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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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gemauert. -- In Delphi sind manche Alterthümer im Hofe des Klosters
der Panagia aufgestellt, namentlich das schöne Votivrelief eines Siegers im
Wngenrenncn; andre Reste sind theils in einem Raume des Klosters aufbe¬
wahrt, theils in der Wohnung des "Herrn Aufsehers der Alterthümer". Diese
ehrenwerthe Persönlichkeit war -- denn leider ist der Ehrenmann nicht mehr
in Delphi -- ein früherer Soldat, der einen ausgezeichneten Milchreis zu be¬
reiten verstand und es sofort als sein entschiedenes Anrecht in Anspruch nahm,
den "Milordi" als Koch zu dienen und beim Essen Gesellschaft zu leisten.
Geringer waren seine Kenntnisse der ihm anvertrauten einheimischen Alter¬
thümer, über die er sich nicht scheute die allergewagtesten Behauptungen vor¬
zutragen; mit gerechter Entrüstung verbesserte ihn dann sein kundigerer, aber
dem Range nach untergeordneter College Matthäos Sohn des Antonios, der
sich als ein recht brauchbarer Mvrgenaufseher erwies, wogegen er nach Tische
in einem nicht ganz zurechnungsfähigen Zustand sich zu befinden pflegte.
Ganz eigenthümlich und in der That überraschend ist die Art, wie man in
Delphi für die Erhaltung wichtigerer Monumente sorgt. Man läßt sie näm-
lich ruhig an Ort und Stelle in der Erde, wo sie für jede Besichtigung von
Neuem aufgegraben, von der Erde befreit und nachher sorgfältig wieder ver¬
schüttet werden. Also zu den hypäthralen Museen auch noch unterirdische.
In der That, ein einfaches Verfahren, und von trefflichen Resultaten für die
unverletzte Erhaltung der Denkmäler! Ein ausgezeichnet schöner Sarkophag
ward hier unter der Präsidentschaft Kapodistrias ausgegraben, ganz unversehrt
in seiner ursprünglichen Schönheit; durch das häufige Ausgraben und Wieder¬
zuschütten ist es soweit gekommen, daß kaum noch erkennbare Trümmer in
jener Grube vorhanden sind, andere Reste befinden sich im Panagienkloster,
noch andere sind von "kunstliebenden" Fremden entführt. Und weshalb ist
das Monument nicht nach Athen gebracht worden? Weil es keine Landstraße
gibt, auf der ein so schwerer Sarkophag fortgebracht werden könnte; denn die
Einsicht, daß die Anlegung von Landstraßen zu den ersten Bedingungen von
Wohlstand und Civilisation gehört, eine Einsicht, die sogar die Bombonen
in Neapel besaßen, scheint der griechischen Regierung bis jetzt nur in geringem
Maße zu Theil geworden zu sein.

Indessen Eleusis ist mit der Hauptstadt durch eine Chaussee verbunden;
zum Verderben der Elcusinier, die auf dieser sich das schöne Relief, dessen
oben Erwähnung geschah, nach Athen entführen sahen. Und doch besitzen sie
ja selbst ein Museum, sogar ein bedachtes, das Kirchlein des heiligen Zacha-
rias, welches auf die Stelle des alten Triptolemostcmpels gebaut ist! Als
daher der Oberaufseher der Alterthümer seinem Amte zufolge den Eleusiniern
ihr Palladion raubte, da gingen die erbitterten Bewohner des'Ortes mit nichts
Geringerem um als ihn zu steinigen; ein grausamer Vorsatz, den sie Gott


Grenzboten I. 1862, 59

gemauert. — In Delphi sind manche Alterthümer im Hofe des Klosters
der Panagia aufgestellt, namentlich das schöne Votivrelief eines Siegers im
Wngenrenncn; andre Reste sind theils in einem Raume des Klosters aufbe¬
wahrt, theils in der Wohnung des „Herrn Aufsehers der Alterthümer". Diese
ehrenwerthe Persönlichkeit war — denn leider ist der Ehrenmann nicht mehr
in Delphi — ein früherer Soldat, der einen ausgezeichneten Milchreis zu be¬
reiten verstand und es sofort als sein entschiedenes Anrecht in Anspruch nahm,
den „Milordi" als Koch zu dienen und beim Essen Gesellschaft zu leisten.
Geringer waren seine Kenntnisse der ihm anvertrauten einheimischen Alter¬
thümer, über die er sich nicht scheute die allergewagtesten Behauptungen vor¬
zutragen; mit gerechter Entrüstung verbesserte ihn dann sein kundigerer, aber
dem Range nach untergeordneter College Matthäos Sohn des Antonios, der
sich als ein recht brauchbarer Mvrgenaufseher erwies, wogegen er nach Tische
in einem nicht ganz zurechnungsfähigen Zustand sich zu befinden pflegte.
Ganz eigenthümlich und in der That überraschend ist die Art, wie man in
Delphi für die Erhaltung wichtigerer Monumente sorgt. Man läßt sie näm-
lich ruhig an Ort und Stelle in der Erde, wo sie für jede Besichtigung von
Neuem aufgegraben, von der Erde befreit und nachher sorgfältig wieder ver¬
schüttet werden. Also zu den hypäthralen Museen auch noch unterirdische.
In der That, ein einfaches Verfahren, und von trefflichen Resultaten für die
unverletzte Erhaltung der Denkmäler! Ein ausgezeichnet schöner Sarkophag
ward hier unter der Präsidentschaft Kapodistrias ausgegraben, ganz unversehrt
in seiner ursprünglichen Schönheit; durch das häufige Ausgraben und Wieder¬
zuschütten ist es soweit gekommen, daß kaum noch erkennbare Trümmer in
jener Grube vorhanden sind, andere Reste befinden sich im Panagienkloster,
noch andere sind von „kunstliebenden" Fremden entführt. Und weshalb ist
das Monument nicht nach Athen gebracht worden? Weil es keine Landstraße
gibt, auf der ein so schwerer Sarkophag fortgebracht werden könnte; denn die
Einsicht, daß die Anlegung von Landstraßen zu den ersten Bedingungen von
Wohlstand und Civilisation gehört, eine Einsicht, die sogar die Bombonen
in Neapel besaßen, scheint der griechischen Regierung bis jetzt nur in geringem
Maße zu Theil geworden zu sein.

Indessen Eleusis ist mit der Hauptstadt durch eine Chaussee verbunden;
zum Verderben der Elcusinier, die auf dieser sich das schöne Relief, dessen
oben Erwähnung geschah, nach Athen entführen sahen. Und doch besitzen sie
ja selbst ein Museum, sogar ein bedachtes, das Kirchlein des heiligen Zacha-
rias, welches auf die Stelle des alten Triptolemostcmpels gebaut ist! Als
daher der Oberaufseher der Alterthümer seinem Amte zufolge den Eleusiniern
ihr Palladion raubte, da gingen die erbitterten Bewohner des'Ortes mit nichts
Geringerem um als ihn zu steinigen; ein grausamer Vorsatz, den sie Gott


Grenzboten I. 1862, 59
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[0473] gemauert. — In Delphi sind manche Alterthümer im Hofe des Klosters der Panagia aufgestellt, namentlich das schöne Votivrelief eines Siegers im Wngenrenncn; andre Reste sind theils in einem Raume des Klosters aufbe¬ wahrt, theils in der Wohnung des „Herrn Aufsehers der Alterthümer". Diese ehrenwerthe Persönlichkeit war — denn leider ist der Ehrenmann nicht mehr in Delphi — ein früherer Soldat, der einen ausgezeichneten Milchreis zu be¬ reiten verstand und es sofort als sein entschiedenes Anrecht in Anspruch nahm, den „Milordi" als Koch zu dienen und beim Essen Gesellschaft zu leisten. Geringer waren seine Kenntnisse der ihm anvertrauten einheimischen Alter¬ thümer, über die er sich nicht scheute die allergewagtesten Behauptungen vor¬ zutragen; mit gerechter Entrüstung verbesserte ihn dann sein kundigerer, aber dem Range nach untergeordneter College Matthäos Sohn des Antonios, der sich als ein recht brauchbarer Mvrgenaufseher erwies, wogegen er nach Tische in einem nicht ganz zurechnungsfähigen Zustand sich zu befinden pflegte. Ganz eigenthümlich und in der That überraschend ist die Art, wie man in Delphi für die Erhaltung wichtigerer Monumente sorgt. Man läßt sie näm- lich ruhig an Ort und Stelle in der Erde, wo sie für jede Besichtigung von Neuem aufgegraben, von der Erde befreit und nachher sorgfältig wieder ver¬ schüttet werden. Also zu den hypäthralen Museen auch noch unterirdische. In der That, ein einfaches Verfahren, und von trefflichen Resultaten für die unverletzte Erhaltung der Denkmäler! Ein ausgezeichnet schöner Sarkophag ward hier unter der Präsidentschaft Kapodistrias ausgegraben, ganz unversehrt in seiner ursprünglichen Schönheit; durch das häufige Ausgraben und Wieder¬ zuschütten ist es soweit gekommen, daß kaum noch erkennbare Trümmer in jener Grube vorhanden sind, andere Reste befinden sich im Panagienkloster, noch andere sind von „kunstliebenden" Fremden entführt. Und weshalb ist das Monument nicht nach Athen gebracht worden? Weil es keine Landstraße gibt, auf der ein so schwerer Sarkophag fortgebracht werden könnte; denn die Einsicht, daß die Anlegung von Landstraßen zu den ersten Bedingungen von Wohlstand und Civilisation gehört, eine Einsicht, die sogar die Bombonen in Neapel besaßen, scheint der griechischen Regierung bis jetzt nur in geringem Maße zu Theil geworden zu sein. Indessen Eleusis ist mit der Hauptstadt durch eine Chaussee verbunden; zum Verderben der Elcusinier, die auf dieser sich das schöne Relief, dessen oben Erwähnung geschah, nach Athen entführen sahen. Und doch besitzen sie ja selbst ein Museum, sogar ein bedachtes, das Kirchlein des heiligen Zacha- rias, welches auf die Stelle des alten Triptolemostcmpels gebaut ist! Als daher der Oberaufseher der Alterthümer seinem Amte zufolge den Eleusiniern ihr Palladion raubte, da gingen die erbitterten Bewohner des'Ortes mit nichts Geringerem um als ihn zu steinigen; ein grausamer Vorsatz, den sie Gott Grenzboten I. 1862, 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/473>, abgerufen am 16.06.2024.