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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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eine Situation aber war es in dieser Zeit der Unruhe für das Cabinet. wenn
sein gewandtestes Mitglied zwar darin mit seinen Kollegen übereinstimmte,
daß dem revolutionären Geiste Zügel anzulegen jeien, übrigens aber sorgfältig
darauf bedacht war, eine gesonderte Stellung im Ministerium einzunehmen!
Bor Allem kam es ihm darauf an, mit den Doktrinärs, deren große Unpopu-
lantät ihm anstößig war, nicht in allzu nahe Verbindung zu treten. "Er
blieb", sagt Guizot, "ein wenig unruhig über das Bündniß mit den Doktri¬
närs und obgleich überzeugt von der Nothwendigkeit ihrer Mitwirkung gab
er sich doch einige Mühe, von ihnen, nicht getrennt, aber doch deutlich unter¬
schieden zu bleiben und zu scheinen". Es war ihm eben daran gelegen, sich
auch für künftige Eventualitäten möglich zu erhalten/ -

Wäre; von den Extremen abgesehen, die Spaltung in der Kammer auf
jene beiden großen Parteien beschränkt geblieben, so würden ohne Zweifel die
Verhältnisse sich "ach und nach gebessert haben. Beide Parteien würden sich
allmälig fester in sich geschlossen, sie würden die wohlthätige Reibung der
Gegensätze hervorgebracht haben, aus welcher der Fortschritt im constitutio-
nellen Systeme sich entwickelt. Sie würden sich um Parteidisciplin gewöhnt
haben; sie würden allmälig zu Krystallisativusquellen geworden sein, um die
alle Factionen des Landes, deren Existenz nicht geradezu auf die Revolution
gestellt war, sich sammeln konnten. Das Verhängnißvolle war aber, daß aus
den großen Parteien alsbald ein zersetzendes Element sich aufforderte, der
liörS'Mrti. Die Frnction bestand aus Abgeordneten ohne bestimmte politische
Grundsätze, dunkeln Ehrenmännern und kleinlichen Intriganten. Wankelmuth. an¬
spruchsvolle, aber kraftlose Eifersucht, reizbare Eigenliebe, Eitelkeit hielt die kleine
Schaar zusammen.. Dupin, obgleich nicht eigentlich zu ihnen gehörig (er
liebte es nicht, durch allzu enge Parteibande sich zu compromittiren), galt für
ihr erkorenes Haupt, wozu ihn auch seine Eigenschaften vollkommen befähigten.
In dieser Schaar war nun jedem Ehrgeizigen eine stets bereite Handhabe zur
Verfolgung eigennütziger Zwecke geboten. Gerade die Grundsatzlosigkeit dieser
Männer machte sie gesucht und bald gefürchtet. Sie gewannen das Gefühl
großer Wichtigkeit, ohne es mit den Gefahren und der Verantwortlichkeit, die
eine ernste politische Ansicht stets mit sich bringt, erkaufen zu müssen. Sie
haben daher auch am meisten dazu beigetragen, in Frankreich ein starkes
Regiment apf konstitutionellem Boden unmöglich zu machen. Sie haben in
den wichtigsten Fragen jede Regierung im Stiche gelassen, immer darauf be¬
dacht, "der Gewalt eine Lection zu ertheilen"; sie haben in jedes Cabinet den
Samen der Zwietracht gestreut, da sie jedem widerstrebenden oder intrigui-
renden Mitgliede eines Ministeriums Chancen für eine unabhängige und selb¬
ständige Stellung geboten haben. Es trat durch sie besonders jener Zustand
constitutioneller Corruption ein. in dem der Bestand eines Ministeriums nicht


eine Situation aber war es in dieser Zeit der Unruhe für das Cabinet. wenn
sein gewandtestes Mitglied zwar darin mit seinen Kollegen übereinstimmte,
daß dem revolutionären Geiste Zügel anzulegen jeien, übrigens aber sorgfältig
darauf bedacht war, eine gesonderte Stellung im Ministerium einzunehmen!
Bor Allem kam es ihm darauf an, mit den Doktrinärs, deren große Unpopu-
lantät ihm anstößig war, nicht in allzu nahe Verbindung zu treten. „Er
blieb", sagt Guizot, „ein wenig unruhig über das Bündniß mit den Doktri¬
närs und obgleich überzeugt von der Nothwendigkeit ihrer Mitwirkung gab
er sich doch einige Mühe, von ihnen, nicht getrennt, aber doch deutlich unter¬
schieden zu bleiben und zu scheinen". Es war ihm eben daran gelegen, sich
auch für künftige Eventualitäten möglich zu erhalten/ -

Wäre; von den Extremen abgesehen, die Spaltung in der Kammer auf
jene beiden großen Parteien beschränkt geblieben, so würden ohne Zweifel die
Verhältnisse sich »ach und nach gebessert haben. Beide Parteien würden sich
allmälig fester in sich geschlossen, sie würden die wohlthätige Reibung der
Gegensätze hervorgebracht haben, aus welcher der Fortschritt im constitutio-
nellen Systeme sich entwickelt. Sie würden sich um Parteidisciplin gewöhnt
haben; sie würden allmälig zu Krystallisativusquellen geworden sein, um die
alle Factionen des Landes, deren Existenz nicht geradezu auf die Revolution
gestellt war, sich sammeln konnten. Das Verhängnißvolle war aber, daß aus
den großen Parteien alsbald ein zersetzendes Element sich aufforderte, der
liörS'Mrti. Die Frnction bestand aus Abgeordneten ohne bestimmte politische
Grundsätze, dunkeln Ehrenmännern und kleinlichen Intriganten. Wankelmuth. an¬
spruchsvolle, aber kraftlose Eifersucht, reizbare Eigenliebe, Eitelkeit hielt die kleine
Schaar zusammen.. Dupin, obgleich nicht eigentlich zu ihnen gehörig (er
liebte es nicht, durch allzu enge Parteibande sich zu compromittiren), galt für
ihr erkorenes Haupt, wozu ihn auch seine Eigenschaften vollkommen befähigten.
In dieser Schaar war nun jedem Ehrgeizigen eine stets bereite Handhabe zur
Verfolgung eigennütziger Zwecke geboten. Gerade die Grundsatzlosigkeit dieser
Männer machte sie gesucht und bald gefürchtet. Sie gewannen das Gefühl
großer Wichtigkeit, ohne es mit den Gefahren und der Verantwortlichkeit, die
eine ernste politische Ansicht stets mit sich bringt, erkaufen zu müssen. Sie
haben daher auch am meisten dazu beigetragen, in Frankreich ein starkes
Regiment apf konstitutionellem Boden unmöglich zu machen. Sie haben in
den wichtigsten Fragen jede Regierung im Stiche gelassen, immer darauf be¬
dacht, „der Gewalt eine Lection zu ertheilen"; sie haben in jedes Cabinet den
Samen der Zwietracht gestreut, da sie jedem widerstrebenden oder intrigui-
renden Mitgliede eines Ministeriums Chancen für eine unabhängige und selb¬
ständige Stellung geboten haben. Es trat durch sie besonders jener Zustand
constitutioneller Corruption ein. in dem der Bestand eines Ministeriums nicht


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[0228] eine Situation aber war es in dieser Zeit der Unruhe für das Cabinet. wenn sein gewandtestes Mitglied zwar darin mit seinen Kollegen übereinstimmte, daß dem revolutionären Geiste Zügel anzulegen jeien, übrigens aber sorgfältig darauf bedacht war, eine gesonderte Stellung im Ministerium einzunehmen! Bor Allem kam es ihm darauf an, mit den Doktrinärs, deren große Unpopu- lantät ihm anstößig war, nicht in allzu nahe Verbindung zu treten. „Er blieb", sagt Guizot, „ein wenig unruhig über das Bündniß mit den Doktri¬ närs und obgleich überzeugt von der Nothwendigkeit ihrer Mitwirkung gab er sich doch einige Mühe, von ihnen, nicht getrennt, aber doch deutlich unter¬ schieden zu bleiben und zu scheinen". Es war ihm eben daran gelegen, sich auch für künftige Eventualitäten möglich zu erhalten/ - Wäre; von den Extremen abgesehen, die Spaltung in der Kammer auf jene beiden großen Parteien beschränkt geblieben, so würden ohne Zweifel die Verhältnisse sich »ach und nach gebessert haben. Beide Parteien würden sich allmälig fester in sich geschlossen, sie würden die wohlthätige Reibung der Gegensätze hervorgebracht haben, aus welcher der Fortschritt im constitutio- nellen Systeme sich entwickelt. Sie würden sich um Parteidisciplin gewöhnt haben; sie würden allmälig zu Krystallisativusquellen geworden sein, um die alle Factionen des Landes, deren Existenz nicht geradezu auf die Revolution gestellt war, sich sammeln konnten. Das Verhängnißvolle war aber, daß aus den großen Parteien alsbald ein zersetzendes Element sich aufforderte, der liörS'Mrti. Die Frnction bestand aus Abgeordneten ohne bestimmte politische Grundsätze, dunkeln Ehrenmännern und kleinlichen Intriganten. Wankelmuth. an¬ spruchsvolle, aber kraftlose Eifersucht, reizbare Eigenliebe, Eitelkeit hielt die kleine Schaar zusammen.. Dupin, obgleich nicht eigentlich zu ihnen gehörig (er liebte es nicht, durch allzu enge Parteibande sich zu compromittiren), galt für ihr erkorenes Haupt, wozu ihn auch seine Eigenschaften vollkommen befähigten. In dieser Schaar war nun jedem Ehrgeizigen eine stets bereite Handhabe zur Verfolgung eigennütziger Zwecke geboten. Gerade die Grundsatzlosigkeit dieser Männer machte sie gesucht und bald gefürchtet. Sie gewannen das Gefühl großer Wichtigkeit, ohne es mit den Gefahren und der Verantwortlichkeit, die eine ernste politische Ansicht stets mit sich bringt, erkaufen zu müssen. Sie haben daher auch am meisten dazu beigetragen, in Frankreich ein starkes Regiment apf konstitutionellem Boden unmöglich zu machen. Sie haben in den wichtigsten Fragen jede Regierung im Stiche gelassen, immer darauf be¬ dacht, „der Gewalt eine Lection zu ertheilen"; sie haben in jedes Cabinet den Samen der Zwietracht gestreut, da sie jedem widerstrebenden oder intrigui- renden Mitgliede eines Ministeriums Chancen für eine unabhängige und selb¬ ständige Stellung geboten haben. Es trat durch sie besonders jener Zustand constitutioneller Corruption ein. in dem der Bestand eines Ministeriums nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/228>, abgerufen am 15.05.2024.