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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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war überzeugt, daß bei solch einem Zusammenstoß Italien im ersten Feldzuge
niedergeworfen werden würde, wofern es nicht Frankreich zu Hilfe riefe, und
daß Frankreich ins Land rufen sich in eine gefährliche Abhängigkeit vom Kaiser
bringen und den schließlichen Zwang zur Einwilligung in alle Forderungen
vorbereiten heißt, die jener zu stellen für nützlich hält.

Nur durch die Fortdauer des Friedens bis zu dem Augenblick, wo das
Wort "Italig, tai-g, da Sö" keine Uebersckätzung des neuen Reichs involvirt, konnte,
das lag auf der Hand, die drohende Gefahr, den Franzosen gegenüber in Vasal¬
lenschaft zu versinken, abgewendet werden. Deshalb entschloß sich Ricasoli Frie¬
den zu halten, dieser Entschluß führte ihn zu wachsamer und strenger Beauf¬
sichtigung der Partei Mazzini's und Garibaldi's, und daraus wieder ergab sich
die Unbeliebtheit des Ministers bei allen den seichten und gedankenlosen Schwär¬
mern und Großsprechern, die das plötzliche Glück, die unverhoffte Befreiung
des Landes in allen Klassen Italiens in so großer Zahl hat auftreten lassen.

Dieses Mißgeschick würde von Ricasoli's stolzem Geist mit Kaltblütigkeit
ertragen worden sein. Unglücklicherweise aber machte sich der Baron durch
seine Sinnesart auch anderwärts sehr unbeliebt. Der Kaiser Napoleon fand
in dem Minister vonJtalien denselben argwöhnischen, wachsamen und scharfblickender
Staatsmann, den seine Agenten früher in dem Minister, dann in dem General¬
gouvemeur von Toscana gefunden, einen Politiker, der sich nicht leicht täuschen
sich noch weniger durch Schmeicheleien und am wenigsten durch Drohungen be¬
stimmen ließ. Man braucht nicht gerade anzunehmen, daß Louis Napoleon
bestimmte gegen die Einheit und Unabhängigkeit Italiens gerichtete Pläne ver¬
folgt. Aber unbestreitbar ist, und sehr natürlich, daß er sich einen möglichst
kräftigen Einfluß auf das Reich zu erhalten wünscht, bei dessen Bildung er so
starken Beistand geleistet, und das ihm diesen Beistand gelegentlich vergelten
toll. Und ebenso sicher, daß er bestrebt ist, sich so gestellt zu halten, daß er
Alles in der ihm eignen gewundenen Weise und mit der ihm ebenfalls eigen¬
thümlichen unberechenbaren, scheinbar oder wirklich launenhaften Wahl von
Zeit und Gelegenheit zu thun vermag. Gerade dies aber war unmöglich, so¬
lange ein Mann von so unbeugsamer Sinnesart wie Ricasoli Führer der Mei¬
nungen im Rathe des Königs Victor Emanuel war.

Dazu kam dann noch Eins. Auch der König empfand Ricasoli als ein
Hinderniß in Verfolgung seiner Wünsche und Neigungen, ja als ein schrof¬
feres und weniger bequemes wie Cavour gewesen. Victor Emanuel, ein Freund
von Krieg, stolz auf seinen Soldatenmuth und ungeduldig, wie alle Naturen,
die nicht sehr tief angelegt sind, neigte stark zur "Partei der That" hin, und
ergriff nicht selten die Gelegenheit, dies offen an den Tag zu legen. Sein
Minister mit seiner resoluter Friedenspolitik verdroß ihn, langweilte ihn, störte
ihn, und auch dies blieb der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten. Andere Einflüsse


war überzeugt, daß bei solch einem Zusammenstoß Italien im ersten Feldzuge
niedergeworfen werden würde, wofern es nicht Frankreich zu Hilfe riefe, und
daß Frankreich ins Land rufen sich in eine gefährliche Abhängigkeit vom Kaiser
bringen und den schließlichen Zwang zur Einwilligung in alle Forderungen
vorbereiten heißt, die jener zu stellen für nützlich hält.

Nur durch die Fortdauer des Friedens bis zu dem Augenblick, wo das
Wort „Italig, tai-g, da Sö" keine Uebersckätzung des neuen Reichs involvirt, konnte,
das lag auf der Hand, die drohende Gefahr, den Franzosen gegenüber in Vasal¬
lenschaft zu versinken, abgewendet werden. Deshalb entschloß sich Ricasoli Frie¬
den zu halten, dieser Entschluß führte ihn zu wachsamer und strenger Beauf¬
sichtigung der Partei Mazzini's und Garibaldi's, und daraus wieder ergab sich
die Unbeliebtheit des Ministers bei allen den seichten und gedankenlosen Schwär¬
mern und Großsprechern, die das plötzliche Glück, die unverhoffte Befreiung
des Landes in allen Klassen Italiens in so großer Zahl hat auftreten lassen.

Dieses Mißgeschick würde von Ricasoli's stolzem Geist mit Kaltblütigkeit
ertragen worden sein. Unglücklicherweise aber machte sich der Baron durch
seine Sinnesart auch anderwärts sehr unbeliebt. Der Kaiser Napoleon fand
in dem Minister vonJtalien denselben argwöhnischen, wachsamen und scharfblickender
Staatsmann, den seine Agenten früher in dem Minister, dann in dem General¬
gouvemeur von Toscana gefunden, einen Politiker, der sich nicht leicht täuschen
sich noch weniger durch Schmeicheleien und am wenigsten durch Drohungen be¬
stimmen ließ. Man braucht nicht gerade anzunehmen, daß Louis Napoleon
bestimmte gegen die Einheit und Unabhängigkeit Italiens gerichtete Pläne ver¬
folgt. Aber unbestreitbar ist, und sehr natürlich, daß er sich einen möglichst
kräftigen Einfluß auf das Reich zu erhalten wünscht, bei dessen Bildung er so
starken Beistand geleistet, und das ihm diesen Beistand gelegentlich vergelten
toll. Und ebenso sicher, daß er bestrebt ist, sich so gestellt zu halten, daß er
Alles in der ihm eignen gewundenen Weise und mit der ihm ebenfalls eigen¬
thümlichen unberechenbaren, scheinbar oder wirklich launenhaften Wahl von
Zeit und Gelegenheit zu thun vermag. Gerade dies aber war unmöglich, so¬
lange ein Mann von so unbeugsamer Sinnesart wie Ricasoli Führer der Mei¬
nungen im Rathe des Königs Victor Emanuel war.

Dazu kam dann noch Eins. Auch der König empfand Ricasoli als ein
Hinderniß in Verfolgung seiner Wünsche und Neigungen, ja als ein schrof¬
feres und weniger bequemes wie Cavour gewesen. Victor Emanuel, ein Freund
von Krieg, stolz auf seinen Soldatenmuth und ungeduldig, wie alle Naturen,
die nicht sehr tief angelegt sind, neigte stark zur „Partei der That" hin, und
ergriff nicht selten die Gelegenheit, dies offen an den Tag zu legen. Sein
Minister mit seiner resoluter Friedenspolitik verdroß ihn, langweilte ihn, störte
ihn, und auch dies blieb der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten. Andere Einflüsse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/493>, abgerufen am 16.06.2024.