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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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lich mit fortkommen würde. Indeß blieb ich bis über eine halbe Meile bei
ihnen, da stand das Regiment "Prittwitz-Dragoner aufmarschirt. war abge¬
sessen und fütterte ans Beuteln, Bei diesem Regiment, das in Haman in
Garnison gestanden, kannte ich einen Herrn von A..... n, einen Freund
meines Onkels, den suchte ich auf und bat ihn. mich mitzunehmen, was er
ohne große Umstände that. Er war von Herzen ein sehr guter Mensch, gab
mir ein frommes Pferd und sorgte auf dem Marsche für mich, indem er mich
mit in sein Quartier nahm. Letzteres geschah aber nur ein Mal auf ein
paar Stunden; denn die Renrade wurde ununterbrochen fortgesetzt 2 Tage und
2 Nächte hindurch bis nach Magdeburg. Mein Pferd, eine Schenke, verließ
seinen Platz nicht, und wenn ich gar zu müde wurde, schlang ich meine Arme
um seinen Hals, legte mich auf denselben und schlief, ohne herunterzufallen,
manche Meile, was bei dem beschwerlichen Marsche über den Harz gewiß sehr
viel war.

In Magdeburg angekommen, erfuhr ich, daß "nein Bataillon eine halbe
Stunde von da auf einem Dorfe stünde. Ich ging sogleich dahin und wurde
mit großer Freundlichkeit von meinem Hauptman" empfangen, der mich schon
aufgegeben Halle. Unser Bataillon halte Ruhetag, es war nicht mehr allein,
das BalaiUon von Rüste, dessen Commandeur der Saalfeld gefangen wor¬
den, hatte sich angeschlossen, und von dem 3. Bataillon von Nabenau, dessen
Führer, wenn ich nicht irre, geblieben war. hatten sich etwa 200 Mann ein-
gefunden. Alle zusammen standen nun unter dem Kommando des Obersten
Schuler von Senden. Vom General v. Pelel wußte man seit Iserstädt und
Bierzehnheiligen nichts.

Anderen Tages, den 19. oder 20. October. marschirten wir durch Mag¬
deburg, um Munition und Brot zu empfangen. Wir lagen von Morgens
bis Nachmittags 2 Uhr in der Vorstadt an der Straße nach Berlin bei zu¬
sammengesetzten Gewehren und hungerten im wahren Sinne des Worts.
Mein Hauptmann und ich hatten unsern Standort vor einem kleinen, aber
hübschen Hause; aus diesem kam ein sehr anständig gekleideter Mann, wandte
sich an den.Capitän und fragte ihn schüchtern, ob er sich erlauben dürfe, ihm
ein frugales Mittagsessen, freilich nur in etwas Suppe und wenig Fleisch
bestehend, anzubieten. Es wurde dankbarst angenommen und ich aufgefor¬
dert mir hineinzukommen; wir setzten uns zu vier an den gedeckten Tisch,
aber als vorgelegt wurde, machte ich die furchtbare Entdeckung, daß es
eine Kalbfleischsuppe mit Reis und Kartoffeln war. ein Wen, das ich bis
dahin nie im Stande gewesen war hinunter zu bringen. Diesem Widerwillen
jetzt nachzugeben, wäre aber eine Undankbarkeit gegen unsern freundlichen
Wirth gewesen, ich überwand mich, was um so leichter wurde, als ich ge¬
waltig ausgehungert war, und siehe da, nach dem ersten Löffel schmeckte mirs


lich mit fortkommen würde. Indeß blieb ich bis über eine halbe Meile bei
ihnen, da stand das Regiment „Prittwitz-Dragoner aufmarschirt. war abge¬
sessen und fütterte ans Beuteln, Bei diesem Regiment, das in Haman in
Garnison gestanden, kannte ich einen Herrn von A..... n, einen Freund
meines Onkels, den suchte ich auf und bat ihn. mich mitzunehmen, was er
ohne große Umstände that. Er war von Herzen ein sehr guter Mensch, gab
mir ein frommes Pferd und sorgte auf dem Marsche für mich, indem er mich
mit in sein Quartier nahm. Letzteres geschah aber nur ein Mal auf ein
paar Stunden; denn die Renrade wurde ununterbrochen fortgesetzt 2 Tage und
2 Nächte hindurch bis nach Magdeburg. Mein Pferd, eine Schenke, verließ
seinen Platz nicht, und wenn ich gar zu müde wurde, schlang ich meine Arme
um seinen Hals, legte mich auf denselben und schlief, ohne herunterzufallen,
manche Meile, was bei dem beschwerlichen Marsche über den Harz gewiß sehr
viel war.

In Magdeburg angekommen, erfuhr ich, daß «nein Bataillon eine halbe
Stunde von da auf einem Dorfe stünde. Ich ging sogleich dahin und wurde
mit großer Freundlichkeit von meinem Hauptman» empfangen, der mich schon
aufgegeben Halle. Unser Bataillon halte Ruhetag, es war nicht mehr allein,
das BalaiUon von Rüste, dessen Commandeur der Saalfeld gefangen wor¬
den, hatte sich angeschlossen, und von dem 3. Bataillon von Nabenau, dessen
Führer, wenn ich nicht irre, geblieben war. hatten sich etwa 200 Mann ein-
gefunden. Alle zusammen standen nun unter dem Kommando des Obersten
Schuler von Senden. Vom General v. Pelel wußte man seit Iserstädt und
Bierzehnheiligen nichts.

Anderen Tages, den 19. oder 20. October. marschirten wir durch Mag¬
deburg, um Munition und Brot zu empfangen. Wir lagen von Morgens
bis Nachmittags 2 Uhr in der Vorstadt an der Straße nach Berlin bei zu¬
sammengesetzten Gewehren und hungerten im wahren Sinne des Worts.
Mein Hauptmann und ich hatten unsern Standort vor einem kleinen, aber
hübschen Hause; aus diesem kam ein sehr anständig gekleideter Mann, wandte
sich an den.Capitän und fragte ihn schüchtern, ob er sich erlauben dürfe, ihm
ein frugales Mittagsessen, freilich nur in etwas Suppe und wenig Fleisch
bestehend, anzubieten. Es wurde dankbarst angenommen und ich aufgefor¬
dert mir hineinzukommen; wir setzten uns zu vier an den gedeckten Tisch,
aber als vorgelegt wurde, machte ich die furchtbare Entdeckung, daß es
eine Kalbfleischsuppe mit Reis und Kartoffeln war. ein Wen, das ich bis
dahin nie im Stande gewesen war hinunter zu bringen. Diesem Widerwillen
jetzt nachzugeben, wäre aber eine Undankbarkeit gegen unsern freundlichen
Wirth gewesen, ich überwand mich, was um so leichter wurde, als ich ge¬
waltig ausgehungert war, und siehe da, nach dem ersten Löffel schmeckte mirs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/40>, abgerufen am 12.05.2024.