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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Und noch höher hebt sich das Herz, wenn man die Gegenwart mit nicht fer¬
ner Vergangenheit vergleicht. Wie bat sich seit dreißig Jahren das deutsche
Leben umgewandelt. Wer in den Jahren, in denen die ersten deutschen Eisen¬
bahnen gebaut worden, dem Senat und den Bürgern der freien Stadt Fran"-
furt vorgeschlagen hätte, ein Waffenfest für zehntausend heranziehende Jupcu
einzurichten, Bürgschaft für die gesammten Kosten zu übernehmen, die Straßen
der Stadt zum Empfange der Fremden mit Blumen zu schmücken, deutsche
Fahnen zum Fenster hinaus zu hängen, etwa tausend zuziehende Schweizer
brüderlich zu begrüßen. Toaste auf deutsche Einheit und ein Volksheer auszu¬
bringen,, ja sogar'Turnerknaben als Polizeimannschaft zu verwenden, der wäre
als ein Wahnsinniger, oder als ein Demagoge von der allerschlechtesten Textur
wahrscheinlich für einige Zeit dem Licht der Sonne entzogen worden. Und
siehe, jetzt flatterte das dreifarbige Banner über Bundespalais und Hauptwache,
die abenteuerlichsten Trinksprüche klangen ungehindert und gefahrlos -- und in
der Regel nicht übermäßig beachtet -- in die Lüste, Schweizer, Amerikaner und
Tiroler tranken deutschen Wein vergnügt aus derselben Flasche, und kein Ver¬
ständiger hatte bei alledem andere Empfindungen, als solche, welche sich in
einem Lächeln ausdrücken.

Daß aber das Fest so glänzend gelang, dafür gebührt der Stadt Frank¬
furt ein Dank aller Deutschen. Die alte Reichsstadt hat sich in ihrem Fesi-
tlcide. unter Blumen und Bannern, durch Lachen und Händeschütteln. durch
schöne Preise und preiswürdigen Festwein, durch die freudigen Grüße und das
Wehen von Taschentüchern seiner hübschen Frauen und Mädchen, vor allem
aber durch sein treuherziges, patriotisches Wesen den Deutschen recht von Her¬
zen lieb und werth gemacht, und diese Thatsache wird, so hoffen wir, die Ein¬
zelnen am besten für die Opfer und Anstrengungen entschädigen, die ihnen das
Fest auflegte.

Es ist wahr, wer aufzumerken Lust hatte, dem war die Möglichkeit gege¬
ben, eine ungewöhnliche Zahl von Toasten anzuhören; sie alle hinter einander
zu lesen, würde eine der umfangreichsten Aufgaben sein, welche die Vaterlands¬
liebe dem Zeitgenossen auferlegt. Und wer sich die unnütze Arbeit machen
wollte, dieselben nach ihrem innern Werthe politisch zu kritisiren, der würde sie
classificiren müssen, wie jenes mürrische Schenkmädchen einer bekannten Posse
ihren Grüneberger Wein, in schlechte, ordinäre und gute. Die schlechten und


weit länger, über vier Wochen. Und das Aufsehen, welches jenes Fest in einer Zeit, die
doch an große Freischicszen gewöhnt war, verursachte, scheint nicht geringer gewesen zu
sein. Die bekannte Fahrt der Schweizer mit dem Breitopf, die herzliche Aufnahme, welche
ihnen zu Theil wurde und die politische Bedeutung des Schießens als eines Vcrbrüderungs-
festes legen den Vergleich mit der Gegenwart sehr nahe.

Und noch höher hebt sich das Herz, wenn man die Gegenwart mit nicht fer¬
ner Vergangenheit vergleicht. Wie bat sich seit dreißig Jahren das deutsche
Leben umgewandelt. Wer in den Jahren, in denen die ersten deutschen Eisen¬
bahnen gebaut worden, dem Senat und den Bürgern der freien Stadt Fran"-
furt vorgeschlagen hätte, ein Waffenfest für zehntausend heranziehende Jupcu
einzurichten, Bürgschaft für die gesammten Kosten zu übernehmen, die Straßen
der Stadt zum Empfange der Fremden mit Blumen zu schmücken, deutsche
Fahnen zum Fenster hinaus zu hängen, etwa tausend zuziehende Schweizer
brüderlich zu begrüßen. Toaste auf deutsche Einheit und ein Volksheer auszu¬
bringen,, ja sogar'Turnerknaben als Polizeimannschaft zu verwenden, der wäre
als ein Wahnsinniger, oder als ein Demagoge von der allerschlechtesten Textur
wahrscheinlich für einige Zeit dem Licht der Sonne entzogen worden. Und
siehe, jetzt flatterte das dreifarbige Banner über Bundespalais und Hauptwache,
die abenteuerlichsten Trinksprüche klangen ungehindert und gefahrlos — und in
der Regel nicht übermäßig beachtet — in die Lüste, Schweizer, Amerikaner und
Tiroler tranken deutschen Wein vergnügt aus derselben Flasche, und kein Ver¬
ständiger hatte bei alledem andere Empfindungen, als solche, welche sich in
einem Lächeln ausdrücken.

Daß aber das Fest so glänzend gelang, dafür gebührt der Stadt Frank¬
furt ein Dank aller Deutschen. Die alte Reichsstadt hat sich in ihrem Fesi-
tlcide. unter Blumen und Bannern, durch Lachen und Händeschütteln. durch
schöne Preise und preiswürdigen Festwein, durch die freudigen Grüße und das
Wehen von Taschentüchern seiner hübschen Frauen und Mädchen, vor allem
aber durch sein treuherziges, patriotisches Wesen den Deutschen recht von Her¬
zen lieb und werth gemacht, und diese Thatsache wird, so hoffen wir, die Ein¬
zelnen am besten für die Opfer und Anstrengungen entschädigen, die ihnen das
Fest auflegte.

Es ist wahr, wer aufzumerken Lust hatte, dem war die Möglichkeit gege¬
ben, eine ungewöhnliche Zahl von Toasten anzuhören; sie alle hinter einander
zu lesen, würde eine der umfangreichsten Aufgaben sein, welche die Vaterlands¬
liebe dem Zeitgenossen auferlegt. Und wer sich die unnütze Arbeit machen
wollte, dieselben nach ihrem innern Werthe politisch zu kritisiren, der würde sie
classificiren müssen, wie jenes mürrische Schenkmädchen einer bekannten Posse
ihren Grüneberger Wein, in schlechte, ordinäre und gute. Die schlechten und


weit länger, über vier Wochen. Und das Aufsehen, welches jenes Fest in einer Zeit, die
doch an große Freischicszen gewöhnt war, verursachte, scheint nicht geringer gewesen zu
sein. Die bekannte Fahrt der Schweizer mit dem Breitopf, die herzliche Aufnahme, welche
ihnen zu Theil wurde und die politische Bedeutung des Schießens als eines Vcrbrüderungs-
festes legen den Vergleich mit der Gegenwart sehr nahe.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/250>, abgerufen am 16.06.2024.