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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Lob nicht ausgeführt haben, aber im Geiste führen sie ihn doch aus. eine in
Griechenland weit verbreitete Sitte befolgend, nach der jeder Eleusinier. wenn
er an einem bestimmten Orte vorübergeht, einen Stein auf einen immer
wachsenden Steinhaufen wirft unter einer leise gemurmelten Verwünschung
gegen den Uebelihäter.

Der Mangel an Wegen verhindert also vielfach die Herüberführung von
Monumenten nach Athen, und es ist als ein Glück zu preisen, wenn die Behörde
oder der Schullehrer des Ortes demselben nothdürftig Obdach und Schul) ver¬
leiht. Aber es ist dies nicht der einzige Uebelstand, welcher die Monumente
in den Provinzen bedroht. In einer armen kleinen Ortschaft Messeniens,
Konstantini, wollte man vor einigen Jahren die Kirche restaunren und be¬
nutzte hierzu ein paar große Steinblöcke von antiker Bearbeitung, die in der
Nähe gesunden waren. Nach einiger Zeit aber wurden an diesen Steinen
Stücke einer Inschrift entdeckt, deren größerer Theil in der Kirchenmauer ver¬
steckt war. Nun gibt es in Griechenland ein vielgepriesenes Antiquitätenge¬
setz. demzufolge kein Andrer als der Staat eine Ausgrabung anstellen darf
mit dem Zwecke Alterthümer zu gewinnen, und ferner dem Staate von allen
auf privatem Grund und Boden gefundenen Monumenten die Hälfte des Eigen¬
thumsrechts zukommt. Demzufolge hatte jenes Dorf also nicht Min das
Anrecht auf die Steine mit dem Staate zu theilen, sondern war noch oben¬
drein für die eigenmächtig unternommene Ausgrabung von Rechtswegen straf¬
fällig. Die Behörden mußten die Steine aus der Kirchwand wieder heraus-
nehmen und die Abführung derselben nach Athen steht in Aussicht, da der
Inhalt der Inschrift sich als eine höchst interessante Bestimmung in Betreff
der großen Mysterien von Messenien herausstellte. Daß die Regierung dieses
Document aus der Kirchenmauer nehmen und in Sicherheit bringen läßt, ist
nur zu loben; wenn aber der armen mittellosen Gemeinde, die nicht ohne
Opfer die gewaltigen Steine zur nothwendigen Restauration der Kirche her¬
beigeholt hatte, nicht die geringste Entschädigung zu Theil wird, sondern die
Steine fortgenommen werden'und die neue Beschaffung der Ausbesserung ihr
allein überlassen bleibt, ist es da wohl zu verwundern, daß die ungebildeten
Bewohner des Ortes sich für ihren pecunmren Verlust nicht mit dem wissen¬
schaftlichen Werth der Inschrift trösten lassen, sondern erklären, in einem glei¬
chen Falle künftig ihren Fund so zu entstellen, daß Alterthum oder Nichtalter-
thum desselben nicht solle erkannt werden können? Richtet also hier die Regie¬
rung mit ihrer rücksichtslosen Einmischung entschieden Schaden an, so wendet
sie anderswo nicht die geringste Sorgfalt an. um die schwersten Nachtheile
von unberufener Seite zu verhüte". Jahr aus. Jahr ein kommen die Be¬
wohner der Insel Mukonvs herüber nach der Nachbarinscl Delos und deren
Schwesterciland Rhcnäa, auf der die Delicr, um den heiligen Boden ihrer


Lob nicht ausgeführt haben, aber im Geiste führen sie ihn doch aus. eine in
Griechenland weit verbreitete Sitte befolgend, nach der jeder Eleusinier. wenn
er an einem bestimmten Orte vorübergeht, einen Stein auf einen immer
wachsenden Steinhaufen wirft unter einer leise gemurmelten Verwünschung
gegen den Uebelihäter.

Der Mangel an Wegen verhindert also vielfach die Herüberführung von
Monumenten nach Athen, und es ist als ein Glück zu preisen, wenn die Behörde
oder der Schullehrer des Ortes demselben nothdürftig Obdach und Schul) ver¬
leiht. Aber es ist dies nicht der einzige Uebelstand, welcher die Monumente
in den Provinzen bedroht. In einer armen kleinen Ortschaft Messeniens,
Konstantini, wollte man vor einigen Jahren die Kirche restaunren und be¬
nutzte hierzu ein paar große Steinblöcke von antiker Bearbeitung, die in der
Nähe gesunden waren. Nach einiger Zeit aber wurden an diesen Steinen
Stücke einer Inschrift entdeckt, deren größerer Theil in der Kirchenmauer ver¬
steckt war. Nun gibt es in Griechenland ein vielgepriesenes Antiquitätenge¬
setz. demzufolge kein Andrer als der Staat eine Ausgrabung anstellen darf
mit dem Zwecke Alterthümer zu gewinnen, und ferner dem Staate von allen
auf privatem Grund und Boden gefundenen Monumenten die Hälfte des Eigen¬
thumsrechts zukommt. Demzufolge hatte jenes Dorf also nicht Min das
Anrecht auf die Steine mit dem Staate zu theilen, sondern war noch oben¬
drein für die eigenmächtig unternommene Ausgrabung von Rechtswegen straf¬
fällig. Die Behörden mußten die Steine aus der Kirchwand wieder heraus-
nehmen und die Abführung derselben nach Athen steht in Aussicht, da der
Inhalt der Inschrift sich als eine höchst interessante Bestimmung in Betreff
der großen Mysterien von Messenien herausstellte. Daß die Regierung dieses
Document aus der Kirchenmauer nehmen und in Sicherheit bringen läßt, ist
nur zu loben; wenn aber der armen mittellosen Gemeinde, die nicht ohne
Opfer die gewaltigen Steine zur nothwendigen Restauration der Kirche her¬
beigeholt hatte, nicht die geringste Entschädigung zu Theil wird, sondern die
Steine fortgenommen werden'und die neue Beschaffung der Ausbesserung ihr
allein überlassen bleibt, ist es da wohl zu verwundern, daß die ungebildeten
Bewohner des Ortes sich für ihren pecunmren Verlust nicht mit dem wissen¬
schaftlichen Werth der Inschrift trösten lassen, sondern erklären, in einem glei¬
chen Falle künftig ihren Fund so zu entstellen, daß Alterthum oder Nichtalter-
thum desselben nicht solle erkannt werden können? Richtet also hier die Regie¬
rung mit ihrer rücksichtslosen Einmischung entschieden Schaden an, so wendet
sie anderswo nicht die geringste Sorgfalt an. um die schwersten Nachtheile
von unberufener Seite zu verhüte«. Jahr aus. Jahr ein kommen die Be¬
wohner der Insel Mukonvs herüber nach der Nachbarinscl Delos und deren
Schwesterciland Rhcnäa, auf der die Delicr, um den heiligen Boden ihrer


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[0474] Lob nicht ausgeführt haben, aber im Geiste führen sie ihn doch aus. eine in Griechenland weit verbreitete Sitte befolgend, nach der jeder Eleusinier. wenn er an einem bestimmten Orte vorübergeht, einen Stein auf einen immer wachsenden Steinhaufen wirft unter einer leise gemurmelten Verwünschung gegen den Uebelihäter. Der Mangel an Wegen verhindert also vielfach die Herüberführung von Monumenten nach Athen, und es ist als ein Glück zu preisen, wenn die Behörde oder der Schullehrer des Ortes demselben nothdürftig Obdach und Schul) ver¬ leiht. Aber es ist dies nicht der einzige Uebelstand, welcher die Monumente in den Provinzen bedroht. In einer armen kleinen Ortschaft Messeniens, Konstantini, wollte man vor einigen Jahren die Kirche restaunren und be¬ nutzte hierzu ein paar große Steinblöcke von antiker Bearbeitung, die in der Nähe gesunden waren. Nach einiger Zeit aber wurden an diesen Steinen Stücke einer Inschrift entdeckt, deren größerer Theil in der Kirchenmauer ver¬ steckt war. Nun gibt es in Griechenland ein vielgepriesenes Antiquitätenge¬ setz. demzufolge kein Andrer als der Staat eine Ausgrabung anstellen darf mit dem Zwecke Alterthümer zu gewinnen, und ferner dem Staate von allen auf privatem Grund und Boden gefundenen Monumenten die Hälfte des Eigen¬ thumsrechts zukommt. Demzufolge hatte jenes Dorf also nicht Min das Anrecht auf die Steine mit dem Staate zu theilen, sondern war noch oben¬ drein für die eigenmächtig unternommene Ausgrabung von Rechtswegen straf¬ fällig. Die Behörden mußten die Steine aus der Kirchwand wieder heraus- nehmen und die Abführung derselben nach Athen steht in Aussicht, da der Inhalt der Inschrift sich als eine höchst interessante Bestimmung in Betreff der großen Mysterien von Messenien herausstellte. Daß die Regierung dieses Document aus der Kirchenmauer nehmen und in Sicherheit bringen läßt, ist nur zu loben; wenn aber der armen mittellosen Gemeinde, die nicht ohne Opfer die gewaltigen Steine zur nothwendigen Restauration der Kirche her¬ beigeholt hatte, nicht die geringste Entschädigung zu Theil wird, sondern die Steine fortgenommen werden'und die neue Beschaffung der Ausbesserung ihr allein überlassen bleibt, ist es da wohl zu verwundern, daß die ungebildeten Bewohner des Ortes sich für ihren pecunmren Verlust nicht mit dem wissen¬ schaftlichen Werth der Inschrift trösten lassen, sondern erklären, in einem glei¬ chen Falle künftig ihren Fund so zu entstellen, daß Alterthum oder Nichtalter- thum desselben nicht solle erkannt werden können? Richtet also hier die Regie¬ rung mit ihrer rücksichtslosen Einmischung entschieden Schaden an, so wendet sie anderswo nicht die geringste Sorgfalt an. um die schwersten Nachtheile von unberufener Seite zu verhüte«. Jahr aus. Jahr ein kommen die Be¬ wohner der Insel Mukonvs herüber nach der Nachbarinscl Delos und deren Schwesterciland Rhcnäa, auf der die Delicr, um den heiligen Boden ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/474>, abgerufen am 16.06.2024.