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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Zweifel an der Rechtmnßigkeit der Ehe Heinrich's mit Katharina von Ara-
gonien erhoben wurden. Gründe der inneren und äußeren Politik wirkten
hier mit religiösen Bedenken zusammen. Mit den letzteren verhielt es sich so.
Katharina war ursprünglich mit Prinz Arthur, dem älteren Bruder Heinrich's
des Achten, vermählt gewesen. Aber schon fünf Monate nach der Hochzeit
starb Prinz Arthur, erst sechszehn Jahre alt. Man weiß nicht, ob er die Ehe
wirklich vollzogen hatte. Die beiden Väter, Heinrich der Siebente und Fer¬
dinand der Katholische, hatten gedacht, durch diese Ehe der großen consolidir-
ten Macht von Frankreich ein spanisch-englisches Familienbündniß, welches
auch Oestreich-Burgund und Portugal umfassen sollte, entgegen zu stellen.
Dieser politische Beweggrund dauerte auch nach dem Tode Arthur's fort. Man
wollte die einmal begründete Familicnallianz nicht aufgeben. Ferdinand
machte den Vorschlag, die Infantin nun mit Heinrich, dem Bruder des Ver¬
storbenen, zu vermählen. Aber Heinrich war damals erst zwölf Jahr alt;
an eine Vollziehung der Ehe war also für den Angenblick nicht zu denken.
Aber außerdem stand das kirchliche Hinderniß entgegen, daß eine Ehe mit
dem Weibe des Bruders in der Bibel verboten ist. Nur widerwillig ertheilte
Papst Julius der Zweite die nothwendige Dispensation von dieser Vorschrift,
Aber schon damals wurden Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Ermächtigung
laut. In England selbst erhoben sich Stimmen, unter ihnen der Erzbischof
von Canterbury, welche meinten, die dispensirende Gewalt des Papstes gehe
nicht so weit, daß er von ausdrücklichen Vorschriften der Bibel entbinden
könne. Nichtsdestoweniger fand die Verlobung statt, als Heinrich dreizehn
Jahre alt war. Aber im folgenden Jahre protestirte dieser ausdrücklich gegen
die Giltigkeit der Verpflichtungen, die in seinem Namen eingegangen waren,
und sein Vater, der selbst Gewissensscrupel zu empfinden schien, war mit dieser
Verwahrung einverstanden. So stand die Sache unentschieden hin, bis Hein¬
rich der Siebente im I. 1509 starb. Katharina war während dieser ganzen
Zeit in England geblieben.

Bei seiner Thronbesteigung war Heinrich der Achte achtzehn Jahr alt.
Er entschloß sich nun ohne Verzug, die Vermählung mit seines Bruders Wittwe
zu vollziehen. Die Verschiedenheit des Alters (sie war sechs ,Jahre älter als
Heinrich) schien von geringer Bedeutung, da sie beide verhältnißmäßig jung
waren. Für eine Reihe von Jahren ging Alles gut, und die ursprünglichen
Bedenken schienen vergessen zu sein. Hätte Heinrich einen Sohn und Erben
gehabt, so würde die Ehescheidungssrage wahrscheinlich nie ausgeworfen wor¬
den sein.

Aber ihm lebte nur eine Tochter. Drei Knaben waren ihm in dieser
Ehe geboren, aber sie starben unmittelbar nach .der Geburt. Die Erbfolge
war nicht gesichert, und schon trat der König in das mittlere Lebensalter.


Zweifel an der Rechtmnßigkeit der Ehe Heinrich's mit Katharina von Ara-
gonien erhoben wurden. Gründe der inneren und äußeren Politik wirkten
hier mit religiösen Bedenken zusammen. Mit den letzteren verhielt es sich so.
Katharina war ursprünglich mit Prinz Arthur, dem älteren Bruder Heinrich's
des Achten, vermählt gewesen. Aber schon fünf Monate nach der Hochzeit
starb Prinz Arthur, erst sechszehn Jahre alt. Man weiß nicht, ob er die Ehe
wirklich vollzogen hatte. Die beiden Väter, Heinrich der Siebente und Fer¬
dinand der Katholische, hatten gedacht, durch diese Ehe der großen consolidir-
ten Macht von Frankreich ein spanisch-englisches Familienbündniß, welches
auch Oestreich-Burgund und Portugal umfassen sollte, entgegen zu stellen.
Dieser politische Beweggrund dauerte auch nach dem Tode Arthur's fort. Man
wollte die einmal begründete Familicnallianz nicht aufgeben. Ferdinand
machte den Vorschlag, die Infantin nun mit Heinrich, dem Bruder des Ver¬
storbenen, zu vermählen. Aber Heinrich war damals erst zwölf Jahr alt;
an eine Vollziehung der Ehe war also für den Angenblick nicht zu denken.
Aber außerdem stand das kirchliche Hinderniß entgegen, daß eine Ehe mit
dem Weibe des Bruders in der Bibel verboten ist. Nur widerwillig ertheilte
Papst Julius der Zweite die nothwendige Dispensation von dieser Vorschrift,
Aber schon damals wurden Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Ermächtigung
laut. In England selbst erhoben sich Stimmen, unter ihnen der Erzbischof
von Canterbury, welche meinten, die dispensirende Gewalt des Papstes gehe
nicht so weit, daß er von ausdrücklichen Vorschriften der Bibel entbinden
könne. Nichtsdestoweniger fand die Verlobung statt, als Heinrich dreizehn
Jahre alt war. Aber im folgenden Jahre protestirte dieser ausdrücklich gegen
die Giltigkeit der Verpflichtungen, die in seinem Namen eingegangen waren,
und sein Vater, der selbst Gewissensscrupel zu empfinden schien, war mit dieser
Verwahrung einverstanden. So stand die Sache unentschieden hin, bis Hein¬
rich der Siebente im I. 1509 starb. Katharina war während dieser ganzen
Zeit in England geblieben.

Bei seiner Thronbesteigung war Heinrich der Achte achtzehn Jahr alt.
Er entschloß sich nun ohne Verzug, die Vermählung mit seines Bruders Wittwe
zu vollziehen. Die Verschiedenheit des Alters (sie war sechs ,Jahre älter als
Heinrich) schien von geringer Bedeutung, da sie beide verhältnißmäßig jung
waren. Für eine Reihe von Jahren ging Alles gut, und die ursprünglichen
Bedenken schienen vergessen zu sein. Hätte Heinrich einen Sohn und Erben
gehabt, so würde die Ehescheidungssrage wahrscheinlich nie ausgeworfen wor¬
den sein.

Aber ihm lebte nur eine Tochter. Drei Knaben waren ihm in dieser
Ehe geboren, aber sie starben unmittelbar nach .der Geburt. Die Erbfolge
war nicht gesichert, und schon trat der König in das mittlere Lebensalter.


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[0454] Zweifel an der Rechtmnßigkeit der Ehe Heinrich's mit Katharina von Ara- gonien erhoben wurden. Gründe der inneren und äußeren Politik wirkten hier mit religiösen Bedenken zusammen. Mit den letzteren verhielt es sich so. Katharina war ursprünglich mit Prinz Arthur, dem älteren Bruder Heinrich's des Achten, vermählt gewesen. Aber schon fünf Monate nach der Hochzeit starb Prinz Arthur, erst sechszehn Jahre alt. Man weiß nicht, ob er die Ehe wirklich vollzogen hatte. Die beiden Väter, Heinrich der Siebente und Fer¬ dinand der Katholische, hatten gedacht, durch diese Ehe der großen consolidir- ten Macht von Frankreich ein spanisch-englisches Familienbündniß, welches auch Oestreich-Burgund und Portugal umfassen sollte, entgegen zu stellen. Dieser politische Beweggrund dauerte auch nach dem Tode Arthur's fort. Man wollte die einmal begründete Familicnallianz nicht aufgeben. Ferdinand machte den Vorschlag, die Infantin nun mit Heinrich, dem Bruder des Ver¬ storbenen, zu vermählen. Aber Heinrich war damals erst zwölf Jahr alt; an eine Vollziehung der Ehe war also für den Angenblick nicht zu denken. Aber außerdem stand das kirchliche Hinderniß entgegen, daß eine Ehe mit dem Weibe des Bruders in der Bibel verboten ist. Nur widerwillig ertheilte Papst Julius der Zweite die nothwendige Dispensation von dieser Vorschrift, Aber schon damals wurden Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Ermächtigung laut. In England selbst erhoben sich Stimmen, unter ihnen der Erzbischof von Canterbury, welche meinten, die dispensirende Gewalt des Papstes gehe nicht so weit, daß er von ausdrücklichen Vorschriften der Bibel entbinden könne. Nichtsdestoweniger fand die Verlobung statt, als Heinrich dreizehn Jahre alt war. Aber im folgenden Jahre protestirte dieser ausdrücklich gegen die Giltigkeit der Verpflichtungen, die in seinem Namen eingegangen waren, und sein Vater, der selbst Gewissensscrupel zu empfinden schien, war mit dieser Verwahrung einverstanden. So stand die Sache unentschieden hin, bis Hein¬ rich der Siebente im I. 1509 starb. Katharina war während dieser ganzen Zeit in England geblieben. Bei seiner Thronbesteigung war Heinrich der Achte achtzehn Jahr alt. Er entschloß sich nun ohne Verzug, die Vermählung mit seines Bruders Wittwe zu vollziehen. Die Verschiedenheit des Alters (sie war sechs ,Jahre älter als Heinrich) schien von geringer Bedeutung, da sie beide verhältnißmäßig jung waren. Für eine Reihe von Jahren ging Alles gut, und die ursprünglichen Bedenken schienen vergessen zu sein. Hätte Heinrich einen Sohn und Erben gehabt, so würde die Ehescheidungssrage wahrscheinlich nie ausgeworfen wor¬ den sein. Aber ihm lebte nur eine Tochter. Drei Knaben waren ihm in dieser Ehe geboren, aber sie starben unmittelbar nach .der Geburt. Die Erbfolge war nicht gesichert, und schon trat der König in das mittlere Lebensalter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/454>, abgerufen am 16.06.2024.