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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Hindernisse, die sie der Bildung eines kräftigen Regimentes entgegensetzten,
waren groß, aber nicht unüberwindlich.

Die ihnen gegenüberstehende zuerst von Casimir Perier. nach dessen Tode
von Guizot geführte Partei des Widerstandes leitete in ihrem Kern ihre
Ueberlieferungen von der Schule der Doctrinärs ab. Der Ursprung des Na¬
mens fällt bekanntlich in das Jahr 1317. Royer-Collard. Camille Jourdan,
de Serre und andere Constitutionelle, die in der englischen Verfassung ihr
Vorbild sahen (freilich ohne die Grundlage derselben in Frankreich hervor¬
zaubern zu können), sagten sich bei Gelegenheit zweier sehr unpopulärer und reac-
tionärer Gesetzesvorlagen über ein Concordat und über die Presse von dem
eonstiwtion^Ilhas KZ-Wrä des Ministers Laimv los und bekämpften ihn, ohne
deshalb ihre Stellen als Staatsräthe niederzulegen; diese Haltung wurde ihnen
von den Unabhängigen zum Vorwurf gemacht; sie seien mevr in ihren Doctri-
nen. als in ihrer Praxis liberal. Der Name bezeichnet also ursprünglich solche Män¬
ner, die scharf ausgeprägte Doctrinen haben, jedoch nicht ihnen gemäß handeln,
nicht aber, wie jetzt gewöhnlich verstanden wird, solche, die, ohne den Umständen
Rechnung zu tragen, nur nach ihren Doctrinen handeln. Die Umbildung des Be¬
griffes lag sehr nahe, da eben die sogenannten Doctrinäre diejenigen waren, denen
am klarsten ein bestimmtes, aus historischen Studien entsprungenes Verfassungs¬
ideal vorschwebte. Unpraktisch waren sie nicht, wol aber Gegner jeder revolutio¬
nären Bewegung, den Schutz verfassungsmäßiger Freiheit sahen sie vor Allem in
einer starken und einheitlichen Negierung. Ihr Streben war. sich selbst zu einer
regierungsfähigen Partei zu gestalten. Unter Karl X. in eine scharfe Opposition
gedrängt, sahen sie nach der Gründung der Julimonarchie ihr Ziel gekommen.
Nach dem Falle des Ministeriums Lafette war es unvermeidlich, alle Elemente der
Ordnung zum kräftigen Widerstande gegen die vordrängende Anarchie zusam¬
menzufassen. Nach Periers Tode wurde das Haupt des Doctrinärs, Guizot.
Unterrichtsminister und die Seele des neuen Cabinets. In der Partei, auf
welche er sich stützte, bildeten indessen die Doctrinärs nur eine kleine und
sehr wenig beliebte Gruppe. Die große Partei umfaßte alle diejenigen, welche
von der Nothwendigkeit einer festen Regierungsgewalt überzeugt waren; die
verschiedensten Schattirungen waren in ihr vereinigt; das einzige Band, welches
sie zusammenhielt, war die gemeinsame Furcht vor der Anarchie. Der Zu¬
sammensetzung der Partei entsprach die des Ministeriums. Die Präsidentschaft
des Marschall Soult war eine Kriegserklärung gegen die Anarchisten; eine
Positiv-politische Idee konnte Niemand mit dem Namen verbinden. Thiers
als Minister des Innern war, seiner gewandten und dabei herrischen Natur
nach, trefflich befähigt, den administrativen Widerstand gegen die Revolution
zu organisiren. Aber auch aus einem anderen Grunde mußte man ihm seinen
Platz im Cabinette anweisen: man fürchtete seine gefährliche Opposition. Welch'


Grenzboten IV. 1S61. 28

Hindernisse, die sie der Bildung eines kräftigen Regimentes entgegensetzten,
waren groß, aber nicht unüberwindlich.

Die ihnen gegenüberstehende zuerst von Casimir Perier. nach dessen Tode
von Guizot geführte Partei des Widerstandes leitete in ihrem Kern ihre
Ueberlieferungen von der Schule der Doctrinärs ab. Der Ursprung des Na¬
mens fällt bekanntlich in das Jahr 1317. Royer-Collard. Camille Jourdan,
de Serre und andere Constitutionelle, die in der englischen Verfassung ihr
Vorbild sahen (freilich ohne die Grundlage derselben in Frankreich hervor¬
zaubern zu können), sagten sich bei Gelegenheit zweier sehr unpopulärer und reac-
tionärer Gesetzesvorlagen über ein Concordat und über die Presse von dem
eonstiwtion^Ilhas KZ-Wrä des Ministers Laimv los und bekämpften ihn, ohne
deshalb ihre Stellen als Staatsräthe niederzulegen; diese Haltung wurde ihnen
von den Unabhängigen zum Vorwurf gemacht; sie seien mevr in ihren Doctri-
nen. als in ihrer Praxis liberal. Der Name bezeichnet also ursprünglich solche Män¬
ner, die scharf ausgeprägte Doctrinen haben, jedoch nicht ihnen gemäß handeln,
nicht aber, wie jetzt gewöhnlich verstanden wird, solche, die, ohne den Umständen
Rechnung zu tragen, nur nach ihren Doctrinen handeln. Die Umbildung des Be¬
griffes lag sehr nahe, da eben die sogenannten Doctrinäre diejenigen waren, denen
am klarsten ein bestimmtes, aus historischen Studien entsprungenes Verfassungs¬
ideal vorschwebte. Unpraktisch waren sie nicht, wol aber Gegner jeder revolutio¬
nären Bewegung, den Schutz verfassungsmäßiger Freiheit sahen sie vor Allem in
einer starken und einheitlichen Negierung. Ihr Streben war. sich selbst zu einer
regierungsfähigen Partei zu gestalten. Unter Karl X. in eine scharfe Opposition
gedrängt, sahen sie nach der Gründung der Julimonarchie ihr Ziel gekommen.
Nach dem Falle des Ministeriums Lafette war es unvermeidlich, alle Elemente der
Ordnung zum kräftigen Widerstande gegen die vordrängende Anarchie zusam¬
menzufassen. Nach Periers Tode wurde das Haupt des Doctrinärs, Guizot.
Unterrichtsminister und die Seele des neuen Cabinets. In der Partei, auf
welche er sich stützte, bildeten indessen die Doctrinärs nur eine kleine und
sehr wenig beliebte Gruppe. Die große Partei umfaßte alle diejenigen, welche
von der Nothwendigkeit einer festen Regierungsgewalt überzeugt waren; die
verschiedensten Schattirungen waren in ihr vereinigt; das einzige Band, welches
sie zusammenhielt, war die gemeinsame Furcht vor der Anarchie. Der Zu¬
sammensetzung der Partei entsprach die des Ministeriums. Die Präsidentschaft
des Marschall Soult war eine Kriegserklärung gegen die Anarchisten; eine
Positiv-politische Idee konnte Niemand mit dem Namen verbinden. Thiers
als Minister des Innern war, seiner gewandten und dabei herrischen Natur
nach, trefflich befähigt, den administrativen Widerstand gegen die Revolution
zu organisiren. Aber auch aus einem anderen Grunde mußte man ihm seinen
Platz im Cabinette anweisen: man fürchtete seine gefährliche Opposition. Welch'


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[0227] Hindernisse, die sie der Bildung eines kräftigen Regimentes entgegensetzten, waren groß, aber nicht unüberwindlich. Die ihnen gegenüberstehende zuerst von Casimir Perier. nach dessen Tode von Guizot geführte Partei des Widerstandes leitete in ihrem Kern ihre Ueberlieferungen von der Schule der Doctrinärs ab. Der Ursprung des Na¬ mens fällt bekanntlich in das Jahr 1317. Royer-Collard. Camille Jourdan, de Serre und andere Constitutionelle, die in der englischen Verfassung ihr Vorbild sahen (freilich ohne die Grundlage derselben in Frankreich hervor¬ zaubern zu können), sagten sich bei Gelegenheit zweier sehr unpopulärer und reac- tionärer Gesetzesvorlagen über ein Concordat und über die Presse von dem eonstiwtion^Ilhas KZ-Wrä des Ministers Laimv los und bekämpften ihn, ohne deshalb ihre Stellen als Staatsräthe niederzulegen; diese Haltung wurde ihnen von den Unabhängigen zum Vorwurf gemacht; sie seien mevr in ihren Doctri- nen. als in ihrer Praxis liberal. Der Name bezeichnet also ursprünglich solche Män¬ ner, die scharf ausgeprägte Doctrinen haben, jedoch nicht ihnen gemäß handeln, nicht aber, wie jetzt gewöhnlich verstanden wird, solche, die, ohne den Umständen Rechnung zu tragen, nur nach ihren Doctrinen handeln. Die Umbildung des Be¬ griffes lag sehr nahe, da eben die sogenannten Doctrinäre diejenigen waren, denen am klarsten ein bestimmtes, aus historischen Studien entsprungenes Verfassungs¬ ideal vorschwebte. Unpraktisch waren sie nicht, wol aber Gegner jeder revolutio¬ nären Bewegung, den Schutz verfassungsmäßiger Freiheit sahen sie vor Allem in einer starken und einheitlichen Negierung. Ihr Streben war. sich selbst zu einer regierungsfähigen Partei zu gestalten. Unter Karl X. in eine scharfe Opposition gedrängt, sahen sie nach der Gründung der Julimonarchie ihr Ziel gekommen. Nach dem Falle des Ministeriums Lafette war es unvermeidlich, alle Elemente der Ordnung zum kräftigen Widerstande gegen die vordrängende Anarchie zusam¬ menzufassen. Nach Periers Tode wurde das Haupt des Doctrinärs, Guizot. Unterrichtsminister und die Seele des neuen Cabinets. In der Partei, auf welche er sich stützte, bildeten indessen die Doctrinärs nur eine kleine und sehr wenig beliebte Gruppe. Die große Partei umfaßte alle diejenigen, welche von der Nothwendigkeit einer festen Regierungsgewalt überzeugt waren; die verschiedensten Schattirungen waren in ihr vereinigt; das einzige Band, welches sie zusammenhielt, war die gemeinsame Furcht vor der Anarchie. Der Zu¬ sammensetzung der Partei entsprach die des Ministeriums. Die Präsidentschaft des Marschall Soult war eine Kriegserklärung gegen die Anarchisten; eine Positiv-politische Idee konnte Niemand mit dem Namen verbinden. Thiers als Minister des Innern war, seiner gewandten und dabei herrischen Natur nach, trefflich befähigt, den administrativen Widerstand gegen die Revolution zu organisiren. Aber auch aus einem anderen Grunde mußte man ihm seinen Platz im Cabinette anweisen: man fürchtete seine gefährliche Opposition. Welch' Grenzboten IV. 1S61. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/227>, abgerufen am 31.05.2024.