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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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diese Besorgnisse aber ließen es ihm räthlich erscheinen, der Consolidirung der
französischen Regierung, so bald er sich von ihrer Absicht überzeugt hatte, die
Verträge zu achten, keine Hindernisse in den Weg zu legen. Nach der andern
Seite zog ihn indessen die Scheu, dem Kaiser Nikolaus zu mißfallen, dem gegen¬
über er nie wagte, einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen. Daß von
Rußland her Oestreich die größten Gefahren drohten, erkannte er allerdings.
Schon auf den Kongressen des Jahres 1820 und 1821, als es sich um die
östreichische Intervention in Neapel Handelte, waren die tiefen Differenzen, welche
die beiden Kaiserstaaten, trotz ihrer Solidarität der Revolution gegenüber, von
einander trennten, klar zu Tag gekommen. Doch aber blieb diese Solidarität
stark genug, um Metternich an einem festen Auftreten Nußland gegenüber zu
hindern. So kam er -u dem System, die Gefahren, denen er nicht zu trotzen
wagte, durch eine weder seinen Gesinnungen, noch den wahren Interessen Oest¬
reichs entsprechende Nachgiebigkeit gegen den Kaiser Nikolaus, der, nach Guizots
Ausdruck, wie ein Alp auf ihm lastete, zu beschwichtigen. Diese aus einer selt¬
samen Mischung von Abneigung und Furcht hervorgegangn Rücksicht aus
Nikolaus ließ dann auch, unterstützt von der persönlichen Abneigung des Hofes
und der höheren Gesellschaft gegen den Bürgerkönig, ein herzliches Verhältniß
zwischen dein französischen und östreichischen Cabinete nicht aufkommen; ein
regelmäßiges und freundliches vermochte sie nicht zu hindern.

Desto peinlicher gestalteten sich, dem Charakter des .Kaisers Nikolaus ent¬
sprechend, die Beziehungen zu Rußland. Zwar billigte der Kaiser keineswegs
die Ordonnanzen Karls des Zehnten"), sah vielmehr in dem Staatsstreich eine
gefährliche Unklugheit. Aber einmal unternommen mußte er nach seiner Ansicht
um das Princip der königlichen Autorität nicht zu compromittiren, mit aller
Kraft und allen Mitteln durchgeführt werden. Mit der größten Spannung
sah der Kaiser den Nachrichten aus Paris entgegen; noch am 27. Juli, nach
einer glänzenden Truppenrcvue, der er ganz gegen seine Gewohnheit zerstreut
und theilnahmlos zugeschaut hatte, unterhielt er sich eingehend mit dem franzö¬
sischen Gesandten Bourgoing über die Eventualität eines Kampfes zwischen
König und Volk. Der Zweifel des Gesandten an der Treue der Linientruppen
versetzte ihn in eine lebhafte Aufregung, die sich bis zu den Ausbrüchen leiden¬
schaftlichster Heftigkeit steigerte, als er die Nachrichten von dem Sturze Karls
des Zehnten und der Erhebung Ludwig Philipps, den er als Nonsisur 1e,
1ieutens."t-Z6v6rÄl bezeichnete, erhielt. Guizot, der ihn sehr streng deur-



') ä'RÄULscmvillö I. p. 92 ff. Das Buch von d'Haussonville, wichtig wegen der vielen
Documente. die es reproducirt, darf seines apologetischen Charakters wegen nur mit Vor¬
sicht gebraucht werden. Guizot ist viel aufrichtiger und unparteiischer, selbst in der Beurthei¬
lung der eigenen Fehler.
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diese Besorgnisse aber ließen es ihm räthlich erscheinen, der Consolidirung der
französischen Regierung, so bald er sich von ihrer Absicht überzeugt hatte, die
Verträge zu achten, keine Hindernisse in den Weg zu legen. Nach der andern
Seite zog ihn indessen die Scheu, dem Kaiser Nikolaus zu mißfallen, dem gegen¬
über er nie wagte, einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen. Daß von
Rußland her Oestreich die größten Gefahren drohten, erkannte er allerdings.
Schon auf den Kongressen des Jahres 1820 und 1821, als es sich um die
östreichische Intervention in Neapel Handelte, waren die tiefen Differenzen, welche
die beiden Kaiserstaaten, trotz ihrer Solidarität der Revolution gegenüber, von
einander trennten, klar zu Tag gekommen. Doch aber blieb diese Solidarität
stark genug, um Metternich an einem festen Auftreten Nußland gegenüber zu
hindern. So kam er -u dem System, die Gefahren, denen er nicht zu trotzen
wagte, durch eine weder seinen Gesinnungen, noch den wahren Interessen Oest¬
reichs entsprechende Nachgiebigkeit gegen den Kaiser Nikolaus, der, nach Guizots
Ausdruck, wie ein Alp auf ihm lastete, zu beschwichtigen. Diese aus einer selt¬
samen Mischung von Abneigung und Furcht hervorgegangn Rücksicht aus
Nikolaus ließ dann auch, unterstützt von der persönlichen Abneigung des Hofes
und der höheren Gesellschaft gegen den Bürgerkönig, ein herzliches Verhältniß
zwischen dein französischen und östreichischen Cabinete nicht aufkommen; ein
regelmäßiges und freundliches vermochte sie nicht zu hindern.

Desto peinlicher gestalteten sich, dem Charakter des .Kaisers Nikolaus ent¬
sprechend, die Beziehungen zu Rußland. Zwar billigte der Kaiser keineswegs
die Ordonnanzen Karls des Zehnten"), sah vielmehr in dem Staatsstreich eine
gefährliche Unklugheit. Aber einmal unternommen mußte er nach seiner Ansicht
um das Princip der königlichen Autorität nicht zu compromittiren, mit aller
Kraft und allen Mitteln durchgeführt werden. Mit der größten Spannung
sah der Kaiser den Nachrichten aus Paris entgegen; noch am 27. Juli, nach
einer glänzenden Truppenrcvue, der er ganz gegen seine Gewohnheit zerstreut
und theilnahmlos zugeschaut hatte, unterhielt er sich eingehend mit dem franzö¬
sischen Gesandten Bourgoing über die Eventualität eines Kampfes zwischen
König und Volk. Der Zweifel des Gesandten an der Treue der Linientruppen
versetzte ihn in eine lebhafte Aufregung, die sich bis zu den Ausbrüchen leiden¬
schaftlichster Heftigkeit steigerte, als er die Nachrichten von dem Sturze Karls
des Zehnten und der Erhebung Ludwig Philipps, den er als Nonsisur 1e,
1ieutens.»t-Z6v6rÄl bezeichnete, erhielt. Guizot, der ihn sehr streng deur-



') ä'RÄULscmvillö I. p. 92 ff. Das Buch von d'Haussonville, wichtig wegen der vielen
Documente. die es reproducirt, darf seines apologetischen Charakters wegen nur mit Vor¬
sicht gebraucht werden. Guizot ist viel aufrichtiger und unparteiischer, selbst in der Beurthei¬
lung der eigenen Fehler.
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[0521] diese Besorgnisse aber ließen es ihm räthlich erscheinen, der Consolidirung der französischen Regierung, so bald er sich von ihrer Absicht überzeugt hatte, die Verträge zu achten, keine Hindernisse in den Weg zu legen. Nach der andern Seite zog ihn indessen die Scheu, dem Kaiser Nikolaus zu mißfallen, dem gegen¬ über er nie wagte, einen entschiedenen Standpunkt einzunehmen. Daß von Rußland her Oestreich die größten Gefahren drohten, erkannte er allerdings. Schon auf den Kongressen des Jahres 1820 und 1821, als es sich um die östreichische Intervention in Neapel Handelte, waren die tiefen Differenzen, welche die beiden Kaiserstaaten, trotz ihrer Solidarität der Revolution gegenüber, von einander trennten, klar zu Tag gekommen. Doch aber blieb diese Solidarität stark genug, um Metternich an einem festen Auftreten Nußland gegenüber zu hindern. So kam er -u dem System, die Gefahren, denen er nicht zu trotzen wagte, durch eine weder seinen Gesinnungen, noch den wahren Interessen Oest¬ reichs entsprechende Nachgiebigkeit gegen den Kaiser Nikolaus, der, nach Guizots Ausdruck, wie ein Alp auf ihm lastete, zu beschwichtigen. Diese aus einer selt¬ samen Mischung von Abneigung und Furcht hervorgegangn Rücksicht aus Nikolaus ließ dann auch, unterstützt von der persönlichen Abneigung des Hofes und der höheren Gesellschaft gegen den Bürgerkönig, ein herzliches Verhältniß zwischen dein französischen und östreichischen Cabinete nicht aufkommen; ein regelmäßiges und freundliches vermochte sie nicht zu hindern. Desto peinlicher gestalteten sich, dem Charakter des .Kaisers Nikolaus ent¬ sprechend, die Beziehungen zu Rußland. Zwar billigte der Kaiser keineswegs die Ordonnanzen Karls des Zehnten"), sah vielmehr in dem Staatsstreich eine gefährliche Unklugheit. Aber einmal unternommen mußte er nach seiner Ansicht um das Princip der königlichen Autorität nicht zu compromittiren, mit aller Kraft und allen Mitteln durchgeführt werden. Mit der größten Spannung sah der Kaiser den Nachrichten aus Paris entgegen; noch am 27. Juli, nach einer glänzenden Truppenrcvue, der er ganz gegen seine Gewohnheit zerstreut und theilnahmlos zugeschaut hatte, unterhielt er sich eingehend mit dem franzö¬ sischen Gesandten Bourgoing über die Eventualität eines Kampfes zwischen König und Volk. Der Zweifel des Gesandten an der Treue der Linientruppen versetzte ihn in eine lebhafte Aufregung, die sich bis zu den Ausbrüchen leiden¬ schaftlichster Heftigkeit steigerte, als er die Nachrichten von dem Sturze Karls des Zehnten und der Erhebung Ludwig Philipps, den er als Nonsisur 1e, 1ieutens.»t-Z6v6rÄl bezeichnete, erhielt. Guizot, der ihn sehr streng deur- ') ä'RÄULscmvillö I. p. 92 ff. Das Buch von d'Haussonville, wichtig wegen der vielen Documente. die es reproducirt, darf seines apologetischen Charakters wegen nur mit Vor¬ sicht gebraucht werden. Guizot ist viel aufrichtiger und unparteiischer, selbst in der Beurthei¬ lung der eigenen Fehler. Grenzboten I. 1ö62> 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/521>, abgerufen am 23.05.2024.