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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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man diese Forderung gestellt, der König und Cavour waren im Begriff darauf
einzugehen, Ricasoli's fester Einspruch bewirkte, daß statt der halben Maßregel
das Ganze ins Leben trat. Niemand in Toscana besaß die rechte Entschlossenheit
und Kühnheit gegenüber dem mächtigen Egoismus in Paris, als der ehren¬
feste Freiherr vom Schloß Brolio im Chianti

Und über dem Großen wurde auch das minder Wichtige nicht versäumt.
Ricasoli versteht zu arbeiten, wie Wenige. Achtzehn Stunden täglich saß er
auf seinem Posten, nur von Cavour an Arbeitskraft übertroffen. Ruhestörungen
waren unter seiner Verwaltung in Toscana unerhört. "Regierung und Volk
beschäftigen sich", so berichtet Karl Grün im Frühjahr 1861, "nachhaltig mit
Kunst, Wissenschaft und Unterricht. Der Bargello wird hergestellt; ehrwürdige
Loggien, freie Säulenhallen nach der Straße zu werden aus dem Banne dum¬
mer Mauern erlöst, der Luft und der Aesthetik zurückgegeben: so auf dem Dom¬
platz, so am Or San Michele in der Caciajuoli-Straße. Ein "Istiwto hupe^
riore" (freie Universität) ward gegründet, dreißig der berühmtesten Italiener
wurden auf die Lehrstühle berufen, und das gebildete Publicum beiderlei Ge¬
schlechts, Einheimische wie Fremde, läßt sich hier von Francesco dall' Ongaro
den Dante erklären, den größten nationalen Dichter. Feste wurden diesen
Winter im Palazzo Vecchio gegeben, wie sie der verjagte knickerige Hof nie
zu veranstalten wußte. Der Fremdenverkehr steigerte sich; zu keiner Zeit war
es in Florenz sicherer und angenehmer gewesen. Die Miethpreise stehen augen¬
blicklich höher als vor dem 27. April 1859."

"Das Alles ist zur Hälfte das Werk des knochigen, lang gewachsenen Ba¬
rons von Brolio mit der hohen Stirn unter starkblondem Haar, den strengen
zirkelrechten Zügen unter den blauen scharfen Augen, der so seltsam das Feuer
des Revolutionärs mit der kalten Zurückhaltung des Tory verbindet, dessen
Politik durchaus als ein Werk der Berechnung und doch auch des Charakters
erscheint."

Nicht anders verfuhr Ricasoli, als Cavours Tod ihn aus den Fauteuil des
Premierministers Italiens führte. Er sah deutlich, daß das neugegründete
Reich bis auf Weiteres unbedingt Frieden bedürfte, sowohl um seine Unab¬
hängigkeit nach außen zu bewahren, als um sich innerlich fester zu schließen und
vorhandene Unebenheiten zu glätten. Er erkannte, daß das Heer noch wenig
organisirt, zum guten Theil undisciplinirt, nicht hinreichend gerüstet und in sei¬
nen einzelnen Elementen ungleich war, und daß wenigstens ein bis zwei Jahre
erforderlich, bevor es Aussicht hatte, ins Feld rückend zu siegen oder doch mit
Ehren zu kämpfen. Er wußte, daß jede kriegerische Bewegung gegen irgend
einen Theil der Lande Oestreichs, gleichviel, ob von regelmäßigen Truppen und
mit Wissen, oder von Freischaaren und ohne Wissen und Willen der Regierung
unternommen, sofort zu einem Zusammenstoß mit dieser Macht führen muß. Er


man diese Forderung gestellt, der König und Cavour waren im Begriff darauf
einzugehen, Ricasoli's fester Einspruch bewirkte, daß statt der halben Maßregel
das Ganze ins Leben trat. Niemand in Toscana besaß die rechte Entschlossenheit
und Kühnheit gegenüber dem mächtigen Egoismus in Paris, als der ehren¬
feste Freiherr vom Schloß Brolio im Chianti

Und über dem Großen wurde auch das minder Wichtige nicht versäumt.
Ricasoli versteht zu arbeiten, wie Wenige. Achtzehn Stunden täglich saß er
auf seinem Posten, nur von Cavour an Arbeitskraft übertroffen. Ruhestörungen
waren unter seiner Verwaltung in Toscana unerhört. „Regierung und Volk
beschäftigen sich", so berichtet Karl Grün im Frühjahr 1861, „nachhaltig mit
Kunst, Wissenschaft und Unterricht. Der Bargello wird hergestellt; ehrwürdige
Loggien, freie Säulenhallen nach der Straße zu werden aus dem Banne dum¬
mer Mauern erlöst, der Luft und der Aesthetik zurückgegeben: so auf dem Dom¬
platz, so am Or San Michele in der Caciajuoli-Straße. Ein „Istiwto hupe^
riore" (freie Universität) ward gegründet, dreißig der berühmtesten Italiener
wurden auf die Lehrstühle berufen, und das gebildete Publicum beiderlei Ge¬
schlechts, Einheimische wie Fremde, läßt sich hier von Francesco dall' Ongaro
den Dante erklären, den größten nationalen Dichter. Feste wurden diesen
Winter im Palazzo Vecchio gegeben, wie sie der verjagte knickerige Hof nie
zu veranstalten wußte. Der Fremdenverkehr steigerte sich; zu keiner Zeit war
es in Florenz sicherer und angenehmer gewesen. Die Miethpreise stehen augen¬
blicklich höher als vor dem 27. April 1859."

„Das Alles ist zur Hälfte das Werk des knochigen, lang gewachsenen Ba¬
rons von Brolio mit der hohen Stirn unter starkblondem Haar, den strengen
zirkelrechten Zügen unter den blauen scharfen Augen, der so seltsam das Feuer
des Revolutionärs mit der kalten Zurückhaltung des Tory verbindet, dessen
Politik durchaus als ein Werk der Berechnung und doch auch des Charakters
erscheint."

Nicht anders verfuhr Ricasoli, als Cavours Tod ihn aus den Fauteuil des
Premierministers Italiens führte. Er sah deutlich, daß das neugegründete
Reich bis auf Weiteres unbedingt Frieden bedürfte, sowohl um seine Unab¬
hängigkeit nach außen zu bewahren, als um sich innerlich fester zu schließen und
vorhandene Unebenheiten zu glätten. Er erkannte, daß das Heer noch wenig
organisirt, zum guten Theil undisciplinirt, nicht hinreichend gerüstet und in sei¬
nen einzelnen Elementen ungleich war, und daß wenigstens ein bis zwei Jahre
erforderlich, bevor es Aussicht hatte, ins Feld rückend zu siegen oder doch mit
Ehren zu kämpfen. Er wußte, daß jede kriegerische Bewegung gegen irgend
einen Theil der Lande Oestreichs, gleichviel, ob von regelmäßigen Truppen und
mit Wissen, oder von Freischaaren und ohne Wissen und Willen der Regierung
unternommen, sofort zu einem Zusammenstoß mit dieser Macht führen muß. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/492>, abgerufen am 16.06.2024.