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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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drängt, doch fortwährend in England einen Kern der reformatorischen,
namentlich antipävstlichcn Bewegung erhielten. Einen neuen Aufschwung er¬
hielt diese Strömung, als in den ersten Jahren der Regierung Heinrich's des
Achten die Ideen, welche von Wittenberg ausgingen, sich nach England ver¬
breiteten. Damals bildete sich in London eine Gesellschaft, welche sich die
"Verbindung der christlichen Brüder" nannte. Sie bestand aus armen Leuten,
Handwerkern, Kaufleuten, wenigen, sehr wenigen aus der Geistlichkeit. Aber
sie war sorgfältig organisirt; ihre Agenten waren überall im Lande zerstreut
und verbreiteten Testamente und Tractate; überall ließen sich Personen, welche
ihr Leben für die Sache des reinen Glaubens wagen wollten, in die Gesell¬
schaft aufnehmen. Tyndal übersetzte unter Luther's eigener Anleitung die
Evangelien und Episteln ins Englische. In Antwerpen ward eine Drucker¬
presse errichtet; von hier aus wurden Tyndal's Bibel und Uebersetzungen der
besten deutschen Bücher in England verbreitet. Selbst die Universität Oxford
war von der reformatorischen Bewegung angesteckt.

So war die Ernte seit lange gereift. Die Gegcnanstrengungen waren
nicht minder energisch gewesen. Seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhun¬
derts sind die Protokolle der bischöflichen Gerichtshöfe in England mit Be¬
richten über Ketzerverfolgungen angefüllt. Zahlreiche Märtyrer waren gefallen,
denen die Messen, die Pilgerfahrten, die Jndulgenzen, der Ablaßhandel un¬
erträglich waren; welche sich zum Widerstand erhoben und erklärt hatten, daß,
was immer die Wahrheit sein möge, dies Alles Lüge sei. Gegen diese aus
dem Volke emporsteigende Bewegung hatten die Bischöfe eifrig mit Gefäng¬
niß und Scheiterhaufen gekämpft. Smithsield ist der Platz, wo regelmäßig
die Opfer der Londoner Ketzergerichte verbrannt wurden. Aber der reforma-
torische Geist war nicht zu unterdrücken. Mit der Zahl der Bestrafungen wuchs
immer die Zahl der Uebertreter, und wie man sagte, als Patrick Hamilton
den Feuertod erlitt, der "Rauch der Märtyrer steckte Alle an, welche von ihm
angeweht wurden."

Der Boden Englands war für die Saat der Reformation reichlich ge¬
düngt, als Heinrich der Achte wegen seiner Scheidung von Katharina mit
der päpstlichen Curie in Streit gerieth. Wie zeigt sich doch in Heinrich die
eigenthümliche Ironie der Geschichte! Er begann als der eifrigste Vertheidiger
des katholischen Glaubens und endete damit, daß er sein Reich von der Ver¬
bindung mit dem päpstlichen Stuhl losriß. In früheren Jahren war er
selbst als Schriftsteller gegen Luther zur Vertheidigung katholischer Dogmen
aufgetreten. Die Streitschriften des deutschen Reformators gegen seinen könig.
lichen Widersacher lassen wenigstens an Derbheit nichts zu wünschen übrig.
"Tat ein künig von Engeland sein lügen unverschampt uß speyen. so tat ich
sie jm frölich wider in seinen Halß stoßen, denn damit leftert er alle meine


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drängt, doch fortwährend in England einen Kern der reformatorischen,
namentlich antipävstlichcn Bewegung erhielten. Einen neuen Aufschwung er¬
hielt diese Strömung, als in den ersten Jahren der Regierung Heinrich's des
Achten die Ideen, welche von Wittenberg ausgingen, sich nach England ver¬
breiteten. Damals bildete sich in London eine Gesellschaft, welche sich die
„Verbindung der christlichen Brüder" nannte. Sie bestand aus armen Leuten,
Handwerkern, Kaufleuten, wenigen, sehr wenigen aus der Geistlichkeit. Aber
sie war sorgfältig organisirt; ihre Agenten waren überall im Lande zerstreut
und verbreiteten Testamente und Tractate; überall ließen sich Personen, welche
ihr Leben für die Sache des reinen Glaubens wagen wollten, in die Gesell¬
schaft aufnehmen. Tyndal übersetzte unter Luther's eigener Anleitung die
Evangelien und Episteln ins Englische. In Antwerpen ward eine Drucker¬
presse errichtet; von hier aus wurden Tyndal's Bibel und Uebersetzungen der
besten deutschen Bücher in England verbreitet. Selbst die Universität Oxford
war von der reformatorischen Bewegung angesteckt.

So war die Ernte seit lange gereift. Die Gegcnanstrengungen waren
nicht minder energisch gewesen. Seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhun¬
derts sind die Protokolle der bischöflichen Gerichtshöfe in England mit Be¬
richten über Ketzerverfolgungen angefüllt. Zahlreiche Märtyrer waren gefallen,
denen die Messen, die Pilgerfahrten, die Jndulgenzen, der Ablaßhandel un¬
erträglich waren; welche sich zum Widerstand erhoben und erklärt hatten, daß,
was immer die Wahrheit sein möge, dies Alles Lüge sei. Gegen diese aus
dem Volke emporsteigende Bewegung hatten die Bischöfe eifrig mit Gefäng¬
niß und Scheiterhaufen gekämpft. Smithsield ist der Platz, wo regelmäßig
die Opfer der Londoner Ketzergerichte verbrannt wurden. Aber der reforma-
torische Geist war nicht zu unterdrücken. Mit der Zahl der Bestrafungen wuchs
immer die Zahl der Uebertreter, und wie man sagte, als Patrick Hamilton
den Feuertod erlitt, der „Rauch der Märtyrer steckte Alle an, welche von ihm
angeweht wurden."

Der Boden Englands war für die Saat der Reformation reichlich ge¬
düngt, als Heinrich der Achte wegen seiner Scheidung von Katharina mit
der päpstlichen Curie in Streit gerieth. Wie zeigt sich doch in Heinrich die
eigenthümliche Ironie der Geschichte! Er begann als der eifrigste Vertheidiger
des katholischen Glaubens und endete damit, daß er sein Reich von der Ver¬
bindung mit dem päpstlichen Stuhl losriß. In früheren Jahren war er
selbst als Schriftsteller gegen Luther zur Vertheidigung katholischer Dogmen
aufgetreten. Die Streitschriften des deutschen Reformators gegen seinen könig.
lichen Widersacher lassen wenigstens an Derbheit nichts zu wünschen übrig.
„Tat ein künig von Engeland sein lügen unverschampt uß speyen. so tat ich
sie jm frölich wider in seinen Halß stoßen, denn damit leftert er alle meine


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[0451] drängt, doch fortwährend in England einen Kern der reformatorischen, namentlich antipävstlichcn Bewegung erhielten. Einen neuen Aufschwung er¬ hielt diese Strömung, als in den ersten Jahren der Regierung Heinrich's des Achten die Ideen, welche von Wittenberg ausgingen, sich nach England ver¬ breiteten. Damals bildete sich in London eine Gesellschaft, welche sich die „Verbindung der christlichen Brüder" nannte. Sie bestand aus armen Leuten, Handwerkern, Kaufleuten, wenigen, sehr wenigen aus der Geistlichkeit. Aber sie war sorgfältig organisirt; ihre Agenten waren überall im Lande zerstreut und verbreiteten Testamente und Tractate; überall ließen sich Personen, welche ihr Leben für die Sache des reinen Glaubens wagen wollten, in die Gesell¬ schaft aufnehmen. Tyndal übersetzte unter Luther's eigener Anleitung die Evangelien und Episteln ins Englische. In Antwerpen ward eine Drucker¬ presse errichtet; von hier aus wurden Tyndal's Bibel und Uebersetzungen der besten deutschen Bücher in England verbreitet. Selbst die Universität Oxford war von der reformatorischen Bewegung angesteckt. So war die Ernte seit lange gereift. Die Gegcnanstrengungen waren nicht minder energisch gewesen. Seit dem Beginn des sechzehnten Jahrhun¬ derts sind die Protokolle der bischöflichen Gerichtshöfe in England mit Be¬ richten über Ketzerverfolgungen angefüllt. Zahlreiche Märtyrer waren gefallen, denen die Messen, die Pilgerfahrten, die Jndulgenzen, der Ablaßhandel un¬ erträglich waren; welche sich zum Widerstand erhoben und erklärt hatten, daß, was immer die Wahrheit sein möge, dies Alles Lüge sei. Gegen diese aus dem Volke emporsteigende Bewegung hatten die Bischöfe eifrig mit Gefäng¬ niß und Scheiterhaufen gekämpft. Smithsield ist der Platz, wo regelmäßig die Opfer der Londoner Ketzergerichte verbrannt wurden. Aber der reforma- torische Geist war nicht zu unterdrücken. Mit der Zahl der Bestrafungen wuchs immer die Zahl der Uebertreter, und wie man sagte, als Patrick Hamilton den Feuertod erlitt, der „Rauch der Märtyrer steckte Alle an, welche von ihm angeweht wurden." Der Boden Englands war für die Saat der Reformation reichlich ge¬ düngt, als Heinrich der Achte wegen seiner Scheidung von Katharina mit der päpstlichen Curie in Streit gerieth. Wie zeigt sich doch in Heinrich die eigenthümliche Ironie der Geschichte! Er begann als der eifrigste Vertheidiger des katholischen Glaubens und endete damit, daß er sein Reich von der Ver¬ bindung mit dem päpstlichen Stuhl losriß. In früheren Jahren war er selbst als Schriftsteller gegen Luther zur Vertheidigung katholischer Dogmen aufgetreten. Die Streitschriften des deutschen Reformators gegen seinen könig. lichen Widersacher lassen wenigstens an Derbheit nichts zu wünschen übrig. „Tat ein künig von Engeland sein lügen unverschampt uß speyen. so tat ich sie jm frölich wider in seinen Halß stoßen, denn damit leftert er alle meine S6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/451>, abgerufen am 24.05.2024.