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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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griff formirte, der auch stattfand. a'>er wohl mißlungen sein muß; denn
das Feuer der Infanterie sing wieder an. Doch schoß man nicht mehr Pe-
lotonweise. sondern es war das sogenannte Heckenfeuer. Dies dauerte ge-
raume Zeit, wohl eine Stunde lang. Ich sah jetzt Verwundete und Todte am
Boden liegen. Da wurde der Befehl zum Rückzug gegeben, aber das war
auch das Signal, daß Alles in wilder Flucht davonlief. Viele Stimmen
schrien "Halt! Halt! Halt!" aber es war kein Sta d mehr. Ich war unter
unsern Füsilieren. Vergebens rief auch ich mit meiner Knabenstimme, da dachte
ich: man muß den Vordersten zum Stehen bringen. Ohne Tornister, ohne
Gewehr, leichtfüßiger als All"', gelang es mir. den vordersten Mann zu über¬
holen, und da er nicht stehen bleiben wollte, gab ich ihm mit meinem Stock
mit aller Kraft, deren ich fähig war. einen Schlag vor den Bauch, daß er
zusammensank -- (der Mann hieß Tckwedarsky). ES sammelten sich jetzt
einige zwanzig Mann um uns. dock sah ich keinen Offizier dabei. Plötzlich
ergriff mich ein großer Füsilier Namens Feldmann beim Arm und rief wü¬
thend aus: "Herr Junker! hier schlägt man nicht mehr. Unterstehen Sie Sich
das noch einmal, so schlage ich Sie hier mit der Kolbe todt." Ich erschrak
zum Tode und sagte nur: "Warum wollte er nicht stehen?" --

Mit einem Male singen die Leute wieder um zu laufen, ich lief natürlich
mit, und sieh da. plötzlich befand ich mich mitten unter französischen Ehasseurs.
Wo sie hergekommen waren, weiß der liebe Gott, sie waren da wie aus der
"5rde gewachsen, ritten neben, hinter und vor mir her. bald hier bald da einem
Füsilier eins mit dem Pallasch versetzend, mich aber gar nicht beachtend, so
daß ich einen Augenblick dachte: wenn mir Einer so einen kleinen Schmiß in's
Gesicht gäbe, daß man es nachher sehen könnte, so ginge das schon an; doch
kam ich von dieser knabenhaften Eitelkeit im selben Augenblick zurück und
dachte nur noch an meine Rettung. Ich befand mich am Rande eines tiefen
Ravins mit lehr steilen Böschungen, das vielleicht fünfzig Schritte breit, und
hundert Schritt tief war. und begreifend, daß keine Cavallerie hier nachkomme,
stürzte ich mich hinunter, kletterte mit Mühe an der andern Seite hinauf und
drehte mich dann um, um in ziemlicher Sicherheit zu verschnaufen und dem
Gefecht auf der andern Seite der Vertiefung ruhig zuzuschauen. Indem ich
mir dann überlege, wohin ich mich wenden soll, sehe ich zu meiner Freude
auf die Entfernung von etwa zweitausend Schritt eine unabsehbare Linie von
frischen Truppen; es war, wie ich nachher erfuhr, das Armee. CorD des
Generals von Runde!.. Als ich. ganz allein, auf diese Truppe zuschritt,
wurde ich angerufen und sah vor mir einen Offizier, den Lieutenant von G..
der sich niedergelegt hatte, um auszuruhen. Ich legte mich zu ihm und sagte:
"Mein Gott. Herr Lieutenant, was soll aus uns werden?" -- "Das weiß
Gott," erwiderte er. In dem Augenblick bemerkte ich auf etwa hundert


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griff formirte, der auch stattfand. a'>er wohl mißlungen sein muß; denn
das Feuer der Infanterie sing wieder an. Doch schoß man nicht mehr Pe-
lotonweise. sondern es war das sogenannte Heckenfeuer. Dies dauerte ge-
raume Zeit, wohl eine Stunde lang. Ich sah jetzt Verwundete und Todte am
Boden liegen. Da wurde der Befehl zum Rückzug gegeben, aber das war
auch das Signal, daß Alles in wilder Flucht davonlief. Viele Stimmen
schrien „Halt! Halt! Halt!" aber es war kein Sta d mehr. Ich war unter
unsern Füsilieren. Vergebens rief auch ich mit meiner Knabenstimme, da dachte
ich: man muß den Vordersten zum Stehen bringen. Ohne Tornister, ohne
Gewehr, leichtfüßiger als All»', gelang es mir. den vordersten Mann zu über¬
holen, und da er nicht stehen bleiben wollte, gab ich ihm mit meinem Stock
mit aller Kraft, deren ich fähig war. einen Schlag vor den Bauch, daß er
zusammensank — (der Mann hieß Tckwedarsky). ES sammelten sich jetzt
einige zwanzig Mann um uns. dock sah ich keinen Offizier dabei. Plötzlich
ergriff mich ein großer Füsilier Namens Feldmann beim Arm und rief wü¬
thend aus: „Herr Junker! hier schlägt man nicht mehr. Unterstehen Sie Sich
das noch einmal, so schlage ich Sie hier mit der Kolbe todt." Ich erschrak
zum Tode und sagte nur: „Warum wollte er nicht stehen?" —

Mit einem Male singen die Leute wieder um zu laufen, ich lief natürlich
mit, und sieh da. plötzlich befand ich mich mitten unter französischen Ehasseurs.
Wo sie hergekommen waren, weiß der liebe Gott, sie waren da wie aus der
«5rde gewachsen, ritten neben, hinter und vor mir her. bald hier bald da einem
Füsilier eins mit dem Pallasch versetzend, mich aber gar nicht beachtend, so
daß ich einen Augenblick dachte: wenn mir Einer so einen kleinen Schmiß in's
Gesicht gäbe, daß man es nachher sehen könnte, so ginge das schon an; doch
kam ich von dieser knabenhaften Eitelkeit im selben Augenblick zurück und
dachte nur noch an meine Rettung. Ich befand mich am Rande eines tiefen
Ravins mit lehr steilen Böschungen, das vielleicht fünfzig Schritte breit, und
hundert Schritt tief war. und begreifend, daß keine Cavallerie hier nachkomme,
stürzte ich mich hinunter, kletterte mit Mühe an der andern Seite hinauf und
drehte mich dann um, um in ziemlicher Sicherheit zu verschnaufen und dem
Gefecht auf der andern Seite der Vertiefung ruhig zuzuschauen. Indem ich
mir dann überlege, wohin ich mich wenden soll, sehe ich zu meiner Freude
auf die Entfernung von etwa zweitausend Schritt eine unabsehbare Linie von
frischen Truppen; es war, wie ich nachher erfuhr, das Armee. CorD des
Generals von Runde!.. Als ich. ganz allein, auf diese Truppe zuschritt,
wurde ich angerufen und sah vor mir einen Offizier, den Lieutenant von G..
der sich niedergelegt hatte, um auszuruhen. Ich legte mich zu ihm und sagte:
„Mein Gott. Herr Lieutenant, was soll aus uns werden?" — „Das weiß
Gott," erwiderte er. In dem Augenblick bemerkte ich auf etwa hundert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/35>, abgerufen am 12.05.2024.