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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Unsere jetzige Regierung versteht weder durch eine populäre Haltung die Nation
an sich zu fesseln, noch durch eine imponirende Haltung die Gegner im Zaum
zu halten. Das Unglück des Ministeriums Auerswald ist. daß seine Feinde
es nicht fürchten und seine Freunde nichts von ihm hoffen. Halb und halb
neigt es sich zu einer deutschen Politik hin, welche nur mit der vollen
Zustimmung'und mit der vollen Kraft der Nation durchgeführt werden
kann; und wenn dennoch die Sympathien der Nation dieser unentschlos¬
senen Stimmung sich entgegenbringen und sie zu einem rascheren Schritt
mit fortzureißen hoffen, so besteht die Antwort in einer kalten, vornehmen,
zugeknöpften Zurückweisung. Der Nationalverein wird geduldet, weil er
unter keinen Paragraphen des Strafgesetzes fällt; -- aber ihn begün¬
stigen? Man würde die Zumuthung mit Entrüstung zurückweisen. "Cor-
recte" Leute danken Gott, daß sie nicht sind, wie jene. Die Anhänger der
Fortschrittspartei, welche noch eben bei der kurhessischen Debatte bewiesen
haben, daß sie die besten preußischen Patrioten sind, werden von der Regie-
rung leidenschaftlich zurückgewiesen, sie werden selbst gegen Ultramontane und
Feudale zurückgesetzt. Und wie ist es nun seit der Eröffnung des Landtags
weiter gegangen? Ueber Ministerverantwortlichkeit und Oberrechnungskammer
werden Gesetzentwürfe vorgelegt, welche die Verfassung rückwärts revidiren.
Wäre nicht die Kreisordnung vorgelegt, so würde das Herrenhaus unbedingt
ministerieller erscheinen als das Abgeordnetenhaus. Dem Herrenhaus macht
der Kriegsminister ein unvergeßliches Compluuent. und dem Abgeordneten¬
haus versetzt er aus der Ferne einen Tritt, den er irgend einem Gardelieute-
nant abgesehen haben muß. Kurz das Ministerium geht laugsam und sicher
bergunter und löst sich mehr und mehr von den Wurzeln seiner Kraft.

Dieser Zustand der Dinge gibt den Würzburger Coalirten den Muth zu
ihrer Demonstration. Sie haben ihren Zweck erreicht, wenn die Dinge in
Preußen weiter rückwärts gehen. Aber die Noten vom 2. Febr. schlagen zum
Schaden ihrer Urheber aus, wenn die preußische Regierung sich ermannt und
sich ihrer natürlichen Vasis wieder nähert. Graf Rechberg und die Würzburger
müssen schon eine sehr geringe Meinung vom preußischen Ministerium haben;
denn offenbar haben sie vermuthet, daß die Insulte vom 2. Febr. das¬
selbe nicht vorwärts, sondern rückwärts treiben werde. An Graf Vernstorff
ist es. diesen Calcul zu nichte zu machen. Sein erster Schritt, die Antworts¬
note vom 14. d. M. ist gut. wenn auch etwas zu langsam erfolgt. Auf
dies Wort muß rasch ein empfindlicher Schlag folgen. Die beste Gelegenheit
dazu bietet Kurhessen, seitdem die kurfürstliche Regierung mit der von ihr
selbst octroyirten Verfassung nicht mehr regieren kann. Ein zweiter Schritt,
.auf den jetzt die ganze Situation hindrängt, ist die Anerkennung des König¬
reichs Italien. Preußens und Deutschlands Interesse verlangt dies, und für


Unsere jetzige Regierung versteht weder durch eine populäre Haltung die Nation
an sich zu fesseln, noch durch eine imponirende Haltung die Gegner im Zaum
zu halten. Das Unglück des Ministeriums Auerswald ist. daß seine Feinde
es nicht fürchten und seine Freunde nichts von ihm hoffen. Halb und halb
neigt es sich zu einer deutschen Politik hin, welche nur mit der vollen
Zustimmung'und mit der vollen Kraft der Nation durchgeführt werden
kann; und wenn dennoch die Sympathien der Nation dieser unentschlos¬
senen Stimmung sich entgegenbringen und sie zu einem rascheren Schritt
mit fortzureißen hoffen, so besteht die Antwort in einer kalten, vornehmen,
zugeknöpften Zurückweisung. Der Nationalverein wird geduldet, weil er
unter keinen Paragraphen des Strafgesetzes fällt; — aber ihn begün¬
stigen? Man würde die Zumuthung mit Entrüstung zurückweisen. „Cor-
recte" Leute danken Gott, daß sie nicht sind, wie jene. Die Anhänger der
Fortschrittspartei, welche noch eben bei der kurhessischen Debatte bewiesen
haben, daß sie die besten preußischen Patrioten sind, werden von der Regie-
rung leidenschaftlich zurückgewiesen, sie werden selbst gegen Ultramontane und
Feudale zurückgesetzt. Und wie ist es nun seit der Eröffnung des Landtags
weiter gegangen? Ueber Ministerverantwortlichkeit und Oberrechnungskammer
werden Gesetzentwürfe vorgelegt, welche die Verfassung rückwärts revidiren.
Wäre nicht die Kreisordnung vorgelegt, so würde das Herrenhaus unbedingt
ministerieller erscheinen als das Abgeordnetenhaus. Dem Herrenhaus macht
der Kriegsminister ein unvergeßliches Compluuent. und dem Abgeordneten¬
haus versetzt er aus der Ferne einen Tritt, den er irgend einem Gardelieute-
nant abgesehen haben muß. Kurz das Ministerium geht laugsam und sicher
bergunter und löst sich mehr und mehr von den Wurzeln seiner Kraft.

Dieser Zustand der Dinge gibt den Würzburger Coalirten den Muth zu
ihrer Demonstration. Sie haben ihren Zweck erreicht, wenn die Dinge in
Preußen weiter rückwärts gehen. Aber die Noten vom 2. Febr. schlagen zum
Schaden ihrer Urheber aus, wenn die preußische Regierung sich ermannt und
sich ihrer natürlichen Vasis wieder nähert. Graf Rechberg und die Würzburger
müssen schon eine sehr geringe Meinung vom preußischen Ministerium haben;
denn offenbar haben sie vermuthet, daß die Insulte vom 2. Febr. das¬
selbe nicht vorwärts, sondern rückwärts treiben werde. An Graf Vernstorff
ist es. diesen Calcul zu nichte zu machen. Sein erster Schritt, die Antworts¬
note vom 14. d. M. ist gut. wenn auch etwas zu langsam erfolgt. Auf
dies Wort muß rasch ein empfindlicher Schlag folgen. Die beste Gelegenheit
dazu bietet Kurhessen, seitdem die kurfürstliche Regierung mit der von ihr
selbst octroyirten Verfassung nicht mehr regieren kann. Ein zweiter Schritt,
.auf den jetzt die ganze Situation hindrängt, ist die Anerkennung des König¬
reichs Italien. Preußens und Deutschlands Interesse verlangt dies, und für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/365>, abgerufen am 14.05.2024.