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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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dieser Erscheinung liegen bereits in der Geschichte des altmonarchischcn Frank¬
reichs begründet. Die Monarchie hatte alle selbständigen Mächte des Feudal-
stnates sich unterworfen; sie hatte alle Privilegien des mittelalterlichen Frank¬
reichs ihrem Willen dienstbar gemacht. Aber sie hatte die Privilegien selbst
bestehen lassen. Sie hatte, eingedenk'des ..Theile und herrsche", in der Un¬
zahl verschiedener, sich einander balancirender Rechte ein bequemes Mittel der
Herrschaft gesehen, und es daher versäumt, dem modernen Staatsprincip moderne
Grundlagen zu geben, den Absolutismus zum Träger des Rechtsstaates zu
machen. Unten vegeiirte die Naturwüchsigkeit des Mittelalters in ihrer schlimm¬
sten Gestalt, wahrend oben die Verwaltung zur schärfsten Centralisation sich
zusammcnspitzte. Gegen diese socialen Mißstände richtete die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts die ganze Schärfe ihrer Kritik. Und nicht ohne
Grund! War die sociale Hierarchie (um den Lieblingsausdruck der franzö¬
sischen Publicistik zu gebrauchen) früher ein Damm und Schuh gegen die an¬
drängende Gewalt des Königthums gewesen, so diente sie, nachdem der Abso¬
lutismus einmal fest gegründet war, nur dazu, den Druck, der von oben auf
Alle ausgeübt wurde, in weiteren und engeren Kreisen zu vervielfältigen.
Gegen das sociale Regime, nicht gegen die Monarchie, erhob sich daher der
Sturm, der die Revolution einleitete. Aber mit den Privilegien warf die
Revolution zugleich das Königthum um, weil dieses in der entscheidenden
Stunde versucht hatte, sich in schwerer Verblendung auf die schon im Falle
begriffenen, ihm seit Jahrhunderten principiell feindlichen Mächte zu stützen.
Mit den ersten Schlägen der Revolution war die Gleichheit errungen und
hatte in den Menschenrechten ihren allumfassenden, darum aber auch der poli¬
tischen Schöpfungskraft entbehrenden Ausdruck gefunden. Dem Gewinne der
absoluten Gleichheit war auf lange Zeit die politische Freiheit zum Opfer ge¬
bracht. Auf die sociale Hierarchie des alten Regime folgte, nachdem die Stürme
der Revolution sich ausgetobt hatten, die administrative Hierarchie des Kaiser¬
tums, die dem modernen Frankreich den officiellen Stempel aufgedrückt hat.
Der Auflösung der Gesellschaft gegenüber war die straffe Organisation der
Verwaltung, die unbeschränkteste Dispositionsfähigkeit der Staatsgewalt über
alle Organe eine unabweisliche Nothwendigkeit geworden. Darin stimmen alle
Parteien, Conservative und Liberale wie Radicale, Monarchisten wie Repu¬
blikaner überein. Und gerade die Radicalen gehen in ihren Ideen von der
Allmacht der Staatsgewalt am weitesten. Der Republikaner weiß dem con-
stitutionellen Frankreich kaum einen größeren Vorwurf zu machen, als den der
Anarchie der Meinungen. Jeder will für seine Meinung nicht Freiheit, son¬
dern die absoluteste Herrschaft. Wir sehen, wie nahe gerade in Frankreich
die katholische Doctrin mit der demokratischen in einer eigenthümlichen Ver¬
wandtschaft steht. Der Uebergang des Abbe de Lammenais aus dem ultra-


dieser Erscheinung liegen bereits in der Geschichte des altmonarchischcn Frank¬
reichs begründet. Die Monarchie hatte alle selbständigen Mächte des Feudal-
stnates sich unterworfen; sie hatte alle Privilegien des mittelalterlichen Frank¬
reichs ihrem Willen dienstbar gemacht. Aber sie hatte die Privilegien selbst
bestehen lassen. Sie hatte, eingedenk'des ..Theile und herrsche", in der Un¬
zahl verschiedener, sich einander balancirender Rechte ein bequemes Mittel der
Herrschaft gesehen, und es daher versäumt, dem modernen Staatsprincip moderne
Grundlagen zu geben, den Absolutismus zum Träger des Rechtsstaates zu
machen. Unten vegeiirte die Naturwüchsigkeit des Mittelalters in ihrer schlimm¬
sten Gestalt, wahrend oben die Verwaltung zur schärfsten Centralisation sich
zusammcnspitzte. Gegen diese socialen Mißstände richtete die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts die ganze Schärfe ihrer Kritik. Und nicht ohne
Grund! War die sociale Hierarchie (um den Lieblingsausdruck der franzö¬
sischen Publicistik zu gebrauchen) früher ein Damm und Schuh gegen die an¬
drängende Gewalt des Königthums gewesen, so diente sie, nachdem der Abso¬
lutismus einmal fest gegründet war, nur dazu, den Druck, der von oben auf
Alle ausgeübt wurde, in weiteren und engeren Kreisen zu vervielfältigen.
Gegen das sociale Regime, nicht gegen die Monarchie, erhob sich daher der
Sturm, der die Revolution einleitete. Aber mit den Privilegien warf die
Revolution zugleich das Königthum um, weil dieses in der entscheidenden
Stunde versucht hatte, sich in schwerer Verblendung auf die schon im Falle
begriffenen, ihm seit Jahrhunderten principiell feindlichen Mächte zu stützen.
Mit den ersten Schlägen der Revolution war die Gleichheit errungen und
hatte in den Menschenrechten ihren allumfassenden, darum aber auch der poli¬
tischen Schöpfungskraft entbehrenden Ausdruck gefunden. Dem Gewinne der
absoluten Gleichheit war auf lange Zeit die politische Freiheit zum Opfer ge¬
bracht. Auf die sociale Hierarchie des alten Regime folgte, nachdem die Stürme
der Revolution sich ausgetobt hatten, die administrative Hierarchie des Kaiser¬
tums, die dem modernen Frankreich den officiellen Stempel aufgedrückt hat.
Der Auflösung der Gesellschaft gegenüber war die straffe Organisation der
Verwaltung, die unbeschränkteste Dispositionsfähigkeit der Staatsgewalt über
alle Organe eine unabweisliche Nothwendigkeit geworden. Darin stimmen alle
Parteien, Conservative und Liberale wie Radicale, Monarchisten wie Repu¬
blikaner überein. Und gerade die Radicalen gehen in ihren Ideen von der
Allmacht der Staatsgewalt am weitesten. Der Republikaner weiß dem con-
stitutionellen Frankreich kaum einen größeren Vorwurf zu machen, als den der
Anarchie der Meinungen. Jeder will für seine Meinung nicht Freiheit, son¬
dern die absoluteste Herrschaft. Wir sehen, wie nahe gerade in Frankreich
die katholische Doctrin mit der demokratischen in einer eigenthümlichen Ver¬
wandtschaft steht. Der Uebergang des Abbe de Lammenais aus dem ultra-


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[0314] dieser Erscheinung liegen bereits in der Geschichte des altmonarchischcn Frank¬ reichs begründet. Die Monarchie hatte alle selbständigen Mächte des Feudal- stnates sich unterworfen; sie hatte alle Privilegien des mittelalterlichen Frank¬ reichs ihrem Willen dienstbar gemacht. Aber sie hatte die Privilegien selbst bestehen lassen. Sie hatte, eingedenk'des ..Theile und herrsche", in der Un¬ zahl verschiedener, sich einander balancirender Rechte ein bequemes Mittel der Herrschaft gesehen, und es daher versäumt, dem modernen Staatsprincip moderne Grundlagen zu geben, den Absolutismus zum Träger des Rechtsstaates zu machen. Unten vegeiirte die Naturwüchsigkeit des Mittelalters in ihrer schlimm¬ sten Gestalt, wahrend oben die Verwaltung zur schärfsten Centralisation sich zusammcnspitzte. Gegen diese socialen Mißstände richtete die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts die ganze Schärfe ihrer Kritik. Und nicht ohne Grund! War die sociale Hierarchie (um den Lieblingsausdruck der franzö¬ sischen Publicistik zu gebrauchen) früher ein Damm und Schuh gegen die an¬ drängende Gewalt des Königthums gewesen, so diente sie, nachdem der Abso¬ lutismus einmal fest gegründet war, nur dazu, den Druck, der von oben auf Alle ausgeübt wurde, in weiteren und engeren Kreisen zu vervielfältigen. Gegen das sociale Regime, nicht gegen die Monarchie, erhob sich daher der Sturm, der die Revolution einleitete. Aber mit den Privilegien warf die Revolution zugleich das Königthum um, weil dieses in der entscheidenden Stunde versucht hatte, sich in schwerer Verblendung auf die schon im Falle begriffenen, ihm seit Jahrhunderten principiell feindlichen Mächte zu stützen. Mit den ersten Schlägen der Revolution war die Gleichheit errungen und hatte in den Menschenrechten ihren allumfassenden, darum aber auch der poli¬ tischen Schöpfungskraft entbehrenden Ausdruck gefunden. Dem Gewinne der absoluten Gleichheit war auf lange Zeit die politische Freiheit zum Opfer ge¬ bracht. Auf die sociale Hierarchie des alten Regime folgte, nachdem die Stürme der Revolution sich ausgetobt hatten, die administrative Hierarchie des Kaiser¬ tums, die dem modernen Frankreich den officiellen Stempel aufgedrückt hat. Der Auflösung der Gesellschaft gegenüber war die straffe Organisation der Verwaltung, die unbeschränkteste Dispositionsfähigkeit der Staatsgewalt über alle Organe eine unabweisliche Nothwendigkeit geworden. Darin stimmen alle Parteien, Conservative und Liberale wie Radicale, Monarchisten wie Repu¬ blikaner überein. Und gerade die Radicalen gehen in ihren Ideen von der Allmacht der Staatsgewalt am weitesten. Der Republikaner weiß dem con- stitutionellen Frankreich kaum einen größeren Vorwurf zu machen, als den der Anarchie der Meinungen. Jeder will für seine Meinung nicht Freiheit, son¬ dern die absoluteste Herrschaft. Wir sehen, wie nahe gerade in Frankreich die katholische Doctrin mit der demokratischen in einer eigenthümlichen Ver¬ wandtschaft steht. Der Uebergang des Abbe de Lammenais aus dem ultra-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/314>, abgerufen am 29.04.2024.