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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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ebenda Pairsernenriung am Schluß der gegenwärtigen Session erwarten dürfen,
so ist dabei ein sonderbares L"r^vo Tr^or^vo vorausgesetzt. Mit einer solchen
gemüthlichen Aussicht wird man nicht viel ausrichten; vielmehr werden die
Abgeordneten ohne Zweifel für ihre Bewilligung eine baare Gegenzahlung
verlangen. Und daran thun sie Recht.

Inzwischen hat, uns die letzte Woche den Wortlaut der Depesche gebracht,
in welcher Graf Bernstorff das Bundesreformprojcct des Herrn v. Reuse be¬
antwortet. Der wesentliche Inhalt war bereits früher durch eine ausführ¬
liche Analyse bekannt. Mit Vergnügen constatiren wir zunächst den wilden
Lärm, welchen die preußische Depesche im östreichischen und großdeutschen
Lager hervorgerufen hat. Die Allgemeine Zeitung sucht ihre giftigsten Pfeile
hervor, um das "Roggenmehl", des Grafen Bernstorff in Mißcredit zu brin¬
gen. Ob ihr das gelingen wird, das hängt nun zustächst vom Grafen Bern¬
storff selbst, und fast noch mehr von seinen Collegen ab. Vorläufig habest
wir freilich nur mit dem Ausdruck einer Ansicht zu thun; es ist nirgends er¬
sichtlich, daß Schritte geschehen seien oder demnächst geschehen sollen, um
diese Ansicht zur praktischen Geltung zu bringen. Aber es ist doch schon ein
Großes , daß der nationale Gedanke seit 1850 zum ersten Male wieder von
der preußischen Negierung anerkannt und offen als das Ziel ihres Strebens
hingestellt ist. Bis jetzt hatten wir für die deutsche Politik der gegenwärtigen
Regierung kein anderes Programm, als die bekannte ziemlich allgemein ge¬
haltene Antwort des Grafen Schwerin an die Stettiner, und die Circular-
depesche des Herrn von Schleinitz vom 6. Juni 1860, in welcher darauf ge¬
drungen wird, daß, in soweit von der Gesammtheit des Bundesgebietes die
Rede ist, der völkerrechtliche Charakter des Bundes in seiner Reinheit festge¬
halten und wiederhergestellt werde. Diesen Gedanken wiederholt auch jetzt
Graf Bernstorff. aber er geht einen Schritt weiter und verlangt für die rein¬
deutschen Staaten einen engeren Verein innerhalb des Bundes, einen Bun¬
desstaat in dem Staatenbunde. Für diesen engeren Verein soll ein ständiges
militärisches Obcrcommando in eine Hand gelegt und eine einheitliche Ver¬
tretung nach Außen hergestellt werden. Daß diese eine Hand die Preußens
sein soll, sagt Graf Bernstorff nicht; aber es versteht sich so sehr von selbst,
wie daß die Ströme seewärts fließen.

Die Herstellung der deutschen Einheit läßt sich auf einem doppelten
Wege denken: entweder man beginnt damit, die allgemeine Form zu schaffen,
in welche sich die einzelnen Glieder hineinfügen sollen, oder man laßt die
Einheit von innen herauswachsen, indem man erwartet, daß an einen festen
Kern die einzelnen zersprengten Glieder sich mehr und mehr anschließen. Der
erste der beiden Wege wurde im Jahre 1848 versucht; es ist klar, daß ex
überhaupt nur in der Zeit einer großen Erregung und unter dem Einfluß
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ebenda Pairsernenriung am Schluß der gegenwärtigen Session erwarten dürfen,
so ist dabei ein sonderbares L»r^vo Tr^or^vo vorausgesetzt. Mit einer solchen
gemüthlichen Aussicht wird man nicht viel ausrichten; vielmehr werden die
Abgeordneten ohne Zweifel für ihre Bewilligung eine baare Gegenzahlung
verlangen. Und daran thun sie Recht.

Inzwischen hat, uns die letzte Woche den Wortlaut der Depesche gebracht,
in welcher Graf Bernstorff das Bundesreformprojcct des Herrn v. Reuse be¬
antwortet. Der wesentliche Inhalt war bereits früher durch eine ausführ¬
liche Analyse bekannt. Mit Vergnügen constatiren wir zunächst den wilden
Lärm, welchen die preußische Depesche im östreichischen und großdeutschen
Lager hervorgerufen hat. Die Allgemeine Zeitung sucht ihre giftigsten Pfeile
hervor, um das „Roggenmehl", des Grafen Bernstorff in Mißcredit zu brin¬
gen. Ob ihr das gelingen wird, das hängt nun zustächst vom Grafen Bern¬
storff selbst, und fast noch mehr von seinen Collegen ab. Vorläufig habest
wir freilich nur mit dem Ausdruck einer Ansicht zu thun; es ist nirgends er¬
sichtlich, daß Schritte geschehen seien oder demnächst geschehen sollen, um
diese Ansicht zur praktischen Geltung zu bringen. Aber es ist doch schon ein
Großes , daß der nationale Gedanke seit 1850 zum ersten Male wieder von
der preußischen Negierung anerkannt und offen als das Ziel ihres Strebens
hingestellt ist. Bis jetzt hatten wir für die deutsche Politik der gegenwärtigen
Regierung kein anderes Programm, als die bekannte ziemlich allgemein ge¬
haltene Antwort des Grafen Schwerin an die Stettiner, und die Circular-
depesche des Herrn von Schleinitz vom 6. Juni 1860, in welcher darauf ge¬
drungen wird, daß, in soweit von der Gesammtheit des Bundesgebietes die
Rede ist, der völkerrechtliche Charakter des Bundes in seiner Reinheit festge¬
halten und wiederhergestellt werde. Diesen Gedanken wiederholt auch jetzt
Graf Bernstorff. aber er geht einen Schritt weiter und verlangt für die rein¬
deutschen Staaten einen engeren Verein innerhalb des Bundes, einen Bun¬
desstaat in dem Staatenbunde. Für diesen engeren Verein soll ein ständiges
militärisches Obcrcommando in eine Hand gelegt und eine einheitliche Ver¬
tretung nach Außen hergestellt werden. Daß diese eine Hand die Preußens
sein soll, sagt Graf Bernstorff nicht; aber es versteht sich so sehr von selbst,
wie daß die Ströme seewärts fließen.

Die Herstellung der deutschen Einheit läßt sich auf einem doppelten
Wege denken: entweder man beginnt damit, die allgemeine Form zu schaffen,
in welche sich die einzelnen Glieder hineinfügen sollen, oder man laßt die
Einheit von innen herauswachsen, indem man erwartet, daß an einen festen
Kern die einzelnen zersprengten Glieder sich mehr und mehr anschließen. Der
erste der beiden Wege wurde im Jahre 1848 versucht; es ist klar, daß ex
überhaupt nur in der Zeit einer großen Erregung und unter dem Einfluß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/156>, abgerufen am 23.05.2024.