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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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strengsten Strafen zu belegen.' Von einer Mitwirkung des Papstes hierbei ist
schon nicht mehr die Rede; dagegen wird der König gleich in diesem ersten
vom Parlament ausgehenden Actenstücke bezeichnet als "das einzige Haupt,
der souveräne Herr und Protector sowohl der geistlichen als auch der welt¬
lichen Unterthanen." Durch dieses Wort riß man sich von dem Zusammen¬
hange mit dem geistlichen Oberhaupt der katholischen Kirche los. Kein Zwei¬
fel, daß das Unterhaus diese Absicht hegte und sich derselben vollkommen be¬
wußt war; während seiner siebenjährigen Dauer hat es diese Absicht nie
verleugnet. Nachdem er die Thätigkeit dieses Parlaments bis zu seiner Aus¬
lösung (1536) begleitet hat. preist Fronde die Bedeutung desselben mit folgen¬
den Worten:

"Das Unterhaus ist uns nur als eine Abstraction bekannt. Die Debatten
sind verloren, und die Details seiner Thätigkeit sind uns nur in matt durch¬
schimmernden Strahlen sichtbar. Wir haben einen auszüglichen Bericht über
zwei Sitzungen des Oberhauses; aber selbst diese thnlwcise Aushilfe läßt
uns bei den Gemeinen im Stich; und die Lords waren in dieser Angelegenheit
ein Körper von secundärer Bedeutung. Die Lords hatten aufgehört,, die Lei¬
ter des englischen Volks zu sein; sie waren mehr ein Schmuck als eine Macht;
unter der Leitung des Conseils folgten sie wie der Strom sie trieb, während
sie einzeln, wenn sie gewagt hätten, einen ganz anderen Weg eingeschlagen
haben würden. Durch das Unterhaus ward das Werk vollbracht; dieses
stellte den ersten Antrag; dieses und der König führten die Sache zum Siege.
Diese eine Versammlung von Männern, die uns jetzt nur in undeutlichem
Licht erscheinen, die bei dem Zusammensturz der Verwaltung Wolscy's ihre
Thätigkeit eröffneten, hatte eine Revolution. welche die Grundlagen des
Staats umwälzte, begonnen und vollendet. Sie fanden England in Abhängig¬
keit von einer fremden Macht; sie ließen es als eine freie Nation. Sie fan¬
den es unter dem Despotismus einer Kirche, die mit Krankheitsstoffen erfüllt
war; sie hatten die Hände dieser Kirche gebunden; sie hatten sie unter das
Messer gebracht und ihre von Fäulniß ergriffenen Glieder abgeschnitten; indem
sie ihr ihr Nessusgewand von Glanz und Macht abzogen, hatten sie mit Ge-
walt in ihr die Erinnerung an ihren höheren Beruf erweckt. Die Elemente
einer weit tiefer greifenden Veränderung waren in Gährung, einer Verände¬
rung nicht in der Gestaltung der äußeren Autorität, sondern in dem Glauben
und in den Ueberzeugungen, welche das Leben der Seele berührten. Dies
stand noch bevor, und in so weit war das Werk nur der einleitende Schritt
oder das Vorspiel zu einem ernsteren Kampf. Aber wo der Feind, der besiegt
werden soll, stark ist nicht an eigenthümlicher Lebenskraft, sondern durch eine
verblendende Autorität und durch die Zaubermittel des Aberglaubens, da
gewinnen in Wahrheit diejenigen die Schlacht, welche den ersten Streich


strengsten Strafen zu belegen.' Von einer Mitwirkung des Papstes hierbei ist
schon nicht mehr die Rede; dagegen wird der König gleich in diesem ersten
vom Parlament ausgehenden Actenstücke bezeichnet als „das einzige Haupt,
der souveräne Herr und Protector sowohl der geistlichen als auch der welt¬
lichen Unterthanen." Durch dieses Wort riß man sich von dem Zusammen¬
hange mit dem geistlichen Oberhaupt der katholischen Kirche los. Kein Zwei¬
fel, daß das Unterhaus diese Absicht hegte und sich derselben vollkommen be¬
wußt war; während seiner siebenjährigen Dauer hat es diese Absicht nie
verleugnet. Nachdem er die Thätigkeit dieses Parlaments bis zu seiner Aus¬
lösung (1536) begleitet hat. preist Fronde die Bedeutung desselben mit folgen¬
den Worten:

„Das Unterhaus ist uns nur als eine Abstraction bekannt. Die Debatten
sind verloren, und die Details seiner Thätigkeit sind uns nur in matt durch¬
schimmernden Strahlen sichtbar. Wir haben einen auszüglichen Bericht über
zwei Sitzungen des Oberhauses; aber selbst diese thnlwcise Aushilfe läßt
uns bei den Gemeinen im Stich; und die Lords waren in dieser Angelegenheit
ein Körper von secundärer Bedeutung. Die Lords hatten aufgehört,, die Lei¬
ter des englischen Volks zu sein; sie waren mehr ein Schmuck als eine Macht;
unter der Leitung des Conseils folgten sie wie der Strom sie trieb, während
sie einzeln, wenn sie gewagt hätten, einen ganz anderen Weg eingeschlagen
haben würden. Durch das Unterhaus ward das Werk vollbracht; dieses
stellte den ersten Antrag; dieses und der König führten die Sache zum Siege.
Diese eine Versammlung von Männern, die uns jetzt nur in undeutlichem
Licht erscheinen, die bei dem Zusammensturz der Verwaltung Wolscy's ihre
Thätigkeit eröffneten, hatte eine Revolution. welche die Grundlagen des
Staats umwälzte, begonnen und vollendet. Sie fanden England in Abhängig¬
keit von einer fremden Macht; sie ließen es als eine freie Nation. Sie fan¬
den es unter dem Despotismus einer Kirche, die mit Krankheitsstoffen erfüllt
war; sie hatten die Hände dieser Kirche gebunden; sie hatten sie unter das
Messer gebracht und ihre von Fäulniß ergriffenen Glieder abgeschnitten; indem
sie ihr ihr Nessusgewand von Glanz und Macht abzogen, hatten sie mit Ge-
walt in ihr die Erinnerung an ihren höheren Beruf erweckt. Die Elemente
einer weit tiefer greifenden Veränderung waren in Gährung, einer Verände¬
rung nicht in der Gestaltung der äußeren Autorität, sondern in dem Glauben
und in den Ueberzeugungen, welche das Leben der Seele berührten. Dies
stand noch bevor, und in so weit war das Werk nur der einleitende Schritt
oder das Vorspiel zu einem ernsteren Kampf. Aber wo der Feind, der besiegt
werden soll, stark ist nicht an eigenthümlicher Lebenskraft, sondern durch eine
verblendende Autorität und durch die Zaubermittel des Aberglaubens, da
gewinnen in Wahrheit diejenigen die Schlacht, welche den ersten Streich


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[0460] strengsten Strafen zu belegen.' Von einer Mitwirkung des Papstes hierbei ist schon nicht mehr die Rede; dagegen wird der König gleich in diesem ersten vom Parlament ausgehenden Actenstücke bezeichnet als „das einzige Haupt, der souveräne Herr und Protector sowohl der geistlichen als auch der welt¬ lichen Unterthanen." Durch dieses Wort riß man sich von dem Zusammen¬ hange mit dem geistlichen Oberhaupt der katholischen Kirche los. Kein Zwei¬ fel, daß das Unterhaus diese Absicht hegte und sich derselben vollkommen be¬ wußt war; während seiner siebenjährigen Dauer hat es diese Absicht nie verleugnet. Nachdem er die Thätigkeit dieses Parlaments bis zu seiner Aus¬ lösung (1536) begleitet hat. preist Fronde die Bedeutung desselben mit folgen¬ den Worten: „Das Unterhaus ist uns nur als eine Abstraction bekannt. Die Debatten sind verloren, und die Details seiner Thätigkeit sind uns nur in matt durch¬ schimmernden Strahlen sichtbar. Wir haben einen auszüglichen Bericht über zwei Sitzungen des Oberhauses; aber selbst diese thnlwcise Aushilfe läßt uns bei den Gemeinen im Stich; und die Lords waren in dieser Angelegenheit ein Körper von secundärer Bedeutung. Die Lords hatten aufgehört,, die Lei¬ ter des englischen Volks zu sein; sie waren mehr ein Schmuck als eine Macht; unter der Leitung des Conseils folgten sie wie der Strom sie trieb, während sie einzeln, wenn sie gewagt hätten, einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben würden. Durch das Unterhaus ward das Werk vollbracht; dieses stellte den ersten Antrag; dieses und der König führten die Sache zum Siege. Diese eine Versammlung von Männern, die uns jetzt nur in undeutlichem Licht erscheinen, die bei dem Zusammensturz der Verwaltung Wolscy's ihre Thätigkeit eröffneten, hatte eine Revolution. welche die Grundlagen des Staats umwälzte, begonnen und vollendet. Sie fanden England in Abhängig¬ keit von einer fremden Macht; sie ließen es als eine freie Nation. Sie fan¬ den es unter dem Despotismus einer Kirche, die mit Krankheitsstoffen erfüllt war; sie hatten die Hände dieser Kirche gebunden; sie hatten sie unter das Messer gebracht und ihre von Fäulniß ergriffenen Glieder abgeschnitten; indem sie ihr ihr Nessusgewand von Glanz und Macht abzogen, hatten sie mit Ge- walt in ihr die Erinnerung an ihren höheren Beruf erweckt. Die Elemente einer weit tiefer greifenden Veränderung waren in Gährung, einer Verände¬ rung nicht in der Gestaltung der äußeren Autorität, sondern in dem Glauben und in den Ueberzeugungen, welche das Leben der Seele berührten. Dies stand noch bevor, und in so weit war das Werk nur der einleitende Schritt oder das Vorspiel zu einem ernsteren Kampf. Aber wo der Feind, der besiegt werden soll, stark ist nicht an eigenthümlicher Lebenskraft, sondern durch eine verblendende Autorität und durch die Zaubermittel des Aberglaubens, da gewinnen in Wahrheit diejenigen die Schlacht, welche den ersten Streich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/460>, abgerufen am 16.06.2024.