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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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stische Talent. Für kleine Schwächen der Eigenliebe, der Koketterie u. s. w.
zeigt Gutzkow schon in seinen früheren Schriften ein scharfes Auge; er hätte
es noch bedeutend schärfen können, wenn er es nicht durch gefärbte und ver¬
kehrt geschliffene Gläser, d. h. durch Phrasen, durch schwungvolle, aber nichts¬
sagende Redensarten verdorben hätt-e.

Es kam ihm aber nicht blos darauf an. was er vom katholischen Leben
gesehen, dem protestantischen Publicum, welches keine Gelegenheit dazu hatte,
mitzutheilen, sondern er wollte zugleich die historische Bedeutung der katholi¬
schen Kirche tiefer begründen, und durch eine Art von Inspiration das Prob¬
lem lösen, an dem schon so viele Jahrhunderte gearbeitet haben.

Das Erscheinen der letzten Bände verzögerte sich sehr lange, und der Ge¬
danke lag nahe, daß der Dichter diese Inspiration von den Begebenheiten
erwartete. Seit dem italienischen Krieg schien eine ungeheuere Katastrophe
des Papstthums unvermeidlich, und die nationale Umgestaltung der politischen
Verhältnisse in Italien schien nur durch eine gänzliche Umgestaltung der Hier¬
archie möglich zu sein. Der Einzug Victor Emanuels oder Gcmbaldi's in
Rom wäre ein kräftiger historischer Schluß für einen Roman gewesen, der
mit Lucinde, Klingsohr und ähnlichem Lumpengesindel begann.

Allein die Geschichte war nicht so gefällig, dem Wunsch des Dichters in
die Hände zu arbeiten: die römische Frage wurde fortwährend vertagt, und der
Roman mußte doch endlich zum Schluß kommen. Gutzkow läßt also auf den
jetzt regierende" Papst noch mehrere andere folgen, dann aber besteigt der
heilige Bonaventura den Thron; gewählt unter den Acclamationen und mit
Hülfe der Drohungen des römischen Pöbels, gestützt von Garibaldi oder einem
ähnlichen Dictator, der mit gezücktem Schwert das Heiligthum bewachte ,

Bis dahin hatte der Dichter freies Spiel. Zwar lst nicht viel Chance
dafür vorhanden, daß zu irgend einer Zeit die Wahl des Conclave auf einen
Heiligen fallen wird, der neben seiner Heiligkeit auch ein arger Ketzer ist;
allein da dies Ereigniß in eine Zeit verlegt wird, welche sich vorläufig der
Controle des Publicums entzieht, so darf man mit dieser Erfindung nicht
rechten. Es sei: ein Heiliger wird Papst, ein Heiliger, der zugleich äußerst
aufgeklärte Grundsätze hat. Aber nun folgt die Phantasie, die an der Phrase
geschult ist: dieser Heilige proclamirt die Aufhebung der bisherigen Hierarchie
und die Einberufung eines allgemeinen Concils, und damit ist die römische
Frage erledigt.

Es genügt doch noch nicht, wenn man -die katholische Kirche in ihrer
Machtfülle -und in ihren Verwirrungen charakterisiren will, die Studien an
Kölner, Wiener und römischen Physiognomien gemacht zu haben. Wenn man
durch die wohlwollende Gesinnung irgend -eines heiligen Mannes, er stehe auf
der höchsten Spitze, eine Macht erschüttern zu können glaubt, die auf den


stische Talent. Für kleine Schwächen der Eigenliebe, der Koketterie u. s. w.
zeigt Gutzkow schon in seinen früheren Schriften ein scharfes Auge; er hätte
es noch bedeutend schärfen können, wenn er es nicht durch gefärbte und ver¬
kehrt geschliffene Gläser, d. h. durch Phrasen, durch schwungvolle, aber nichts¬
sagende Redensarten verdorben hätt-e.

Es kam ihm aber nicht blos darauf an. was er vom katholischen Leben
gesehen, dem protestantischen Publicum, welches keine Gelegenheit dazu hatte,
mitzutheilen, sondern er wollte zugleich die historische Bedeutung der katholi¬
schen Kirche tiefer begründen, und durch eine Art von Inspiration das Prob¬
lem lösen, an dem schon so viele Jahrhunderte gearbeitet haben.

Das Erscheinen der letzten Bände verzögerte sich sehr lange, und der Ge¬
danke lag nahe, daß der Dichter diese Inspiration von den Begebenheiten
erwartete. Seit dem italienischen Krieg schien eine ungeheuere Katastrophe
des Papstthums unvermeidlich, und die nationale Umgestaltung der politischen
Verhältnisse in Italien schien nur durch eine gänzliche Umgestaltung der Hier¬
archie möglich zu sein. Der Einzug Victor Emanuels oder Gcmbaldi's in
Rom wäre ein kräftiger historischer Schluß für einen Roman gewesen, der
mit Lucinde, Klingsohr und ähnlichem Lumpengesindel begann.

Allein die Geschichte war nicht so gefällig, dem Wunsch des Dichters in
die Hände zu arbeiten: die römische Frage wurde fortwährend vertagt, und der
Roman mußte doch endlich zum Schluß kommen. Gutzkow läßt also auf den
jetzt regierende» Papst noch mehrere andere folgen, dann aber besteigt der
heilige Bonaventura den Thron; gewählt unter den Acclamationen und mit
Hülfe der Drohungen des römischen Pöbels, gestützt von Garibaldi oder einem
ähnlichen Dictator, der mit gezücktem Schwert das Heiligthum bewachte ,

Bis dahin hatte der Dichter freies Spiel. Zwar lst nicht viel Chance
dafür vorhanden, daß zu irgend einer Zeit die Wahl des Conclave auf einen
Heiligen fallen wird, der neben seiner Heiligkeit auch ein arger Ketzer ist;
allein da dies Ereigniß in eine Zeit verlegt wird, welche sich vorläufig der
Controle des Publicums entzieht, so darf man mit dieser Erfindung nicht
rechten. Es sei: ein Heiliger wird Papst, ein Heiliger, der zugleich äußerst
aufgeklärte Grundsätze hat. Aber nun folgt die Phantasie, die an der Phrase
geschult ist: dieser Heilige proclamirt die Aufhebung der bisherigen Hierarchie
und die Einberufung eines allgemeinen Concils, und damit ist die römische
Frage erledigt.

Es genügt doch noch nicht, wenn man -die katholische Kirche in ihrer
Machtfülle -und in ihren Verwirrungen charakterisiren will, die Studien an
Kölner, Wiener und römischen Physiognomien gemacht zu haben. Wenn man
durch die wohlwollende Gesinnung irgend -eines heiligen Mannes, er stehe auf
der höchsten Spitze, eine Macht erschüttern zu können glaubt, die auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/254>, abgerufen am 18.06.2024.