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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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der Hüter des Theseions, ein alter Invalide, herbeischafft, klettert man an dem
Gitter empor und hat dann die Wahl auf der Höhe desselben balancirend
die Leiter nachzuziehen und daran ins Heiligthum hinabzusteigen, oder durch
einen kühnen Sprung den Weg sich abzukürzen! Der Rückweg muß dann auf
dieselbe Weise bewerkstelligt werden.

In der unteren Stadt, an deren Rande der Tempel des Theseus liegt,
ward bei der wachsenden llebcrsüllc der Denkmäler in diesem letztern ein
neues Museum eingerichtet, ebenfalls nnter dem Schutze eines antiken Baues,
der unter dem Namen der Hadriansstoa am meisten bekannt ist. Eine hohe
Mauer von Marniorquadern zieht sich in beträchtlicher Länge hin; eine Reihe
vorgekröpfter Säulen, die vor der Mauer stehen, bildet eine Art von Nischen.
Hier ist wiederum durch ein hölzernes Gitter von dem Platz, der vor der
Stoa sich hinzieht, ein etwa 20- 30 Fuß breiter Raum abgeschieden; dies
Mal aber bedarf es keiner gymnastischen Anstrengung, sondern der in der
Bretterbude daneben hausende Invalide braucht nur aus seinem Schlummer
geweckt zu werden, um uns die Pforte auszuschließen, durch welche wir in das
"Museum" eintrete". Die Anordnung oder Unordnung ist hier genau die¬
selbe wie im Thescion; auch lasse man es sich nicht verdrießen diejenigen
Reliefs, welche dem Beschauer nur ihre geglättete Rückseite zukehren, einmal
umzuwenden, da ein eigenthümliches Geschick es gefügt hat, daß grade diese
meistens die interessantesten sind. Mit Bekümmerniß klagt der wachthaltende
Invalide über den mangelhaften Schutz. den das schwache hölzerne Gitter
gegen räuberische Hände gewährt; nicht minder ist es zu beklagen, daß der
Mangel der Bedachung die Monumente der Ungunst des Wetters aussetzt.
Ist doch ein Grabstein, welcher bei seiner Auffindung das Bild einer verstor¬
benen Frau, Namens Dcmokrateia, noch in vollem Farbenschmuck gezeigt hatte,
jetzt nur noch an der Inschrift erkennbar, und mit Mühe findet man noch
einzelne Spuren des Umrisses heraus; wie durste man freilich auch solche
zarte Denkmäler ganz unbedeckt lassen? Der attische Himmel ist allerdings un-
endlich viel reiner, als unser nordischer; aber ohne Regen gehts doch auch
da nicht ab, und man kann in dem hohen Grase und Gestrüpp, das einen
Theil des Bodens in diesem "Museum" bedeckt, sich unter Umständen recht
wohl nasse Füße holen. Schlimmer stehts aber noch im Sommer um die
Studien. Die geringe "Zahl der Besucher hat den erfindungsreichen Wächter
auf die Idee gebracht, die Fleckchen von Erde zwischen den Monumenten zu
kleinen Maisanpflanzungen zu benutzen; der hohe Mais verdeckt allerdings
die Kunstwerke zum Theil, und der Plantagenbesitzer ersucht den Kunstfreund höf¬
lichst seine Pflanzungen zu schonen, aber wer möchte nicht gern in einem Museum
diesen kleinen Nachtheil hinnehmen für die Bewunderung eines speculativen Kopfes,
der so trefflich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden gewußt hat?


der Hüter des Theseions, ein alter Invalide, herbeischafft, klettert man an dem
Gitter empor und hat dann die Wahl auf der Höhe desselben balancirend
die Leiter nachzuziehen und daran ins Heiligthum hinabzusteigen, oder durch
einen kühnen Sprung den Weg sich abzukürzen! Der Rückweg muß dann auf
dieselbe Weise bewerkstelligt werden.

In der unteren Stadt, an deren Rande der Tempel des Theseus liegt,
ward bei der wachsenden llebcrsüllc der Denkmäler in diesem letztern ein
neues Museum eingerichtet, ebenfalls nnter dem Schutze eines antiken Baues,
der unter dem Namen der Hadriansstoa am meisten bekannt ist. Eine hohe
Mauer von Marniorquadern zieht sich in beträchtlicher Länge hin; eine Reihe
vorgekröpfter Säulen, die vor der Mauer stehen, bildet eine Art von Nischen.
Hier ist wiederum durch ein hölzernes Gitter von dem Platz, der vor der
Stoa sich hinzieht, ein etwa 20- 30 Fuß breiter Raum abgeschieden; dies
Mal aber bedarf es keiner gymnastischen Anstrengung, sondern der in der
Bretterbude daneben hausende Invalide braucht nur aus seinem Schlummer
geweckt zu werden, um uns die Pforte auszuschließen, durch welche wir in das
„Museum" eintrete». Die Anordnung oder Unordnung ist hier genau die¬
selbe wie im Thescion; auch lasse man es sich nicht verdrießen diejenigen
Reliefs, welche dem Beschauer nur ihre geglättete Rückseite zukehren, einmal
umzuwenden, da ein eigenthümliches Geschick es gefügt hat, daß grade diese
meistens die interessantesten sind. Mit Bekümmerniß klagt der wachthaltende
Invalide über den mangelhaften Schutz. den das schwache hölzerne Gitter
gegen räuberische Hände gewährt; nicht minder ist es zu beklagen, daß der
Mangel der Bedachung die Monumente der Ungunst des Wetters aussetzt.
Ist doch ein Grabstein, welcher bei seiner Auffindung das Bild einer verstor¬
benen Frau, Namens Dcmokrateia, noch in vollem Farbenschmuck gezeigt hatte,
jetzt nur noch an der Inschrift erkennbar, und mit Mühe findet man noch
einzelne Spuren des Umrisses heraus; wie durste man freilich auch solche
zarte Denkmäler ganz unbedeckt lassen? Der attische Himmel ist allerdings un-
endlich viel reiner, als unser nordischer; aber ohne Regen gehts doch auch
da nicht ab, und man kann in dem hohen Grase und Gestrüpp, das einen
Theil des Bodens in diesem „Museum" bedeckt, sich unter Umständen recht
wohl nasse Füße holen. Schlimmer stehts aber noch im Sommer um die
Studien. Die geringe "Zahl der Besucher hat den erfindungsreichen Wächter
auf die Idee gebracht, die Fleckchen von Erde zwischen den Monumenten zu
kleinen Maisanpflanzungen zu benutzen; der hohe Mais verdeckt allerdings
die Kunstwerke zum Theil, und der Plantagenbesitzer ersucht den Kunstfreund höf¬
lichst seine Pflanzungen zu schonen, aber wer möchte nicht gern in einem Museum
diesen kleinen Nachtheil hinnehmen für die Bewunderung eines speculativen Kopfes,
der so trefflich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden gewußt hat?


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[0466] der Hüter des Theseions, ein alter Invalide, herbeischafft, klettert man an dem Gitter empor und hat dann die Wahl auf der Höhe desselben balancirend die Leiter nachzuziehen und daran ins Heiligthum hinabzusteigen, oder durch einen kühnen Sprung den Weg sich abzukürzen! Der Rückweg muß dann auf dieselbe Weise bewerkstelligt werden. In der unteren Stadt, an deren Rande der Tempel des Theseus liegt, ward bei der wachsenden llebcrsüllc der Denkmäler in diesem letztern ein neues Museum eingerichtet, ebenfalls nnter dem Schutze eines antiken Baues, der unter dem Namen der Hadriansstoa am meisten bekannt ist. Eine hohe Mauer von Marniorquadern zieht sich in beträchtlicher Länge hin; eine Reihe vorgekröpfter Säulen, die vor der Mauer stehen, bildet eine Art von Nischen. Hier ist wiederum durch ein hölzernes Gitter von dem Platz, der vor der Stoa sich hinzieht, ein etwa 20- 30 Fuß breiter Raum abgeschieden; dies Mal aber bedarf es keiner gymnastischen Anstrengung, sondern der in der Bretterbude daneben hausende Invalide braucht nur aus seinem Schlummer geweckt zu werden, um uns die Pforte auszuschließen, durch welche wir in das „Museum" eintrete». Die Anordnung oder Unordnung ist hier genau die¬ selbe wie im Thescion; auch lasse man es sich nicht verdrießen diejenigen Reliefs, welche dem Beschauer nur ihre geglättete Rückseite zukehren, einmal umzuwenden, da ein eigenthümliches Geschick es gefügt hat, daß grade diese meistens die interessantesten sind. Mit Bekümmerniß klagt der wachthaltende Invalide über den mangelhaften Schutz. den das schwache hölzerne Gitter gegen räuberische Hände gewährt; nicht minder ist es zu beklagen, daß der Mangel der Bedachung die Monumente der Ungunst des Wetters aussetzt. Ist doch ein Grabstein, welcher bei seiner Auffindung das Bild einer verstor¬ benen Frau, Namens Dcmokrateia, noch in vollem Farbenschmuck gezeigt hatte, jetzt nur noch an der Inschrift erkennbar, und mit Mühe findet man noch einzelne Spuren des Umrisses heraus; wie durste man freilich auch solche zarte Denkmäler ganz unbedeckt lassen? Der attische Himmel ist allerdings un- endlich viel reiner, als unser nordischer; aber ohne Regen gehts doch auch da nicht ab, und man kann in dem hohen Grase und Gestrüpp, das einen Theil des Bodens in diesem „Museum" bedeckt, sich unter Umständen recht wohl nasse Füße holen. Schlimmer stehts aber noch im Sommer um die Studien. Die geringe "Zahl der Besucher hat den erfindungsreichen Wächter auf die Idee gebracht, die Fleckchen von Erde zwischen den Monumenten zu kleinen Maisanpflanzungen zu benutzen; der hohe Mais verdeckt allerdings die Kunstwerke zum Theil, und der Plantagenbesitzer ersucht den Kunstfreund höf¬ lichst seine Pflanzungen zu schonen, aber wer möchte nicht gern in einem Museum diesen kleinen Nachtheil hinnehmen für die Bewunderung eines speculativen Kopfes, der so trefflich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden gewußt hat?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/466>, abgerufen am 16.06.2024.