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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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dort haben die Kaiser ihren Willen erklärt, daß dies künftig nicht mehr sein
soll. Hier wie dort soll die Vertretung der Nation zur Abhilfe mitwirken.

Aber im Uebrigen stehen dem kaiserlichen Willen in Wien größere Hin¬
dernisse entgegen als in Paris. Der Reichsrath vertritt kaum die Hälfte des
Kaiserstaats, der gesetzgebende Körper in Paris vertritt ganz Frankreich. Die
französische Staatskasse bezahlt die Zinsen der öffentlichen Schuld pünktlich in
gutem Gelde, in Oestreich ist dies weniger der Fall. Frankreich kann noch
Schulden machen. Oestreich vorerst nicht mehr, sein öffentlicher Credit ist auf¬
gebraucht. Leichthin urtheilen Mitarbeiter der Tagespresse, Hr. v. Pierer
sei seiner Aufgabe nicht gewachsen. Wir möchten doch den Mann sehen, der
unter den obwaltenden Umständen die östreichischen Finanzen in Ordnung zu
bringen vermöchtel Die Vorlagen des Herrn v. Pierer an den Reichsrath be¬
weisen, daß er sich dazu nicht im Stande fühlt. Darum sucht er Hilfe bei
dem'^ Reichsrath, dessen Abgeordnetenhaus dazu eine Commission von acht¬
un dvierzig Mitgliedern ernannt hat, welche wieder einen engern Ausschuß
von 12 Mitgliedern bestellt hat. Wenn vor diesen Rathern und Helfern die
Vorschläge des Herrn v. Pierer, wie zum Voraus behauptet wird, keine
Gnade finden, nun so wird er nicht ungern dem Geschicktesten unter ihnen
sein Portefeuille übergeben.

Am 17. December, nur wenige Tage vor den Verhandlungen des Se¬
nats in Paris, erschienen die Minister v. Schmerling und v. Pierer im Hause
der Abgeordneten zu Wien mit den Finanzvorlagen, welchen die gespannteste
Erwartung entgegenkani. Hr. v. Schmerling, seit neun Monaten bemüht, die
Vertreter der deutsch-slavischen Provinzen nützlich zu beschäftigen und angenehm
zu unterhalten , bis -- auf Weiteres, stellte die unumstößliche Behauptung
voran: daß die Feststellung des Staatsvoranschlags für 1862 schon ihrer Natur
nach geeignet wäre, den Vorrang vor anderen Gegenständen der Verhandlung
einzunehmen. Aber -- der Reichsrath ist nicht vollständig. es sind noch ein
paar kleine Anstünde in Siebenbürgen zu beseitigen, mithin liegt der im
K. 13 des Grundgesetzes vorgesehene Fall vor, woraus für die Regierung
das Recht entspringt, den Staatsvoranschlag für 1862 im Verwaltungswege
festzustellen. Jedoch -- die constitutionelle Bahn ist nun einmal betreten,
und S. Majestät legen Werth daraus, daß eine öffentliche freie Prüfung
stattfinde. Man erwartet davon unter anderen guten Früchten einen "Zu¬
wachs an Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Absichten und Bestre¬
bungen der Regierung." Aber -- das Zugeständnis; enthält eine frei¬
willige Einschränkung der Machtbefugnisse des Kaisers nur für den
vorliegenden Fall, und das Ministerium übernimmt die Verantwortlichkeit
für die Abweichung nach links von dem §. 13 des Grundgesetzes vor dem voll¬
ständig constituirten Reichsrathe -- der Zukunft. Die res g,ng'ULts> äomi ver-


dort haben die Kaiser ihren Willen erklärt, daß dies künftig nicht mehr sein
soll. Hier wie dort soll die Vertretung der Nation zur Abhilfe mitwirken.

Aber im Uebrigen stehen dem kaiserlichen Willen in Wien größere Hin¬
dernisse entgegen als in Paris. Der Reichsrath vertritt kaum die Hälfte des
Kaiserstaats, der gesetzgebende Körper in Paris vertritt ganz Frankreich. Die
französische Staatskasse bezahlt die Zinsen der öffentlichen Schuld pünktlich in
gutem Gelde, in Oestreich ist dies weniger der Fall. Frankreich kann noch
Schulden machen. Oestreich vorerst nicht mehr, sein öffentlicher Credit ist auf¬
gebraucht. Leichthin urtheilen Mitarbeiter der Tagespresse, Hr. v. Pierer
sei seiner Aufgabe nicht gewachsen. Wir möchten doch den Mann sehen, der
unter den obwaltenden Umständen die östreichischen Finanzen in Ordnung zu
bringen vermöchtel Die Vorlagen des Herrn v. Pierer an den Reichsrath be¬
weisen, daß er sich dazu nicht im Stande fühlt. Darum sucht er Hilfe bei
dem'^ Reichsrath, dessen Abgeordnetenhaus dazu eine Commission von acht¬
un dvierzig Mitgliedern ernannt hat, welche wieder einen engern Ausschuß
von 12 Mitgliedern bestellt hat. Wenn vor diesen Rathern und Helfern die
Vorschläge des Herrn v. Pierer, wie zum Voraus behauptet wird, keine
Gnade finden, nun so wird er nicht ungern dem Geschicktesten unter ihnen
sein Portefeuille übergeben.

Am 17. December, nur wenige Tage vor den Verhandlungen des Se¬
nats in Paris, erschienen die Minister v. Schmerling und v. Pierer im Hause
der Abgeordneten zu Wien mit den Finanzvorlagen, welchen die gespannteste
Erwartung entgegenkani. Hr. v. Schmerling, seit neun Monaten bemüht, die
Vertreter der deutsch-slavischen Provinzen nützlich zu beschäftigen und angenehm
zu unterhalten , bis — auf Weiteres, stellte die unumstößliche Behauptung
voran: daß die Feststellung des Staatsvoranschlags für 1862 schon ihrer Natur
nach geeignet wäre, den Vorrang vor anderen Gegenständen der Verhandlung
einzunehmen. Aber — der Reichsrath ist nicht vollständig. es sind noch ein
paar kleine Anstünde in Siebenbürgen zu beseitigen, mithin liegt der im
K. 13 des Grundgesetzes vorgesehene Fall vor, woraus für die Regierung
das Recht entspringt, den Staatsvoranschlag für 1862 im Verwaltungswege
festzustellen. Jedoch — die constitutionelle Bahn ist nun einmal betreten,
und S. Majestät legen Werth daraus, daß eine öffentliche freie Prüfung
stattfinde. Man erwartet davon unter anderen guten Früchten einen „Zu¬
wachs an Vertrauen in die Aufrichtigkeit der Absichten und Bestre¬
bungen der Regierung." Aber — das Zugeständnis; enthält eine frei¬
willige Einschränkung der Machtbefugnisse des Kaisers nur für den
vorliegenden Fall, und das Ministerium übernimmt die Verantwortlichkeit
für die Abweichung nach links von dem §. 13 des Grundgesetzes vor dem voll¬
ständig constituirten Reichsrathe — der Zukunft. Die res g,ng'ULts> äomi ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/52>, abgerufen am 28.05.2024.