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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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sondern die Incorporation Schleswigs in Dänemark abzuwehren. Denn das
ist das Thema der jüngsten, zwischen Preußen und Dänemark gewechselten
Depeschen, welche gleichfalls in diesen Tagen veröffentlicht sind.

Die formelle Sachlage ist sehr einfach. Im August v. I. wurde die be¬
reits eingeleitete Vundesexecution wieder sistirt, weil Dänemark wenigstens ein
formelles Zugeständnis) gemacht und vorläufig darauf verzichtet hatte, über
die im Normalbudget festgestellte Quote hinaus von Holstein einen Zuschuß
zu den Ausgaben des Gesammtstaates zu verlangen. Während der Zwischen¬
zeit bis zum Ablauf des Gesammtstaatsbudgets sollte versucht werden, eine
Verständigung über die Verfassungsverhältnisse Holsteins zwischen Dünemark
und den deutschen Mächten zu Stande zu bringen. Wer den hartnäckigen
Trotz der Dänen kennt, konnte daraus von vornherein nur geringe Hoffnung
setzen. Es zeigt sich jetzt, daß die Dänen keine Verständigung wollen. Die
jüngste Depesche des Herrn Hall ist ganz so durchweg verneinend, wie Alles,
was seit Jahren von der dänischen Negierung ausgegangen ist. Nachdem
man länger als sechs Jahre verhandelt hat, findet der dänische Minister, daß
es noch immer nicht an der Zeit ist, Vorschläge über die definitive Ordnung
der Versassungsverhältnisse Holsteins zu machen. Er will die Sache noch
weiter verschleppen und sich vorläufig nur über ein Provisorium auf der
Grundlage des factisch bestehenden Zustandes verständigen. Der Gedanke,
den er hierbei im Auge hat, ist leicht zu durchschauen und ist gar kein Ge¬
heimniß. Der ganze Plan ist bereits am 11. Decbr. v. I. im dünischen
Reichstag bei Gelegenheit einer Jnterpellation des Abgeordneten Hansen aus¬
führlich entwickelt. Wir wissen daraus, daß die Dünen die Absicht haben,
vermöge des Rumpfreichsraths nach und nach die Incorporation Schleswigs zu
vollziehen. Der Numpfreichsiath ist ein von der Vertretung des Gesammlstaats
übrig gebliebener Nest, welchen die dänische Regierung wider alles Recht und
Wider alle Vernunft fortbestehen ließ, nachdem die Gesamintstaatsverfassung
für Holstein und Lauenburg ausgehoben war. Der Reichsrath war die Ver¬
tretung des ganzen Gesammtstacus; sobald dieser durch das Ausscheiden von
Holstein und Lauenburg aufhörte, mußte auch der Reichsrath aufhören; dieser
durfte nicht für den Nest, d. h. sür Dänemark und Schleswig fortbestehen.
Aber die dänische Regierung berief trotzdem nach, dem Ausscheiden von Hol¬
stein und Lauenburg den Rumpf des Neichsraths wieder zusammen, und Deutsch¬
land ließ sich dies aus Schwäche und Nachgiebigkeit gefallen, aber doch nur
in der Voraussetzung, daß dieser Zustand ein kurzer, vorübergehender sein
werde. Jetzt hat dies factische Provisorium bereits länger als drei Jahre
bestanden. Die Dänen haben sich auf solche Weise eine gemeinschaftliche
Volksvertretung sür Dänemark und Schleswig erschwindelt. Damit ist ein
Hauptpunkt des Eiderprogramms erreicht. Der dänische Gedanke ist nun,


sondern die Incorporation Schleswigs in Dänemark abzuwehren. Denn das
ist das Thema der jüngsten, zwischen Preußen und Dänemark gewechselten
Depeschen, welche gleichfalls in diesen Tagen veröffentlicht sind.

Die formelle Sachlage ist sehr einfach. Im August v. I. wurde die be¬
reits eingeleitete Vundesexecution wieder sistirt, weil Dänemark wenigstens ein
formelles Zugeständnis) gemacht und vorläufig darauf verzichtet hatte, über
die im Normalbudget festgestellte Quote hinaus von Holstein einen Zuschuß
zu den Ausgaben des Gesammtstaates zu verlangen. Während der Zwischen¬
zeit bis zum Ablauf des Gesammtstaatsbudgets sollte versucht werden, eine
Verständigung über die Verfassungsverhältnisse Holsteins zwischen Dünemark
und den deutschen Mächten zu Stande zu bringen. Wer den hartnäckigen
Trotz der Dänen kennt, konnte daraus von vornherein nur geringe Hoffnung
setzen. Es zeigt sich jetzt, daß die Dänen keine Verständigung wollen. Die
jüngste Depesche des Herrn Hall ist ganz so durchweg verneinend, wie Alles,
was seit Jahren von der dänischen Negierung ausgegangen ist. Nachdem
man länger als sechs Jahre verhandelt hat, findet der dänische Minister, daß
es noch immer nicht an der Zeit ist, Vorschläge über die definitive Ordnung
der Versassungsverhältnisse Holsteins zu machen. Er will die Sache noch
weiter verschleppen und sich vorläufig nur über ein Provisorium auf der
Grundlage des factisch bestehenden Zustandes verständigen. Der Gedanke,
den er hierbei im Auge hat, ist leicht zu durchschauen und ist gar kein Ge¬
heimniß. Der ganze Plan ist bereits am 11. Decbr. v. I. im dünischen
Reichstag bei Gelegenheit einer Jnterpellation des Abgeordneten Hansen aus¬
führlich entwickelt. Wir wissen daraus, daß die Dünen die Absicht haben,
vermöge des Rumpfreichsraths nach und nach die Incorporation Schleswigs zu
vollziehen. Der Numpfreichsiath ist ein von der Vertretung des Gesammlstaats
übrig gebliebener Nest, welchen die dänische Regierung wider alles Recht und
Wider alle Vernunft fortbestehen ließ, nachdem die Gesamintstaatsverfassung
für Holstein und Lauenburg ausgehoben war. Der Reichsrath war die Ver¬
tretung des ganzen Gesammtstacus; sobald dieser durch das Ausscheiden von
Holstein und Lauenburg aufhörte, mußte auch der Reichsrath aufhören; dieser
durfte nicht für den Nest, d. h. sür Dänemark und Schleswig fortbestehen.
Aber die dänische Regierung berief trotzdem nach, dem Ausscheiden von Hol¬
stein und Lauenburg den Rumpf des Neichsraths wieder zusammen, und Deutsch¬
land ließ sich dies aus Schwäche und Nachgiebigkeit gefallen, aber doch nur
in der Voraussetzung, daß dieser Zustand ein kurzer, vorübergehender sein
werde. Jetzt hat dies factische Provisorium bereits länger als drei Jahre
bestanden. Die Dänen haben sich auf solche Weise eine gemeinschaftliche
Volksvertretung sür Dänemark und Schleswig erschwindelt. Damit ist ein
Hauptpunkt des Eiderprogramms erreicht. Der dänische Gedanke ist nun,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/158>, abgerufen am 28.05.2024.