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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Männer können sich von diesen Erinnerungen nicht befreien. Selbst bis in
die Spitzen der Regierung reicht das Vorurtheil, welches einen Namen von
etwas demokratischen Klang für gefährlicher hält, als den schlimmsten und
feindseligsten Reactionär. Wir hoffen nichts mehr, als daß die ersten Wochen
des Landtags dieses Vorurtheil überwinden werden.

Wo das politische Leben gesund ist, da müssen alle im Lande wirklich
vorhandenen Parteien auch im Landtag vertreten sein. Wir bedauern auf¬
richtig, daß die besten Köpfe der feudalen Reaction diesmal fehlen; aber aus
demselben Grunde freuen wir uns, daß die Demokratie durch ihre besten
Köpfe vertreten ist. Eine Partei, welche gesunde Lebenskraft besitzt, hat den
Kampf mit ihren Gegnern nicht zu fürchten; und wenn die Konstitutionellen
diesmal etwas weniger schläfrig und vertrauensselig sein werden, als bisher, so
ist das ein Vortheil, für welchen sie sich bei ihren weiter links gehenden
Kollegen zu bedanken haben. Daß die Demokratie sich Jahre lang von der
Betheiligung am politischen Leben in Preußen fern hielt, war sehr zu be-
klagen. Wenn jetzt wieder demokratische Elemente zum Vorschein kommen,
so soll man sie nicht von vornherein zurückstoßen. Denn dadurch treibt man
sie dahin, principiell gegen das Ministerium zu frondiren. Gelänge es aber
wirklich, sie gänzlich auszuschließen, so müßte die Partei nach und nach in
eine ungesunde Währung gerathen, welche der Entwickelung des Ganzen nie¬
mals förderlich sein kann. Besser ist es, die Gegensätze platzen offen auf
einander. Wer die Fortschrittspartei principiell ausschließen wollte, der würde
ja dadurch der reaktionären Theorie von der schiefen Ebene Recht geben, er
würde einräumen, daß die mittleren Parteien nicht die Kraft besitzen, dem
Drängen der extremen Parteien Widerstand zu leisten. Je weniger die Con-
stUutionellen den Kampf mit der Demokratie zu scheuen haben, desto er¬
wünschter sollte ihnen die Gelegenheit dazu sein.

Aber freilich, die Schwierigkeit ist deshalb so bedeutend und eigenthüm¬
lich, weil selbst die ministerielle Partei in der Hauptfrage, die jetzt vorliegt,
dem Ministerium nur mit halbem Herzen folgt. Die Stimmung, wie sie sich
jetzt ausspricht, geht dahin, daß ein Kompromiß möglich sein wird, wenn
eine Sicherheit' dafür gegeben werden kann, daß mit der Durchführung der
Armeereform zugleich liberale Reformen auf anderen Gebieten der Gesetzgebung
gefördert werden sollen. Bisher waren solche Reformen durch das Herren¬
haus gehindert. Das Abgeordnetenhaus aber wird es müde, jährlich viele
Millionen für die Armee zu bewilligen, im Uebrigen aber sich in resultatlosen
Redensarten zu ergehen. Die Reform des Herrenhauses also wird, wie es
scheint, die Bedingung sein, unter der die Armeereform angenommen werden
kann. Wenn aber neuerdings eine ministerielle Broschüre über die Aufgabe
der constitutionellen Partei uns damit vertrösten will, daß wir eine ausrei-


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Männer können sich von diesen Erinnerungen nicht befreien. Selbst bis in
die Spitzen der Regierung reicht das Vorurtheil, welches einen Namen von
etwas demokratischen Klang für gefährlicher hält, als den schlimmsten und
feindseligsten Reactionär. Wir hoffen nichts mehr, als daß die ersten Wochen
des Landtags dieses Vorurtheil überwinden werden.

Wo das politische Leben gesund ist, da müssen alle im Lande wirklich
vorhandenen Parteien auch im Landtag vertreten sein. Wir bedauern auf¬
richtig, daß die besten Köpfe der feudalen Reaction diesmal fehlen; aber aus
demselben Grunde freuen wir uns, daß die Demokratie durch ihre besten
Köpfe vertreten ist. Eine Partei, welche gesunde Lebenskraft besitzt, hat den
Kampf mit ihren Gegnern nicht zu fürchten; und wenn die Konstitutionellen
diesmal etwas weniger schläfrig und vertrauensselig sein werden, als bisher, so
ist das ein Vortheil, für welchen sie sich bei ihren weiter links gehenden
Kollegen zu bedanken haben. Daß die Demokratie sich Jahre lang von der
Betheiligung am politischen Leben in Preußen fern hielt, war sehr zu be-
klagen. Wenn jetzt wieder demokratische Elemente zum Vorschein kommen,
so soll man sie nicht von vornherein zurückstoßen. Denn dadurch treibt man
sie dahin, principiell gegen das Ministerium zu frondiren. Gelänge es aber
wirklich, sie gänzlich auszuschließen, so müßte die Partei nach und nach in
eine ungesunde Währung gerathen, welche der Entwickelung des Ganzen nie¬
mals förderlich sein kann. Besser ist es, die Gegensätze platzen offen auf
einander. Wer die Fortschrittspartei principiell ausschließen wollte, der würde
ja dadurch der reaktionären Theorie von der schiefen Ebene Recht geben, er
würde einräumen, daß die mittleren Parteien nicht die Kraft besitzen, dem
Drängen der extremen Parteien Widerstand zu leisten. Je weniger die Con-
stUutionellen den Kampf mit der Demokratie zu scheuen haben, desto er¬
wünschter sollte ihnen die Gelegenheit dazu sein.

Aber freilich, die Schwierigkeit ist deshalb so bedeutend und eigenthüm¬
lich, weil selbst die ministerielle Partei in der Hauptfrage, die jetzt vorliegt,
dem Ministerium nur mit halbem Herzen folgt. Die Stimmung, wie sie sich
jetzt ausspricht, geht dahin, daß ein Kompromiß möglich sein wird, wenn
eine Sicherheit' dafür gegeben werden kann, daß mit der Durchführung der
Armeereform zugleich liberale Reformen auf anderen Gebieten der Gesetzgebung
gefördert werden sollen. Bisher waren solche Reformen durch das Herren¬
haus gehindert. Das Abgeordnetenhaus aber wird es müde, jährlich viele
Millionen für die Armee zu bewilligen, im Uebrigen aber sich in resultatlosen
Redensarten zu ergehen. Die Reform des Herrenhauses also wird, wie es
scheint, die Bedingung sein, unter der die Armeereform angenommen werden
kann. Wenn aber neuerdings eine ministerielle Broschüre über die Aufgabe
der constitutionellen Partei uns damit vertrösten will, daß wir eine ausrei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/155>, abgerufen am 14.05.2024.