Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

publik San Domingo in die Besitzungen der spanischen Krone nicht mit
Zuversicht widersprechen -- um in Mexico "Ordnung überhaupt" herzustellen,
eine andere Verfassung und Negierung zu schaffen, vielleicht ein Königreich
oder Kaiserthum, vielleicht das alte Verhältniß wieder, das durch Jturbide
und seine Mitkämpfer aufgehoben wurde. Haben die verbündeten Mächte,
haben namentlich Spanien und Frankreich keine andere Absicht, als die, welche
in den Ultimaten formulirt ist, so wird das Cabinet in Washington gegen
die Intervention mit Grund nichts einwenden können, obwohl die beabsich¬
tigte langwierige Occupation mexikanischen Gebiets und die beanspruchte Ein¬
setzung fremder Beamten zur Erhebung der Zölle bedenklich scheint. Bestätigt,
sich das Gerücht von weitergehenden Plänen, so ist der Fall eine flagrante
Verletzung der Monroe-Doctrin, zumal da hier nicht einmal wie in San Domingo
eine gutbearbeitete Volksstimme die Fremden ins Land gerufen und die Rückkehr
unter das spanische Scepter verlangt hat. DieVereinigten Staaten werden im letzte¬
ren Falle für jetzt unzweifelhaft dulden müssen, was sie nicht abwenden können,
sicher aber werden sie dies nicht länger dulden, als die äußerste Noth ge¬
bietet.

Mexico hatte einige Jahre unter den Staaten, die sich von Spanien losge¬
rissen, die meiste Kraft und Ordnung gezeigt. Endlich aber versank es in
denselben Strudel anarchischer Parteiung wie jene, und von Jahr zu Jahr
eilte es rascher dem gänzlichen Verfall zu. Eine monarchische Partei, die sich
vorzüglich auf das Heer und die außerordentlich reiche Geistlichkeit stützte und
in der letzten Zeit allem Anschein nach von Spanien heimlich Beistand erhielt,
kämpfte mit einer demokratischen, die namentlich im Norden und im tiefen Süden
sowie in den Küstenstädten Anhänger hatte und stark nach den Vereinigten
Staaten hinneigte. Die Parteiführer waren meist gesinnungslos, nur von
Selbstsucht getrieben, käuflich und räuberisch wie die Condottieri des Mittelalters.

Der letzte verhältnißmäßig kräftige Charakter, der aus diesen Zuständen
hervorging, war der bekannte Santa Ana, der sich, ein Meister in der In¬
trigue, dreimal auf den Präsidentcnstuhl schwang und jedesmal, durch Rück¬
sichtslosigkeit und kluge Benutzung der verschiedenen Parteien, eine Zeit lang
die Ordnung erhielt, es aber, da er immer nur sein Interesse im Auge
hatte, niemals dazu brachte, sich dauernd zu behaupten. Das letzte Mal,
wo er im Namen der monarchisch-klerikalen Partei regierte, wurde er von
dem Jndicmergeneral Alvarez aus dem Staat Guerrero gestürzt, einem halb-
wilden Krieger, der die Partei der äußersten Linken vertrat und sich durch
seine blutige Grausamkeit, namentlich gegen Alles was von spanischer Ab¬
kunft war, den Namen "Panther des Südens" erworben hatte.

Alvarez. von seinen Soldaten zum Präsidenten ausgerufen, begann
seine Negierung damit, daß er alle Decrete Santa Ana's, gleichviel ob gut


publik San Domingo in die Besitzungen der spanischen Krone nicht mit
Zuversicht widersprechen — um in Mexico „Ordnung überhaupt" herzustellen,
eine andere Verfassung und Negierung zu schaffen, vielleicht ein Königreich
oder Kaiserthum, vielleicht das alte Verhältniß wieder, das durch Jturbide
und seine Mitkämpfer aufgehoben wurde. Haben die verbündeten Mächte,
haben namentlich Spanien und Frankreich keine andere Absicht, als die, welche
in den Ultimaten formulirt ist, so wird das Cabinet in Washington gegen
die Intervention mit Grund nichts einwenden können, obwohl die beabsich¬
tigte langwierige Occupation mexikanischen Gebiets und die beanspruchte Ein¬
setzung fremder Beamten zur Erhebung der Zölle bedenklich scheint. Bestätigt,
sich das Gerücht von weitergehenden Plänen, so ist der Fall eine flagrante
Verletzung der Monroe-Doctrin, zumal da hier nicht einmal wie in San Domingo
eine gutbearbeitete Volksstimme die Fremden ins Land gerufen und die Rückkehr
unter das spanische Scepter verlangt hat. DieVereinigten Staaten werden im letzte¬
ren Falle für jetzt unzweifelhaft dulden müssen, was sie nicht abwenden können,
sicher aber werden sie dies nicht länger dulden, als die äußerste Noth ge¬
bietet.

Mexico hatte einige Jahre unter den Staaten, die sich von Spanien losge¬
rissen, die meiste Kraft und Ordnung gezeigt. Endlich aber versank es in
denselben Strudel anarchischer Parteiung wie jene, und von Jahr zu Jahr
eilte es rascher dem gänzlichen Verfall zu. Eine monarchische Partei, die sich
vorzüglich auf das Heer und die außerordentlich reiche Geistlichkeit stützte und
in der letzten Zeit allem Anschein nach von Spanien heimlich Beistand erhielt,
kämpfte mit einer demokratischen, die namentlich im Norden und im tiefen Süden
sowie in den Küstenstädten Anhänger hatte und stark nach den Vereinigten
Staaten hinneigte. Die Parteiführer waren meist gesinnungslos, nur von
Selbstsucht getrieben, käuflich und räuberisch wie die Condottieri des Mittelalters.

Der letzte verhältnißmäßig kräftige Charakter, der aus diesen Zuständen
hervorging, war der bekannte Santa Ana, der sich, ein Meister in der In¬
trigue, dreimal auf den Präsidentcnstuhl schwang und jedesmal, durch Rück¬
sichtslosigkeit und kluge Benutzung der verschiedenen Parteien, eine Zeit lang
die Ordnung erhielt, es aber, da er immer nur sein Interesse im Auge
hatte, niemals dazu brachte, sich dauernd zu behaupten. Das letzte Mal,
wo er im Namen der monarchisch-klerikalen Partei regierte, wurde er von
dem Jndicmergeneral Alvarez aus dem Staat Guerrero gestürzt, einem halb-
wilden Krieger, der die Partei der äußersten Linken vertrat und sich durch
seine blutige Grausamkeit, namentlich gegen Alles was von spanischer Ab¬
kunft war, den Namen „Panther des Südens" erworben hatte.

Alvarez. von seinen Soldaten zum Präsidenten ausgerufen, begann
seine Negierung damit, daß er alle Decrete Santa Ana's, gleichviel ob gut


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113430"/>
            <p xml:id="ID_551" prev="#ID_550"> publik San Domingo in die Besitzungen der spanischen Krone nicht mit<lb/>
Zuversicht widersprechen &#x2014; um in Mexico &#x201E;Ordnung überhaupt" herzustellen,<lb/>
eine andere Verfassung und Negierung zu schaffen, vielleicht ein Königreich<lb/>
oder Kaiserthum, vielleicht das alte Verhältniß wieder, das durch Jturbide<lb/>
und seine Mitkämpfer aufgehoben wurde. Haben die verbündeten Mächte,<lb/>
haben namentlich Spanien und Frankreich keine andere Absicht, als die, welche<lb/>
in den Ultimaten formulirt ist, so wird das Cabinet in Washington gegen<lb/>
die Intervention mit Grund nichts einwenden können, obwohl die beabsich¬<lb/>
tigte langwierige Occupation mexikanischen Gebiets und die beanspruchte Ein¬<lb/>
setzung fremder Beamten zur Erhebung der Zölle bedenklich scheint. Bestätigt,<lb/>
sich das Gerücht von weitergehenden Plänen, so ist der Fall eine flagrante<lb/>
Verletzung der Monroe-Doctrin, zumal da hier nicht einmal wie in San Domingo<lb/>
eine gutbearbeitete Volksstimme die Fremden ins Land gerufen und die Rückkehr<lb/>
unter das spanische Scepter verlangt hat. DieVereinigten Staaten werden im letzte¬<lb/>
ren Falle für jetzt unzweifelhaft dulden müssen, was sie nicht abwenden können,<lb/>
sicher aber werden sie dies nicht länger dulden, als die äußerste Noth ge¬<lb/>
bietet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_552"> Mexico hatte einige Jahre unter den Staaten, die sich von Spanien losge¬<lb/>
rissen, die meiste Kraft und Ordnung gezeigt. Endlich aber versank es in<lb/>
denselben Strudel anarchischer Parteiung wie jene, und von Jahr zu Jahr<lb/>
eilte es rascher dem gänzlichen Verfall zu. Eine monarchische Partei, die sich<lb/>
vorzüglich auf das Heer und die außerordentlich reiche Geistlichkeit stützte und<lb/>
in der letzten Zeit allem Anschein nach von Spanien heimlich Beistand erhielt,<lb/>
kämpfte mit einer demokratischen, die namentlich im Norden und im tiefen Süden<lb/>
sowie in den Küstenstädten Anhänger hatte und stark nach den Vereinigten<lb/>
Staaten hinneigte. Die Parteiführer waren meist gesinnungslos, nur von<lb/>
Selbstsucht getrieben, käuflich und räuberisch wie die Condottieri des Mittelalters.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_553"> Der letzte verhältnißmäßig kräftige Charakter, der aus diesen Zuständen<lb/>
hervorging, war der bekannte Santa Ana, der sich, ein Meister in der In¬<lb/>
trigue, dreimal auf den Präsidentcnstuhl schwang und jedesmal, durch Rück¬<lb/>
sichtslosigkeit und kluge Benutzung der verschiedenen Parteien, eine Zeit lang<lb/>
die Ordnung erhielt, es aber, da er immer nur sein Interesse im Auge<lb/>
hatte, niemals dazu brachte, sich dauernd zu behaupten. Das letzte Mal,<lb/>
wo er im Namen der monarchisch-klerikalen Partei regierte, wurde er von<lb/>
dem Jndicmergeneral Alvarez aus dem Staat Guerrero gestürzt, einem halb-<lb/>
wilden Krieger, der die Partei der äußersten Linken vertrat und sich durch<lb/>
seine blutige Grausamkeit, namentlich gegen Alles was von spanischer Ab¬<lb/>
kunft war, den Namen &#x201E;Panther des Südens" erworben hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_554" next="#ID_555"> Alvarez. von seinen Soldaten zum Präsidenten ausgerufen, begann<lb/>
seine Negierung damit, daß er alle Decrete Santa Ana's, gleichviel ob gut</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0188] publik San Domingo in die Besitzungen der spanischen Krone nicht mit Zuversicht widersprechen — um in Mexico „Ordnung überhaupt" herzustellen, eine andere Verfassung und Negierung zu schaffen, vielleicht ein Königreich oder Kaiserthum, vielleicht das alte Verhältniß wieder, das durch Jturbide und seine Mitkämpfer aufgehoben wurde. Haben die verbündeten Mächte, haben namentlich Spanien und Frankreich keine andere Absicht, als die, welche in den Ultimaten formulirt ist, so wird das Cabinet in Washington gegen die Intervention mit Grund nichts einwenden können, obwohl die beabsich¬ tigte langwierige Occupation mexikanischen Gebiets und die beanspruchte Ein¬ setzung fremder Beamten zur Erhebung der Zölle bedenklich scheint. Bestätigt, sich das Gerücht von weitergehenden Plänen, so ist der Fall eine flagrante Verletzung der Monroe-Doctrin, zumal da hier nicht einmal wie in San Domingo eine gutbearbeitete Volksstimme die Fremden ins Land gerufen und die Rückkehr unter das spanische Scepter verlangt hat. DieVereinigten Staaten werden im letzte¬ ren Falle für jetzt unzweifelhaft dulden müssen, was sie nicht abwenden können, sicher aber werden sie dies nicht länger dulden, als die äußerste Noth ge¬ bietet. Mexico hatte einige Jahre unter den Staaten, die sich von Spanien losge¬ rissen, die meiste Kraft und Ordnung gezeigt. Endlich aber versank es in denselben Strudel anarchischer Parteiung wie jene, und von Jahr zu Jahr eilte es rascher dem gänzlichen Verfall zu. Eine monarchische Partei, die sich vorzüglich auf das Heer und die außerordentlich reiche Geistlichkeit stützte und in der letzten Zeit allem Anschein nach von Spanien heimlich Beistand erhielt, kämpfte mit einer demokratischen, die namentlich im Norden und im tiefen Süden sowie in den Küstenstädten Anhänger hatte und stark nach den Vereinigten Staaten hinneigte. Die Parteiführer waren meist gesinnungslos, nur von Selbstsucht getrieben, käuflich und räuberisch wie die Condottieri des Mittelalters. Der letzte verhältnißmäßig kräftige Charakter, der aus diesen Zuständen hervorging, war der bekannte Santa Ana, der sich, ein Meister in der In¬ trigue, dreimal auf den Präsidentcnstuhl schwang und jedesmal, durch Rück¬ sichtslosigkeit und kluge Benutzung der verschiedenen Parteien, eine Zeit lang die Ordnung erhielt, es aber, da er immer nur sein Interesse im Auge hatte, niemals dazu brachte, sich dauernd zu behaupten. Das letzte Mal, wo er im Namen der monarchisch-klerikalen Partei regierte, wurde er von dem Jndicmergeneral Alvarez aus dem Staat Guerrero gestürzt, einem halb- wilden Krieger, der die Partei der äußersten Linken vertrat und sich durch seine blutige Grausamkeit, namentlich gegen Alles was von spanischer Ab¬ kunft war, den Namen „Panther des Südens" erworben hatte. Alvarez. von seinen Soldaten zum Präsidenten ausgerufen, begann seine Negierung damit, daß er alle Decrete Santa Ana's, gleichviel ob gut

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/188
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/188>, abgerufen am 28.05.2024.