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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Mit welch anderer Freudigkeit würden die Arbeiten dieser ^Session be¬
gonnen sein, wenn die Regierung den Schritt, welchen sie für den Schluß
der Diät in eine ziemlich nebelhafte Aussicht stellt, gleich zu Anfang wirklich
gethan hätte. Mit dem jetzigen Herrenhaus ist es nicht möglich zu regieren.
Darüber ist unter verständigen Leuten seit lange kein Zweifel mehr. Entweder
man will vorwärts; dann muß man zuerst das Herrenhaus aus dem Wege
räumen. Oder das Herrenhaus bleibt in Kraft; dann muh man sich am
Ende doch entschließen, in seinem Sinne zu regieren. Eine andere Alternative
gibt es nicht. Wenn gutmüthige Schwärmer auch noch gemeint haben, man
könne das Herrenhaus zum Constitutionalismus erziehen, so trauen wir dem
Grafen Schwerin die nöthige pädagogische Fähigkeit nicht zu. Den Ruhm
einer festen consequenten Haltung muß man den Junkern lassen, wenn auch
die Ursache dafür nur in ihrer Bornirtheit zu suchen ist.

Es gibt manche Seiten, von denen aus das Herrenhaus angegriffen
werden kann. Eine sehr verbreitete Ansicht hält die Zusammensetzung desselben
für illegal. Die Gründe dafür sind bekannt. Die Verordnung vom 12.
Oct. 1854, welche die Zusammensetzung des Herrenhauses regelt, sollte zur
Ausführung des Gesetzes vom 7. Mai 1853 dienen. Aber in sehr wesent¬
lichen Punkten steht die Verordnung mit dem Gesetz in Widerspruch. Das
Gesetz kennt nur erbliche oder vom Könige auf Lebenszeit ernannte Pairs;
die Verordnung dagegen läßt die meisten Mitglieder des Herrenhauses aus
der Wahl gewisser Verbände hervorgehen, denen ein Präsentationsrecht bei¬
gelegt ist. Mit dem Geist des Gesetzes steht dies unbedingt in Widerspruch,
wenn auch mit dem Buchstaben des Gesetzes ein gewisser Einklang dadurch
hergestellt werden kann, daß man die Präsentation für nichts weiter als für
eine Art von Vorschlag erklärt, den der König auch zurückweisen kann. Bis
jetzt wenigstens hat die Regierung sich an diesen Vorschlag gebunden gehalten,
wie noch die jüngsten vier Berufungen ins Herrenhaus bewiesen haben. Aber
unbedingt sowohl mit dem Geist als mit dem Buchstaben des Gesetzes steht
es in Widerspruch, daß nach der Verordnung die Mitgliedschaft unter gewissen
Bedingungen erlischt; das Gesetz kennt unbedingt nur erbliche oder lebensläng¬
liche Pairs. Diese Illegalität läßt sich nicht wegdisputiren. Die Eonsequenzen
davon aber sind sehr ernst. Denn sie führen nothwendig zum Zweifel an
der Legalität der Gesetze, welche unter Mitwirkung des Herrenhauses, also
eines illegaler Factors. zu Stande gekommen sind.

Dies ist ein neuer und dringender Grund, so schnell als möglich die
Hand an die Reform des Herrenhauses zu legen. Auch genügt es nicht, durch
einen Pairsschub sich eine nothwendige Majorität für einen einzelnen Fall
zu schaffen. Denn dabei bleibt das Uebel bestehen und außerdem ist eine
solche Maßregel immer gefährlich. Wenn für die Durchbringung eines ein-


Mit welch anderer Freudigkeit würden die Arbeiten dieser ^Session be¬
gonnen sein, wenn die Regierung den Schritt, welchen sie für den Schluß
der Diät in eine ziemlich nebelhafte Aussicht stellt, gleich zu Anfang wirklich
gethan hätte. Mit dem jetzigen Herrenhaus ist es nicht möglich zu regieren.
Darüber ist unter verständigen Leuten seit lange kein Zweifel mehr. Entweder
man will vorwärts; dann muß man zuerst das Herrenhaus aus dem Wege
räumen. Oder das Herrenhaus bleibt in Kraft; dann muh man sich am
Ende doch entschließen, in seinem Sinne zu regieren. Eine andere Alternative
gibt es nicht. Wenn gutmüthige Schwärmer auch noch gemeint haben, man
könne das Herrenhaus zum Constitutionalismus erziehen, so trauen wir dem
Grafen Schwerin die nöthige pädagogische Fähigkeit nicht zu. Den Ruhm
einer festen consequenten Haltung muß man den Junkern lassen, wenn auch
die Ursache dafür nur in ihrer Bornirtheit zu suchen ist.

Es gibt manche Seiten, von denen aus das Herrenhaus angegriffen
werden kann. Eine sehr verbreitete Ansicht hält die Zusammensetzung desselben
für illegal. Die Gründe dafür sind bekannt. Die Verordnung vom 12.
Oct. 1854, welche die Zusammensetzung des Herrenhauses regelt, sollte zur
Ausführung des Gesetzes vom 7. Mai 1853 dienen. Aber in sehr wesent¬
lichen Punkten steht die Verordnung mit dem Gesetz in Widerspruch. Das
Gesetz kennt nur erbliche oder vom Könige auf Lebenszeit ernannte Pairs;
die Verordnung dagegen läßt die meisten Mitglieder des Herrenhauses aus
der Wahl gewisser Verbände hervorgehen, denen ein Präsentationsrecht bei¬
gelegt ist. Mit dem Geist des Gesetzes steht dies unbedingt in Widerspruch,
wenn auch mit dem Buchstaben des Gesetzes ein gewisser Einklang dadurch
hergestellt werden kann, daß man die Präsentation für nichts weiter als für
eine Art von Vorschlag erklärt, den der König auch zurückweisen kann. Bis
jetzt wenigstens hat die Regierung sich an diesen Vorschlag gebunden gehalten,
wie noch die jüngsten vier Berufungen ins Herrenhaus bewiesen haben. Aber
unbedingt sowohl mit dem Geist als mit dem Buchstaben des Gesetzes steht
es in Widerspruch, daß nach der Verordnung die Mitgliedschaft unter gewissen
Bedingungen erlischt; das Gesetz kennt unbedingt nur erbliche oder lebensläng¬
liche Pairs. Diese Illegalität läßt sich nicht wegdisputiren. Die Eonsequenzen
davon aber sind sehr ernst. Denn sie führen nothwendig zum Zweifel an
der Legalität der Gesetze, welche unter Mitwirkung des Herrenhauses, also
eines illegaler Factors. zu Stande gekommen sind.

Dies ist ein neuer und dringender Grund, so schnell als möglich die
Hand an die Reform des Herrenhauses zu legen. Auch genügt es nicht, durch
einen Pairsschub sich eine nothwendige Majorität für einen einzelnen Fall
zu schaffen. Denn dabei bleibt das Uebel bestehen und außerdem ist eine
solche Maßregel immer gefährlich. Wenn für die Durchbringung eines ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/200>, abgerufen am 23.05.2024.