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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Oestreich und Würzburg vorgeschlagenen Grundlage ablehnt. Die Antwort,
welche Graf Bernstorff dem Grafen Rechbcrg und seinen Genossen hat zusam¬
men lassen, hat einen sehr guten Eindruck gemacht. Sie ist kalt und bestimmt
abweisend und in dem vornehmen Ton gehalten, wie er sich solcher Gesell-
schaft gegenüber geziemt. Aber damit ist die Sache nicht erledigt; wollte Graf
Bernstorff nun die Hände in den Schooß legen und den nächsten Streich seines
Gegners abwarten, so würde er es machen, wie jener ungeschickte Faustkämpfer,
von dem Demosthenes spricht : "Bei den Barbaren sucht der Getroffene immer
die Stelle zu schützen, auf welche der Schlag gefallen ist, und schlägt ihn sein
Gegner irgendwo anders hin, so nehmen die Hände auch diesen Weg; aber
einem Streiche vorzubeugen und ihn dem Gegner an den Augen abzusehen,
das können und wollen sie nicht."

Denn das steht fest: wenn Preußen den nächsten Streich nicht führt, so
wird es nur seinen Gegnern Muth machen ihn zu führen. Das Feindselige
der Noten vom 2. Febr. liegt gar nicht so sehr in ihrem Inhalt als in ihrer
Entstehung. Preußen wird durch Herrn v. Reuse provocirt, seine Ansichten
über die deutsche Bundesreform zu entwickeln. Graf Bernstorff thut dies in
der harmlosesten Weise, und entwickelt die abgeschwächteste Verdünnung des
Unionsgedankens als eine Theorie, an deren Verwirklichung er vorläufig noch
gar nicht denkt. Eine schwächere Antwort konnten die Würzburger nicht
erwartet haben. Doch ist diese Bernstorff'sche Depesche der Vorwand,
daß die Herren Rechberg und Bornes und Pfordten und Dalwigk die Köpfe
zusammenstecken und gemeinschaftlich eine Protestnote aussinnen. Daß es
diesen Herren nicht um eine Bundesreform Deutschlands zu thun ist, weiß
jedes Kind. Was sie wollen, ist die Demüthigung Preußens, und sie hassen
Preußen, weil dies die einzige Macht ist, an welche die Hoffnung auf eine
Zukunft Deutschlands anknüpfen kann. Preußen soll auf das Niveau der
Bedeutungslosigkeit, auf dem es von 1852 bis 1857 war, herabgedrückt wer¬
den, und wenn dies erreicht ist. soll es Vasallendienste für Venetien thun.

Aber was gibt dem zerrissenen, um seine Neugestaltung ringende" Oest¬
reich, was gibt den Mittelstaaten, welche zu einer wirklichen Selbstständigkeit
ganz unfähig sind, den Muth zu einem solchen Auftreten gegen Preußen?
Nur aus den Fehlern, welche Preußen in den letzten Jahren und namentlich
in den letzten Monaten gemacht hat, schöpfen seine Gegner den Muth zu ihrer
Feindseligkeit. Wenn nicht Graf Bernstorff dem Barbaren des Demosthenes
gleichen will, so muß er diese Fehler endlich vermeiden, <o muß er endlich
lernen, die wahre Basis der preußischen Macht zu finden. Wenn Manteuffel
Preußen tief erniedrigt hat, so hat die neue Aera es nur so weit wieder auf¬
gerichtet, um alle feindseligen Kräfte zu stacheln und zu vereinigen. Seit drei
Jahren hat Preußen den Particulmismus bedroht, ohne ihn zu schrecken.


Oestreich und Würzburg vorgeschlagenen Grundlage ablehnt. Die Antwort,
welche Graf Bernstorff dem Grafen Rechbcrg und seinen Genossen hat zusam¬
men lassen, hat einen sehr guten Eindruck gemacht. Sie ist kalt und bestimmt
abweisend und in dem vornehmen Ton gehalten, wie er sich solcher Gesell-
schaft gegenüber geziemt. Aber damit ist die Sache nicht erledigt; wollte Graf
Bernstorff nun die Hände in den Schooß legen und den nächsten Streich seines
Gegners abwarten, so würde er es machen, wie jener ungeschickte Faustkämpfer,
von dem Demosthenes spricht : „Bei den Barbaren sucht der Getroffene immer
die Stelle zu schützen, auf welche der Schlag gefallen ist, und schlägt ihn sein
Gegner irgendwo anders hin, so nehmen die Hände auch diesen Weg; aber
einem Streiche vorzubeugen und ihn dem Gegner an den Augen abzusehen,
das können und wollen sie nicht."

Denn das steht fest: wenn Preußen den nächsten Streich nicht führt, so
wird es nur seinen Gegnern Muth machen ihn zu führen. Das Feindselige
der Noten vom 2. Febr. liegt gar nicht so sehr in ihrem Inhalt als in ihrer
Entstehung. Preußen wird durch Herrn v. Reuse provocirt, seine Ansichten
über die deutsche Bundesreform zu entwickeln. Graf Bernstorff thut dies in
der harmlosesten Weise, und entwickelt die abgeschwächteste Verdünnung des
Unionsgedankens als eine Theorie, an deren Verwirklichung er vorläufig noch
gar nicht denkt. Eine schwächere Antwort konnten die Würzburger nicht
erwartet haben. Doch ist diese Bernstorff'sche Depesche der Vorwand,
daß die Herren Rechberg und Bornes und Pfordten und Dalwigk die Köpfe
zusammenstecken und gemeinschaftlich eine Protestnote aussinnen. Daß es
diesen Herren nicht um eine Bundesreform Deutschlands zu thun ist, weiß
jedes Kind. Was sie wollen, ist die Demüthigung Preußens, und sie hassen
Preußen, weil dies die einzige Macht ist, an welche die Hoffnung auf eine
Zukunft Deutschlands anknüpfen kann. Preußen soll auf das Niveau der
Bedeutungslosigkeit, auf dem es von 1852 bis 1857 war, herabgedrückt wer¬
den, und wenn dies erreicht ist. soll es Vasallendienste für Venetien thun.

Aber was gibt dem zerrissenen, um seine Neugestaltung ringende» Oest¬
reich, was gibt den Mittelstaaten, welche zu einer wirklichen Selbstständigkeit
ganz unfähig sind, den Muth zu einem solchen Auftreten gegen Preußen?
Nur aus den Fehlern, welche Preußen in den letzten Jahren und namentlich
in den letzten Monaten gemacht hat, schöpfen seine Gegner den Muth zu ihrer
Feindseligkeit. Wenn nicht Graf Bernstorff dem Barbaren des Demosthenes
gleichen will, so muß er diese Fehler endlich vermeiden, <o muß er endlich
lernen, die wahre Basis der preußischen Macht zu finden. Wenn Manteuffel
Preußen tief erniedrigt hat, so hat die neue Aera es nur so weit wieder auf¬
gerichtet, um alle feindseligen Kräfte zu stacheln und zu vereinigen. Seit drei
Jahren hat Preußen den Particulmismus bedroht, ohne ihn zu schrecken.


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[0364] Oestreich und Würzburg vorgeschlagenen Grundlage ablehnt. Die Antwort, welche Graf Bernstorff dem Grafen Rechbcrg und seinen Genossen hat zusam¬ men lassen, hat einen sehr guten Eindruck gemacht. Sie ist kalt und bestimmt abweisend und in dem vornehmen Ton gehalten, wie er sich solcher Gesell- schaft gegenüber geziemt. Aber damit ist die Sache nicht erledigt; wollte Graf Bernstorff nun die Hände in den Schooß legen und den nächsten Streich seines Gegners abwarten, so würde er es machen, wie jener ungeschickte Faustkämpfer, von dem Demosthenes spricht : „Bei den Barbaren sucht der Getroffene immer die Stelle zu schützen, auf welche der Schlag gefallen ist, und schlägt ihn sein Gegner irgendwo anders hin, so nehmen die Hände auch diesen Weg; aber einem Streiche vorzubeugen und ihn dem Gegner an den Augen abzusehen, das können und wollen sie nicht." Denn das steht fest: wenn Preußen den nächsten Streich nicht führt, so wird es nur seinen Gegnern Muth machen ihn zu führen. Das Feindselige der Noten vom 2. Febr. liegt gar nicht so sehr in ihrem Inhalt als in ihrer Entstehung. Preußen wird durch Herrn v. Reuse provocirt, seine Ansichten über die deutsche Bundesreform zu entwickeln. Graf Bernstorff thut dies in der harmlosesten Weise, und entwickelt die abgeschwächteste Verdünnung des Unionsgedankens als eine Theorie, an deren Verwirklichung er vorläufig noch gar nicht denkt. Eine schwächere Antwort konnten die Würzburger nicht erwartet haben. Doch ist diese Bernstorff'sche Depesche der Vorwand, daß die Herren Rechberg und Bornes und Pfordten und Dalwigk die Köpfe zusammenstecken und gemeinschaftlich eine Protestnote aussinnen. Daß es diesen Herren nicht um eine Bundesreform Deutschlands zu thun ist, weiß jedes Kind. Was sie wollen, ist die Demüthigung Preußens, und sie hassen Preußen, weil dies die einzige Macht ist, an welche die Hoffnung auf eine Zukunft Deutschlands anknüpfen kann. Preußen soll auf das Niveau der Bedeutungslosigkeit, auf dem es von 1852 bis 1857 war, herabgedrückt wer¬ den, und wenn dies erreicht ist. soll es Vasallendienste für Venetien thun. Aber was gibt dem zerrissenen, um seine Neugestaltung ringende» Oest¬ reich, was gibt den Mittelstaaten, welche zu einer wirklichen Selbstständigkeit ganz unfähig sind, den Muth zu einem solchen Auftreten gegen Preußen? Nur aus den Fehlern, welche Preußen in den letzten Jahren und namentlich in den letzten Monaten gemacht hat, schöpfen seine Gegner den Muth zu ihrer Feindseligkeit. Wenn nicht Graf Bernstorff dem Barbaren des Demosthenes gleichen will, so muß er diese Fehler endlich vermeiden, <o muß er endlich lernen, die wahre Basis der preußischen Macht zu finden. Wenn Manteuffel Preußen tief erniedrigt hat, so hat die neue Aera es nur so weit wieder auf¬ gerichtet, um alle feindseligen Kräfte zu stacheln und zu vereinigen. Seit drei Jahren hat Preußen den Particulmismus bedroht, ohne ihn zu schrecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/364>, abgerufen am 08.06.2024.