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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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oder schlecht, aufhob, die von jenem ins Land gerufenen Jesuiten verjagte
und der Geistlichkeit sowie dem Militär die besondere Gerichtsbarkeit entzog
-- letzteres eine Maßregel, die der Keim zu späteren Aufständen und Wirren
wurde. Der rohe Indianer gefiel sich nicht lange auf dem Präsidentenstuhl,
und so trat er nach wenigen Wochen seine Stelle an einen Parteigenossen,
den früheren Administrator des Zollhauses von Accipulco. Ignacio Co-
monfort ab, der ihm behilflich gewesen, einige Ordnung in die Bewegung
zu bringen und die Verbindung zwischen den verschiedenen Elementen der
liberalen Partei herzustellen, und kehrte mit den wilden Horden, die ihn be¬
gleitet, in den Staat Guerrero zurück.*)

Comonfort erwarb sich, indem er die Revolutionsführer in den Provinzen
in ihrem eigenmächtigen Schalten einstweilen ungestört ließ, allgemeine An¬
erkennung seiner Partei'und versuchte, da mit den Radicalen nicht zu regieren
war. die Gemäßigten zu gewinnen und selbst die Conservativen mit dem Um-
schwung zu versöhnen. Kaum hatte er indeß die Zügel der Regierung er¬
griffen, als sich am 21. December 1855 der General Guitian mit dem
Pfarrer von Zacapuastla für die besondere Gerichtsbarkeit des Heeres und
der Geistlichkeit gegen ihn erhob und zu gleicher Zeit Puebla und tue
Citadelle von Veracruz, vom Klerus mit Geld unterstützt, eine reactionäre
Bewegung machten und Haro y Tamariz, Santa Ana's frühern Finanzminister,
zum Präsidenten ausriefen. Nur mit Mühe und nur weil die Aufstündischen
nicht rasch und, energisch genug verfuhren, wurden die Bewegungen unter-
drückt. Haro floh mach Europa, die Geistlichkett mußte die erwachsenen Kriegs¬
kosten bezahlen und verlor, soweit sie sich betheiligt, ihre Güter.

Am 3. April 1856 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, berief Comonfort
den Kongreß, der am 16. Zum zusammentreten und dem Lande eine neue
Verfassung geben sollte. Bis zu deren Vollendung und Einführung sollte ein
"organisches Statut" gelten, welches einerseits den Gouverneuren der Pro¬
vinzen ihre außerordentlichen Vollmachten, namentlich in Finanzsachen nahm,
andererseits die Geistlichkeit mehr einschränkte. War letztere schon dadurch
erbittert, so steigerte sich ihr Verdruß noch mehr, als der Präsident im Ein¬
verständnis mit dem vorwiegend aus Radlenker bestehenden Kongreß im Juni
ein Decret erließ, welches sämmtlichen Körperschaften verbot, liegendes Eigen¬
thum zu besitzen. Hierdurch verlor vorzüglich die Kirche den größten Theil
ihrer Macht. Die liegenden Gründe des Klerus wurden dem zugesprochen,
der sich gerade als Pächter auf ihnen befand. Der letztere hatte den seir-



') Man vergleiche hierzu den Abriß der neuesten Geschichte Mexicos in dem soeben er-
schienenen Werte: "Die Länder am untern Rio bravo bei Norte von Adolph Abbe. Heidel¬
berg, I. C, B. Mohr." welches wir als lehrreich bestens empfehlen.

oder schlecht, aufhob, die von jenem ins Land gerufenen Jesuiten verjagte
und der Geistlichkeit sowie dem Militär die besondere Gerichtsbarkeit entzog
— letzteres eine Maßregel, die der Keim zu späteren Aufständen und Wirren
wurde. Der rohe Indianer gefiel sich nicht lange auf dem Präsidentenstuhl,
und so trat er nach wenigen Wochen seine Stelle an einen Parteigenossen,
den früheren Administrator des Zollhauses von Accipulco. Ignacio Co-
monfort ab, der ihm behilflich gewesen, einige Ordnung in die Bewegung
zu bringen und die Verbindung zwischen den verschiedenen Elementen der
liberalen Partei herzustellen, und kehrte mit den wilden Horden, die ihn be¬
gleitet, in den Staat Guerrero zurück.*)

Comonfort erwarb sich, indem er die Revolutionsführer in den Provinzen
in ihrem eigenmächtigen Schalten einstweilen ungestört ließ, allgemeine An¬
erkennung seiner Partei'und versuchte, da mit den Radicalen nicht zu regieren
war. die Gemäßigten zu gewinnen und selbst die Conservativen mit dem Um-
schwung zu versöhnen. Kaum hatte er indeß die Zügel der Regierung er¬
griffen, als sich am 21. December 1855 der General Guitian mit dem
Pfarrer von Zacapuastla für die besondere Gerichtsbarkeit des Heeres und
der Geistlichkeit gegen ihn erhob und zu gleicher Zeit Puebla und tue
Citadelle von Veracruz, vom Klerus mit Geld unterstützt, eine reactionäre
Bewegung machten und Haro y Tamariz, Santa Ana's frühern Finanzminister,
zum Präsidenten ausriefen. Nur mit Mühe und nur weil die Aufstündischen
nicht rasch und, energisch genug verfuhren, wurden die Bewegungen unter-
drückt. Haro floh mach Europa, die Geistlichkett mußte die erwachsenen Kriegs¬
kosten bezahlen und verlor, soweit sie sich betheiligt, ihre Güter.

Am 3. April 1856 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, berief Comonfort
den Kongreß, der am 16. Zum zusammentreten und dem Lande eine neue
Verfassung geben sollte. Bis zu deren Vollendung und Einführung sollte ein
„organisches Statut" gelten, welches einerseits den Gouverneuren der Pro¬
vinzen ihre außerordentlichen Vollmachten, namentlich in Finanzsachen nahm,
andererseits die Geistlichkeit mehr einschränkte. War letztere schon dadurch
erbittert, so steigerte sich ihr Verdruß noch mehr, als der Präsident im Ein¬
verständnis mit dem vorwiegend aus Radlenker bestehenden Kongreß im Juni
ein Decret erließ, welches sämmtlichen Körperschaften verbot, liegendes Eigen¬
thum zu besitzen. Hierdurch verlor vorzüglich die Kirche den größten Theil
ihrer Macht. Die liegenden Gründe des Klerus wurden dem zugesprochen,
der sich gerade als Pächter auf ihnen befand. Der letztere hatte den seir-



') Man vergleiche hierzu den Abriß der neuesten Geschichte Mexicos in dem soeben er-
schienenen Werte: „Die Länder am untern Rio bravo bei Norte von Adolph Abbe. Heidel¬
berg, I. C, B. Mohr." welches wir als lehrreich bestens empfehlen.
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[0189] oder schlecht, aufhob, die von jenem ins Land gerufenen Jesuiten verjagte und der Geistlichkeit sowie dem Militär die besondere Gerichtsbarkeit entzog — letzteres eine Maßregel, die der Keim zu späteren Aufständen und Wirren wurde. Der rohe Indianer gefiel sich nicht lange auf dem Präsidentenstuhl, und so trat er nach wenigen Wochen seine Stelle an einen Parteigenossen, den früheren Administrator des Zollhauses von Accipulco. Ignacio Co- monfort ab, der ihm behilflich gewesen, einige Ordnung in die Bewegung zu bringen und die Verbindung zwischen den verschiedenen Elementen der liberalen Partei herzustellen, und kehrte mit den wilden Horden, die ihn be¬ gleitet, in den Staat Guerrero zurück.*) Comonfort erwarb sich, indem er die Revolutionsführer in den Provinzen in ihrem eigenmächtigen Schalten einstweilen ungestört ließ, allgemeine An¬ erkennung seiner Partei'und versuchte, da mit den Radicalen nicht zu regieren war. die Gemäßigten zu gewinnen und selbst die Conservativen mit dem Um- schwung zu versöhnen. Kaum hatte er indeß die Zügel der Regierung er¬ griffen, als sich am 21. December 1855 der General Guitian mit dem Pfarrer von Zacapuastla für die besondere Gerichtsbarkeit des Heeres und der Geistlichkeit gegen ihn erhob und zu gleicher Zeit Puebla und tue Citadelle von Veracruz, vom Klerus mit Geld unterstützt, eine reactionäre Bewegung machten und Haro y Tamariz, Santa Ana's frühern Finanzminister, zum Präsidenten ausriefen. Nur mit Mühe und nur weil die Aufstündischen nicht rasch und, energisch genug verfuhren, wurden die Bewegungen unter- drückt. Haro floh mach Europa, die Geistlichkett mußte die erwachsenen Kriegs¬ kosten bezahlen und verlor, soweit sie sich betheiligt, ihre Güter. Am 3. April 1856 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, berief Comonfort den Kongreß, der am 16. Zum zusammentreten und dem Lande eine neue Verfassung geben sollte. Bis zu deren Vollendung und Einführung sollte ein „organisches Statut" gelten, welches einerseits den Gouverneuren der Pro¬ vinzen ihre außerordentlichen Vollmachten, namentlich in Finanzsachen nahm, andererseits die Geistlichkeit mehr einschränkte. War letztere schon dadurch erbittert, so steigerte sich ihr Verdruß noch mehr, als der Präsident im Ein¬ verständnis mit dem vorwiegend aus Radlenker bestehenden Kongreß im Juni ein Decret erließ, welches sämmtlichen Körperschaften verbot, liegendes Eigen¬ thum zu besitzen. Hierdurch verlor vorzüglich die Kirche den größten Theil ihrer Macht. Die liegenden Gründe des Klerus wurden dem zugesprochen, der sich gerade als Pächter auf ihnen befand. Der letztere hatte den seir- ') Man vergleiche hierzu den Abriß der neuesten Geschichte Mexicos in dem soeben er- schienenen Werte: „Die Länder am untern Rio bravo bei Norte von Adolph Abbe. Heidel¬ berg, I. C, B. Mohr." welches wir als lehrreich bestens empfehlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/189>, abgerufen am 28.05.2024.