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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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deuten Menge, ließen sie ihre Reden über den allgemeinen Völkerfrühling und
über die höhere Zukunft der Menschheit lebhaft ausklingen, und freuten sich,
wenn das Publicum ihnen lauten Beifall rief. Ging dann der Beifall in
gesetzwidrige Thätigkeit über, so überkam sie wieder die Besonnenheit, und sie
sahen ein, daß sie für ihre Ideen, für welche das Jahrhundert noch nicht
ganz reif sei, besser aus der Ferne wirken konnten, wohin sie sich denn auch
zurückzogen. Wer das Tagebuch Ludwig Simons gelesen hat, wird zu¬
geben müssen, daß die "Ritter vom Geist" keine leere Erfindung waren.

Das Eigenthümliche an der Sache lag nur darin, daß die Schilderung
von einem Ihresgleichen herrührte, daß sie von Bewunderung und Mitgefühl
getränkt war. Trotz der seltsam unbewußten Ironie, daß die Ritter vom
Geist selbst durch einen aus ihrer Mitte, der zur Regierung kam, auf die un¬
verantwortlichste Weise maltraitirt wurden, und daß von jedem von ihnen,
sobald er in eine ähnliche Lage gestellt wurde, das Nämliche zu erwarten stand,
wurde doch dies geistreiche, schönrednerische Ritterthum als der Kern
der Zukunft gefeiert. Die lebhafte Befriedigung, welche die Gleichgesinnten
empfinden mußten, wenn sie ihr Portrait. ,n einem solchen Vcrschönerungs-
spregel fanden, läßt sich leicht ermessen.

Von dem großen Kampf, welcher allen Wirren unserer Zeit zum Grunde
liegt, von dem Kampf der bürgerlichen gegen die adlige Gesinnung, war in
dem ganzen Buch keine Rede. Das Bürgerthum, mit seiner soliden, sicher
vorwärts schreitenden Arbeit, das unaufhaltsam in die Lücken des alten, Im¬
mer morscher werdenden Staatslebens eindringt, das nicht blos nach jedem
Sieg, sondern nach jeder Niederlage einen Fuß breit Landes weiter gewinnt,
und darum mit Nothwendigkeit das Werk der Geschichte vollführt, hatte keinen
Vertreter gesunden; wo es erwähnt wurde, geschah es mit Achselzucken, wie
man es von "Rittern" voraussetzen durfte, denen es neben dem Geist und der
Beredsamkeit auch auf lackirte Stiefeln und parfümirte Visitenkarten ankam.

Wenn Gutzkow diesen Roman aus seinen eigenen Empfindungen heraus¬
schreiben konnte, ohne sich um die wirklichen Zustände viel zu kümmern, so
stellte er sich bei seinem nächsten Werke die für sein Talent ungleich günstigere
Aufgabe, sich in einen ihm fremden Stoff zu vertiefen, und vasirte das In¬
teresse desselben auf massenhafte Beobachtung des Details. Der "Zauberer
von Rom" ist der Papst, und der Zweck dieser neun starken Bände ein Ge-
sammtbild der katholischen Kirche in Deutschland und Italien von den Kölner
Wirren an bis auf unsere Zeit. Gutzkow läßt die Geschichte, die nur durch
die verschiedenen Persönlichkeiten zusammenhängt, in allen möglichen Theilen
des westlichen und südlichen Deutschlands spielen, und bemüht sich überall, die
Personen und Sachen so zu charakterisieren, wie sie ihm seine Reisen gezeigt
haben. Was an dem Buch zu loben ist, bezieht sich lediglich auf dies reali-


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deuten Menge, ließen sie ihre Reden über den allgemeinen Völkerfrühling und
über die höhere Zukunft der Menschheit lebhaft ausklingen, und freuten sich,
wenn das Publicum ihnen lauten Beifall rief. Ging dann der Beifall in
gesetzwidrige Thätigkeit über, so überkam sie wieder die Besonnenheit, und sie
sahen ein, daß sie für ihre Ideen, für welche das Jahrhundert noch nicht
ganz reif sei, besser aus der Ferne wirken konnten, wohin sie sich denn auch
zurückzogen. Wer das Tagebuch Ludwig Simons gelesen hat, wird zu¬
geben müssen, daß die „Ritter vom Geist" keine leere Erfindung waren.

Das Eigenthümliche an der Sache lag nur darin, daß die Schilderung
von einem Ihresgleichen herrührte, daß sie von Bewunderung und Mitgefühl
getränkt war. Trotz der seltsam unbewußten Ironie, daß die Ritter vom
Geist selbst durch einen aus ihrer Mitte, der zur Regierung kam, auf die un¬
verantwortlichste Weise maltraitirt wurden, und daß von jedem von ihnen,
sobald er in eine ähnliche Lage gestellt wurde, das Nämliche zu erwarten stand,
wurde doch dies geistreiche, schönrednerische Ritterthum als der Kern
der Zukunft gefeiert. Die lebhafte Befriedigung, welche die Gleichgesinnten
empfinden mußten, wenn sie ihr Portrait. ,n einem solchen Vcrschönerungs-
spregel fanden, läßt sich leicht ermessen.

Von dem großen Kampf, welcher allen Wirren unserer Zeit zum Grunde
liegt, von dem Kampf der bürgerlichen gegen die adlige Gesinnung, war in
dem ganzen Buch keine Rede. Das Bürgerthum, mit seiner soliden, sicher
vorwärts schreitenden Arbeit, das unaufhaltsam in die Lücken des alten, Im¬
mer morscher werdenden Staatslebens eindringt, das nicht blos nach jedem
Sieg, sondern nach jeder Niederlage einen Fuß breit Landes weiter gewinnt,
und darum mit Nothwendigkeit das Werk der Geschichte vollführt, hatte keinen
Vertreter gesunden; wo es erwähnt wurde, geschah es mit Achselzucken, wie
man es von „Rittern" voraussetzen durfte, denen es neben dem Geist und der
Beredsamkeit auch auf lackirte Stiefeln und parfümirte Visitenkarten ankam.

Wenn Gutzkow diesen Roman aus seinen eigenen Empfindungen heraus¬
schreiben konnte, ohne sich um die wirklichen Zustände viel zu kümmern, so
stellte er sich bei seinem nächsten Werke die für sein Talent ungleich günstigere
Aufgabe, sich in einen ihm fremden Stoff zu vertiefen, und vasirte das In¬
teresse desselben auf massenhafte Beobachtung des Details. Der „Zauberer
von Rom" ist der Papst, und der Zweck dieser neun starken Bände ein Ge-
sammtbild der katholischen Kirche in Deutschland und Italien von den Kölner
Wirren an bis auf unsere Zeit. Gutzkow läßt die Geschichte, die nur durch
die verschiedenen Persönlichkeiten zusammenhängt, in allen möglichen Theilen
des westlichen und südlichen Deutschlands spielen, und bemüht sich überall, die
Personen und Sachen so zu charakterisieren, wie sie ihm seine Reisen gezeigt
haben. Was an dem Buch zu loben ist, bezieht sich lediglich auf dies reali-


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[0253] deuten Menge, ließen sie ihre Reden über den allgemeinen Völkerfrühling und über die höhere Zukunft der Menschheit lebhaft ausklingen, und freuten sich, wenn das Publicum ihnen lauten Beifall rief. Ging dann der Beifall in gesetzwidrige Thätigkeit über, so überkam sie wieder die Besonnenheit, und sie sahen ein, daß sie für ihre Ideen, für welche das Jahrhundert noch nicht ganz reif sei, besser aus der Ferne wirken konnten, wohin sie sich denn auch zurückzogen. Wer das Tagebuch Ludwig Simons gelesen hat, wird zu¬ geben müssen, daß die „Ritter vom Geist" keine leere Erfindung waren. Das Eigenthümliche an der Sache lag nur darin, daß die Schilderung von einem Ihresgleichen herrührte, daß sie von Bewunderung und Mitgefühl getränkt war. Trotz der seltsam unbewußten Ironie, daß die Ritter vom Geist selbst durch einen aus ihrer Mitte, der zur Regierung kam, auf die un¬ verantwortlichste Weise maltraitirt wurden, und daß von jedem von ihnen, sobald er in eine ähnliche Lage gestellt wurde, das Nämliche zu erwarten stand, wurde doch dies geistreiche, schönrednerische Ritterthum als der Kern der Zukunft gefeiert. Die lebhafte Befriedigung, welche die Gleichgesinnten empfinden mußten, wenn sie ihr Portrait. ,n einem solchen Vcrschönerungs- spregel fanden, läßt sich leicht ermessen. Von dem großen Kampf, welcher allen Wirren unserer Zeit zum Grunde liegt, von dem Kampf der bürgerlichen gegen die adlige Gesinnung, war in dem ganzen Buch keine Rede. Das Bürgerthum, mit seiner soliden, sicher vorwärts schreitenden Arbeit, das unaufhaltsam in die Lücken des alten, Im¬ mer morscher werdenden Staatslebens eindringt, das nicht blos nach jedem Sieg, sondern nach jeder Niederlage einen Fuß breit Landes weiter gewinnt, und darum mit Nothwendigkeit das Werk der Geschichte vollführt, hatte keinen Vertreter gesunden; wo es erwähnt wurde, geschah es mit Achselzucken, wie man es von „Rittern" voraussetzen durfte, denen es neben dem Geist und der Beredsamkeit auch auf lackirte Stiefeln und parfümirte Visitenkarten ankam. Wenn Gutzkow diesen Roman aus seinen eigenen Empfindungen heraus¬ schreiben konnte, ohne sich um die wirklichen Zustände viel zu kümmern, so stellte er sich bei seinem nächsten Werke die für sein Talent ungleich günstigere Aufgabe, sich in einen ihm fremden Stoff zu vertiefen, und vasirte das In¬ teresse desselben auf massenhafte Beobachtung des Details. Der „Zauberer von Rom" ist der Papst, und der Zweck dieser neun starken Bände ein Ge- sammtbild der katholischen Kirche in Deutschland und Italien von den Kölner Wirren an bis auf unsere Zeit. Gutzkow läßt die Geschichte, die nur durch die verschiedenen Persönlichkeiten zusammenhängt, in allen möglichen Theilen des westlichen und südlichen Deutschlands spielen, und bemüht sich überall, die Personen und Sachen so zu charakterisieren, wie sie ihm seine Reisen gezeigt haben. Was an dem Buch zu loben ist, bezieht sich lediglich auf dies reali- 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/253>, abgerufen am 18.05.2024.