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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Vortheile des Friedens lebhafter empfinden. Während noch zahlreiche un¬
ruhige Elemente vorhanden waren, dachte der weisere Theil der Nation nur
mit Besorgniß an eine Wiederholung der frühern Unruhen. Ein Erbfolge-
krieg war der vorherrschende Gegenstand des Schreckens unter den englischen
Staatsmännern; die sichere Begründung der herrschenden Familie war das
bestimmende Princip ihrer Handlungen.

Die Erbfolge aber war, wenn Heinrich der Achte keinen männlichen Er¬
ben hinterließ, nicht gesichert. Obgleich die Möglichkeit einer weiblichen Erb¬
folge durch kein Gesetz verneint war, so hatte doch noch nie ein Weib >n
England regiert. Die Zukunft, welcher England entgegenging, war also in
jedem Falle dunkel und ungewiß. Entweder lebte die Prinzessin Maria beim
Tode ihres Vaters; dann war ihre Thronbesteigung eine Versuchung zur Empö¬
rung. Oder sie lebte nicht mehr, und der König hinterließ keine andere"
Kinder; dann war ein Bürgerkrieg unvermeidlich. Der nächste Erbe der
Blutsverwandtschaft nach war Heinrich's Schwestersohn, König Jacob von
Schottland. User wie sehr anch die Vereinigung der ganzen Insel unter einer
Krone wünschenswerth sein Mochte, die damalige Stimmung des englischen
Volkes ließ nicht daran denken. Die Steine in den Straßen Londons, wie
es in einer gleichzeitigen Quelle heißt, würden sich erheben gegen einen König
von Schottland, der einen Anspruch ans die englische Regierung erhöbe. Das
Parlament selbst erklärte in formeller Weise, daß es sich jedem Versuch des
Ichottischeu Königs auf's Aeußerste widersetze" werde.

Aber Jacob würde das Recht der Engländer, ih" zu verweisen, Nicht
anerkannt haben. Er hätte sein Erbrecht mit der Kraft Schottlands und
wahrscheinlich mit der Unterstützung Frankreichs geltend gemacht. Und wenn
er dies that, so fand er sich gegenüber el" uneiniges E"gla"d. Den" die
Elemente der alten Parteien glühten noch unter der Asche. Dem Herzog von
Buckingham hatte es vor Kurzem eine Partei anch im Volke verschafft, daß er
behauptete, er sei der nächste Erbe zur Kraue u"d werde sie si,y nicht nehme"
lassen. Er war dafür hingerichtet worden. Aber daneben bestand im Geheimen
während der ganzen Regierung Heinrich'S des Achten eine Partei der weiße"
Nose. An ihrer Spitze stand damals die Schwester des ermordeten Grafen
vo" Warwick, die Gräsi" von Salisbrny. Diese bedeutende Frau hatte die
gewaltige Natur der Plantagenets geerbt. Um sie gruppirte" sich die mäch¬
tigen Häuser der Courtenay, der Neville, der Warwick. Ihre Abstammung
vo" den Planlagenets war reiner als die des Königs; n"d we"n Heinrich ohne
männliche Nachkommenschaft starb, so würde wahrscheinlich halb England sich
entweder für einen ihrer Söhne oder für den Marquis von Exeter. den Enkel
Eduard's des Vierten erklärt haben.

So waren die Aussichten i" die Zukunft, als zuerst im Jahre 1527


Vortheile des Friedens lebhafter empfinden. Während noch zahlreiche un¬
ruhige Elemente vorhanden waren, dachte der weisere Theil der Nation nur
mit Besorgniß an eine Wiederholung der frühern Unruhen. Ein Erbfolge-
krieg war der vorherrschende Gegenstand des Schreckens unter den englischen
Staatsmännern; die sichere Begründung der herrschenden Familie war das
bestimmende Princip ihrer Handlungen.

Die Erbfolge aber war, wenn Heinrich der Achte keinen männlichen Er¬
ben hinterließ, nicht gesichert. Obgleich die Möglichkeit einer weiblichen Erb¬
folge durch kein Gesetz verneint war, so hatte doch noch nie ein Weib >n
England regiert. Die Zukunft, welcher England entgegenging, war also in
jedem Falle dunkel und ungewiß. Entweder lebte die Prinzessin Maria beim
Tode ihres Vaters; dann war ihre Thronbesteigung eine Versuchung zur Empö¬
rung. Oder sie lebte nicht mehr, und der König hinterließ keine andere»
Kinder; dann war ein Bürgerkrieg unvermeidlich. Der nächste Erbe der
Blutsverwandtschaft nach war Heinrich's Schwestersohn, König Jacob von
Schottland. User wie sehr anch die Vereinigung der ganzen Insel unter einer
Krone wünschenswerth sein Mochte, die damalige Stimmung des englischen
Volkes ließ nicht daran denken. Die Steine in den Straßen Londons, wie
es in einer gleichzeitigen Quelle heißt, würden sich erheben gegen einen König
von Schottland, der einen Anspruch ans die englische Regierung erhöbe. Das
Parlament selbst erklärte in formeller Weise, daß es sich jedem Versuch des
Ichottischeu Königs auf's Aeußerste widersetze» werde.

Aber Jacob würde das Recht der Engländer, ih» zu verweisen, Nicht
anerkannt haben. Er hätte sein Erbrecht mit der Kraft Schottlands und
wahrscheinlich mit der Unterstützung Frankreichs geltend gemacht. Und wenn
er dies that, so fand er sich gegenüber el» uneiniges E»gla»d. Den» die
Elemente der alten Parteien glühten noch unter der Asche. Dem Herzog von
Buckingham hatte es vor Kurzem eine Partei anch im Volke verschafft, daß er
behauptete, er sei der nächste Erbe zur Kraue u»d werde sie si,y nicht nehme»
lassen. Er war dafür hingerichtet worden. Aber daneben bestand im Geheimen
während der ganzen Regierung Heinrich'S des Achten eine Partei der weiße»
Nose. An ihrer Spitze stand damals die Schwester des ermordeten Grafen
vo» Warwick, die Gräsi» von Salisbrny. Diese bedeutende Frau hatte die
gewaltige Natur der Plantagenets geerbt. Um sie gruppirte» sich die mäch¬
tigen Häuser der Courtenay, der Neville, der Warwick. Ihre Abstammung
vo» den Planlagenets war reiner als die des Königs; n»d we»n Heinrich ohne
männliche Nachkommenschaft starb, so würde wahrscheinlich halb England sich
entweder für einen ihrer Söhne oder für den Marquis von Exeter. den Enkel
Eduard's des Vierten erklärt haben.

So waren die Aussichten i» die Zukunft, als zuerst im Jahre 1527


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[0453] Vortheile des Friedens lebhafter empfinden. Während noch zahlreiche un¬ ruhige Elemente vorhanden waren, dachte der weisere Theil der Nation nur mit Besorgniß an eine Wiederholung der frühern Unruhen. Ein Erbfolge- krieg war der vorherrschende Gegenstand des Schreckens unter den englischen Staatsmännern; die sichere Begründung der herrschenden Familie war das bestimmende Princip ihrer Handlungen. Die Erbfolge aber war, wenn Heinrich der Achte keinen männlichen Er¬ ben hinterließ, nicht gesichert. Obgleich die Möglichkeit einer weiblichen Erb¬ folge durch kein Gesetz verneint war, so hatte doch noch nie ein Weib >n England regiert. Die Zukunft, welcher England entgegenging, war also in jedem Falle dunkel und ungewiß. Entweder lebte die Prinzessin Maria beim Tode ihres Vaters; dann war ihre Thronbesteigung eine Versuchung zur Empö¬ rung. Oder sie lebte nicht mehr, und der König hinterließ keine andere» Kinder; dann war ein Bürgerkrieg unvermeidlich. Der nächste Erbe der Blutsverwandtschaft nach war Heinrich's Schwestersohn, König Jacob von Schottland. User wie sehr anch die Vereinigung der ganzen Insel unter einer Krone wünschenswerth sein Mochte, die damalige Stimmung des englischen Volkes ließ nicht daran denken. Die Steine in den Straßen Londons, wie es in einer gleichzeitigen Quelle heißt, würden sich erheben gegen einen König von Schottland, der einen Anspruch ans die englische Regierung erhöbe. Das Parlament selbst erklärte in formeller Weise, daß es sich jedem Versuch des Ichottischeu Königs auf's Aeußerste widersetze» werde. Aber Jacob würde das Recht der Engländer, ih» zu verweisen, Nicht anerkannt haben. Er hätte sein Erbrecht mit der Kraft Schottlands und wahrscheinlich mit der Unterstützung Frankreichs geltend gemacht. Und wenn er dies that, so fand er sich gegenüber el» uneiniges E»gla»d. Den» die Elemente der alten Parteien glühten noch unter der Asche. Dem Herzog von Buckingham hatte es vor Kurzem eine Partei anch im Volke verschafft, daß er behauptete, er sei der nächste Erbe zur Kraue u»d werde sie si,y nicht nehme» lassen. Er war dafür hingerichtet worden. Aber daneben bestand im Geheimen während der ganzen Regierung Heinrich'S des Achten eine Partei der weiße» Nose. An ihrer Spitze stand damals die Schwester des ermordeten Grafen vo» Warwick, die Gräsi» von Salisbrny. Diese bedeutende Frau hatte die gewaltige Natur der Plantagenets geerbt. Um sie gruppirte» sich die mäch¬ tigen Häuser der Courtenay, der Neville, der Warwick. Ihre Abstammung vo» den Planlagenets war reiner als die des Königs; n»d we»n Heinrich ohne männliche Nachkommenschaft starb, so würde wahrscheinlich halb England sich entweder für einen ihrer Söhne oder für den Marquis von Exeter. den Enkel Eduard's des Vierten erklärt haben. So waren die Aussichten i» die Zukunft, als zuerst im Jahre 1527

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/453>, abgerufen am 16.06.2024.