprobt, und die Zeit erzeugt auch in diesem Fall eine gewisse Legitimität."
Das ist vollkommen richtig und wie die Welt, so urtheilt auch die höhere
Sittlichkeit.

Die "Preußischen Jahrbücher" erwähnen noch den Uebertritt Friedrich
Schlegels zum Katholicismus und vermissen und wünschen nähere Aufklärung
darüber. Es ist möglich, daß im Einzelnen Noch die eine oder die andere
Notiz erfolgt, in der Hauptsache aber scheint mir Alles vollkommen fest zu
stehn und ich glaube, daß die Motive Friedrich Schlegels nicht hart genug
verurtheilt werden können. Ich will mich näher darüber erklären.

Wenn Einer übertritt, weil sein sinnliches Bedürfniß durch deu protestan¬
tischen Cult nicht befriedigt wird, so bedauern wir seinen kleinlichen'Begriff
von der Religion, aber wir bekennen, daß er dahin gegangen ist, wohin er
gehörte.

Wenn er, von Zweifeln und Gewissensbissen gequält, Ruhe sucht unter
dem sichern Schirme einer unanfaßbaren Autorität, so wird uns seine Willens¬
kraft keine große Achtung abnöthigen, aber wir werden ihm diese gelindere
Form des Selbstmordes nicht mißgönnen.

Strenger schon wird unser Tadel sein, wenn ein Kopf, der mehr esxrit
besitzt als Menschenverstand, sich durch Streitigkeiten mit Anderen und falsche
Schlußfolgen in ein Princip hereinredet, das ihm eigentlich fremd sein sollte;
aber selbst in diesem Fall haben wir unter gewissen Umständen das Gefühl
subjectiver Nothwendigkeit.

Am unfeinsten scheint es, wenn man des Geldes wegen die Religion


Grenzboten IV. 1861, 15

ohne Interesse, und nur darum bedaure ich, daß die Briefe nicht vollständig
veröffentlicht sind. Ob sich Caroline mit Dorothea über ihren Putz oder der¬
gleichen Dinge gezankt habe, das zu erfahren, bin ich nicht im Mindesten be¬
gierig, ich vermuthe aber, daß in den unterdrückten Stellen noch mehr flehen
wird und daß man erfahren wird, wie weit bei der Lucindenrcligion, die da¬
mals von der gesammten Schule getrieben wurde, offene Heuchelei gegen das
draußen stehende Volk und wie weit Selbsttäuschung vorhanden war.

In Bezug auf die Sittlichkeit fällt mir eine treffende Stelle aus einem
an sich schlechten Buche ein, aus der Schrift Heine's über Boerne. Heine
war in Beziehung auf Eitelkeit und Selbstanbetung mit Friedrich Schlegel
sehr verwandt, den er freilich an poetischer Kraft unendlich überragte. „Die
Welt", sagt er in jenem Buche, „ist am Ende gerecht und verzeiht die Flammen,
wenn nur der Brand stark und echt ist und schön lodert und lange; gegen
eitel verpuffendes Strohfeuer ist sie hart und verspottet jede ängstliche Halb¬
glut; die Welt achtet und ehrt jede Leidenschaft, sobald sie sich als eine wahre
erprobt, und die Zeit erzeugt auch in diesem Fall eine gewisse Legitimität."
Das ist vollkommen richtig und wie die Welt, so urtheilt auch die höhere
Sittlichkeit.

Die „Preußischen Jahrbücher" erwähnen noch den Uebertritt Friedrich
Schlegels zum Katholicismus und vermissen und wünschen nähere Aufklärung
darüber. Es ist möglich, daß im Einzelnen Noch die eine oder die andere
Notiz erfolgt, in der Hauptsache aber scheint mir Alles vollkommen fest zu
stehn und ich glaube, daß die Motive Friedrich Schlegels nicht hart genug
verurtheilt werden können. Ich will mich näher darüber erklären.

Wenn Einer übertritt, weil sein sinnliches Bedürfniß durch deu protestan¬
tischen Cult nicht befriedigt wird, so bedauern wir seinen kleinlichen'Begriff
von der Religion, aber wir bekennen, daß er dahin gegangen ist, wohin er
gehörte.

Wenn er, von Zweifeln und Gewissensbissen gequält, Ruhe sucht unter
dem sichern Schirme einer unanfaßbaren Autorität, so wird uns seine Willens¬
kraft keine große Achtung abnöthigen, aber wir werden ihm diese gelindere
Form des Selbstmordes nicht mißgönnen.

Strenger schon wird unser Tadel sein, wenn ein Kopf, der mehr esxrit
besitzt als Menschenverstand, sich durch Streitigkeiten mit Anderen und falsche
Schlußfolgen in ein Princip hereinredet, das ihm eigentlich fremd sein sollte;
aber selbst in diesem Fall haben wir unter gewissen Umständen das Gefühl
subjectiver Nothwendigkeit.

Am unfeinsten scheint es, wenn man des Geldes wegen die Religion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/123>, abgerufen am 29.04.2024.