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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Tie Schützen zu Frankfurt und die Abgeordneten zu Berlin.

Das größte Volksfest, welches die Deutschen seit dreihundert Jahren ge¬
feiert haben, ist vorüber. Auch die lauten Stimmen der Tagespresse sind
verrauscht, und die stille abschließende Erwägung gewinnt Raum in der Seele
der Theilnehmer. Wieder haben sich die liebenswürdigen Eigenschaften deut¬
scher Art glänzend bethätigt: ein fröhliches Hängen in der Stunde und dabei doch
ein unaufhörliches Streben, dem Genuß des Augenblicks geistigen Inhalt und tiefere
Bedeutung zu geben, eine großartige Gastfreundschaft, neidloses Anerkennen frem¬
der Vorzüge, ein warmes Herz und ein billiger Sinn, nicht zuletzt Ordnung,
Zucht, ehrbare Haltung. Aber auch neuer Gewinn, den das letzte politische
Jahrzehnt dem Deutschen gebracht hat, war dort jede Stunde mit Freude zu
erkennen, das frische Selbstgefühl des Städters, entschlossene Dispositionen,
ein verständiges und festes Sclbstregiment. Und was dem Fest wohl das beste
Behagen verlieh, das war die Verbindung einer jugendlichen Bürgerkraft, welche
freudig die Flügel regt, mit dem alten Wohlstand und der diplomatischen Um¬
sicht einer klugen, vielerfahrener Stadtgemeinde. Uns Deutschen ist sehr die
Freude zu gönnen, welche wir über das Gelingen eines solchen Volksfestes
empfinden, denn wir haben dergleichen nur zu lange entbehren müssen. Schon
das Aeußerliche des Festes, die riesigen Dimensionen, der ungeheure Aufzug,
die zahlreichen und schönen Preise, der ungestörte fröhliche Verlauf darf beim Rück¬
blick ein angenehmes Selbstgefühl verleihen. Denn das Fest ist, wenn man die
zehntägige Dauer anschlägt, schon seinen Maßen nach das umfangreichste, wel¬
ches je von einer Stadtgemeinde für gute Landsleute eingerichtet wurde*).



') Das Straßburger Schützenfest von 1S76, das größte des 16. Jahrhunderts, darf wohl
mit dem Fest von Frankfurt verglichen werden. Zwar war die Zahl der Schützen sehr viel
geringer, sie belief sich, Armbrust, und Büchsenschützen zusammen gerechnet, noch nicht aus
2000 Mann, welche etwa 7V Orte vertraten. Aber in einer Zeit, in welcher das Reisen jchwie-
rig. gefährlich und theuer war und der gemüthliche Verband ver einzelnen Landschaften wett
geringer, haben solche Zahlen ganz andere Bedeutung. Auch dauerte damals das Fejtgcwuyi
Grenzboten III. 1862. ^
Tie Schützen zu Frankfurt und die Abgeordneten zu Berlin.

Das größte Volksfest, welches die Deutschen seit dreihundert Jahren ge¬
feiert haben, ist vorüber. Auch die lauten Stimmen der Tagespresse sind
verrauscht, und die stille abschließende Erwägung gewinnt Raum in der Seele
der Theilnehmer. Wieder haben sich die liebenswürdigen Eigenschaften deut¬
scher Art glänzend bethätigt: ein fröhliches Hängen in der Stunde und dabei doch
ein unaufhörliches Streben, dem Genuß des Augenblicks geistigen Inhalt und tiefere
Bedeutung zu geben, eine großartige Gastfreundschaft, neidloses Anerkennen frem¬
der Vorzüge, ein warmes Herz und ein billiger Sinn, nicht zuletzt Ordnung,
Zucht, ehrbare Haltung. Aber auch neuer Gewinn, den das letzte politische
Jahrzehnt dem Deutschen gebracht hat, war dort jede Stunde mit Freude zu
erkennen, das frische Selbstgefühl des Städters, entschlossene Dispositionen,
ein verständiges und festes Sclbstregiment. Und was dem Fest wohl das beste
Behagen verlieh, das war die Verbindung einer jugendlichen Bürgerkraft, welche
freudig die Flügel regt, mit dem alten Wohlstand und der diplomatischen Um¬
sicht einer klugen, vielerfahrener Stadtgemeinde. Uns Deutschen ist sehr die
Freude zu gönnen, welche wir über das Gelingen eines solchen Volksfestes
empfinden, denn wir haben dergleichen nur zu lange entbehren müssen. Schon
das Aeußerliche des Festes, die riesigen Dimensionen, der ungeheure Aufzug,
die zahlreichen und schönen Preise, der ungestörte fröhliche Verlauf darf beim Rück¬
blick ein angenehmes Selbstgefühl verleihen. Denn das Fest ist, wenn man die
zehntägige Dauer anschlägt, schon seinen Maßen nach das umfangreichste, wel¬
ches je von einer Stadtgemeinde für gute Landsleute eingerichtet wurde*).



') Das Straßburger Schützenfest von 1S76, das größte des 16. Jahrhunderts, darf wohl
mit dem Fest von Frankfurt verglichen werden. Zwar war die Zahl der Schützen sehr viel
geringer, sie belief sich, Armbrust, und Büchsenschützen zusammen gerechnet, noch nicht aus
2000 Mann, welche etwa 7V Orte vertraten. Aber in einer Zeit, in welcher das Reisen jchwie-
rig. gefährlich und theuer war und der gemüthliche Verband ver einzelnen Landschaften wett
geringer, haben solche Zahlen ganz andere Bedeutung. Auch dauerte damals das Fejtgcwuyi
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[0249] Tie Schützen zu Frankfurt und die Abgeordneten zu Berlin. Das größte Volksfest, welches die Deutschen seit dreihundert Jahren ge¬ feiert haben, ist vorüber. Auch die lauten Stimmen der Tagespresse sind verrauscht, und die stille abschließende Erwägung gewinnt Raum in der Seele der Theilnehmer. Wieder haben sich die liebenswürdigen Eigenschaften deut¬ scher Art glänzend bethätigt: ein fröhliches Hängen in der Stunde und dabei doch ein unaufhörliches Streben, dem Genuß des Augenblicks geistigen Inhalt und tiefere Bedeutung zu geben, eine großartige Gastfreundschaft, neidloses Anerkennen frem¬ der Vorzüge, ein warmes Herz und ein billiger Sinn, nicht zuletzt Ordnung, Zucht, ehrbare Haltung. Aber auch neuer Gewinn, den das letzte politische Jahrzehnt dem Deutschen gebracht hat, war dort jede Stunde mit Freude zu erkennen, das frische Selbstgefühl des Städters, entschlossene Dispositionen, ein verständiges und festes Sclbstregiment. Und was dem Fest wohl das beste Behagen verlieh, das war die Verbindung einer jugendlichen Bürgerkraft, welche freudig die Flügel regt, mit dem alten Wohlstand und der diplomatischen Um¬ sicht einer klugen, vielerfahrener Stadtgemeinde. Uns Deutschen ist sehr die Freude zu gönnen, welche wir über das Gelingen eines solchen Volksfestes empfinden, denn wir haben dergleichen nur zu lange entbehren müssen. Schon das Aeußerliche des Festes, die riesigen Dimensionen, der ungeheure Aufzug, die zahlreichen und schönen Preise, der ungestörte fröhliche Verlauf darf beim Rück¬ blick ein angenehmes Selbstgefühl verleihen. Denn das Fest ist, wenn man die zehntägige Dauer anschlägt, schon seinen Maßen nach das umfangreichste, wel¬ ches je von einer Stadtgemeinde für gute Landsleute eingerichtet wurde*). ') Das Straßburger Schützenfest von 1S76, das größte des 16. Jahrhunderts, darf wohl mit dem Fest von Frankfurt verglichen werden. Zwar war die Zahl der Schützen sehr viel geringer, sie belief sich, Armbrust, und Büchsenschützen zusammen gerechnet, noch nicht aus 2000 Mann, welche etwa 7V Orte vertraten. Aber in einer Zeit, in welcher das Reisen jchwie- rig. gefährlich und theuer war und der gemüthliche Verband ver einzelnen Landschaften wett geringer, haben solche Zahlen ganz andere Bedeutung. Auch dauerte damals das Fejtgcwuyi Grenzboten III. 1862. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/249>, abgerufen am 24.05.2024.