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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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keinen Tag eher, und keinen später geschrieben hatte. Ich schrieb, sobald ich
konnte (im eigentlichen Sinne des Worts konnte) Hätte ich eher ge-
konnt, so hätte ich es eher gethan: hätte ich auch dann noch nicht gekonnt, so
hätte es auch dann bleiben müßen. Wer hat denn aber seitdem auf 3. bis
4. Briefe aus der Schweiz -- auf den, den ich sogleich nach meiner Ankunft
in Leipzig schrieb, nicht geantwortet? mir nicht einmal einen Empfangsschein
zugeschikt? Wüste ich nicht sicher, daß sie richtig abgegeben wären, so müste
ich fest glauben, sie seien untergeschlagen.

Denen es so sehr leid thut, daß ich nicht mehr in der Schweiz bin, will
ich den Gefallen auch thun. Ick reise Anfangs Aprilis wieder in die
Schweiz zurük, um nie wieder nach Sachsen zu kommen. -- Was
will man denn wohl mit diesem Bedauern? mit diesem Verheimlichen? Du
hättest mich Dir sehr verbindlich gemacht, wenn Du mir die Ursachen davon
geschrieben hättest. Nimmt man vielleicht die Maske, als ob es einem um
meine Wohlfahrt sei? O, wer kann denn über meine Wohlfahrt aus seinem
engen Gesichtspuncte so dreist urtheilen? Wer weiß denn die Gründe meines
Abgehens in der Schweiz? wer weiß denn das, was mich bewogen hat, wieder
nach Leipzig zu gehn? wer weiß denn, wie es mir in Leipzig geht? Man muß
Schach'inniger sein, als ich bis jezt gewust habe. -- Oder ist es ihnen nur da<
rum zu thun, mich recht weit von sich zu wißen? O! ich mag weit oder nahe
sein, so sind sie immer sehr sicher, daß ich mich ihnen nicht nahe. Laß sie
glauben, ich bin gar tod; das ist noch weiter als die Schweiz. -- Oder ist
ihnen nur das zuwider, daß sie nicht mit mir, nach ihrer Art, Staat machen
können? Mögen sie doch immer sagen, ich sei irgendwo ein Dorf Pfarrer.
Ich werde nicht kommen, und ihnen widersprechen. -- Beßer konnte man nicht
sagen, daß man sich meiner schäme. Aber, laß sie es immer sagen. Ich will
mich ihrer nicht schämen.

Daß man mein Glück wünscht, würde mich noch mehr freuen, wenn man
mir zugleich, -- mir, der ich schon längst mündig bin, der ich wohl etwas von
der Welt kennen sollte, der ich wenigstens eben so viel weiß, als sie -- erlau¬
ben wollte, es nach meiner Art zu suchen.

Dies in Antwort auf Deine Aufträge. Richte es so pünctlich aus, als
Du Dich derjenigen an mich erledigt zu haben scheinst. Jezt blos an Dich.

Ich habe in meinem lezten Briefe auf niemand weniger gezielt, als auf
Dich. Du bist jung und Dir war eine solche Nachläßigkeit im Briefschreiben eher
zu verzeihen. Daß ein Brief an mich entworfen gewesen ist, glaube ich. Aber warum
nicht fortgeschikt? Daß ich in Dreßdcn sei, war ein sechr albernes Gerücht, und es
war übereilt ihm zu glauben. Da ich mich nicht scheue, irgend jemand unter die
Augen zu gehen, so würde ich von Dreßden aus nicht ermangelt haben, meinen
Ausenthalt zu wißen zu thun. Eben so sicher war' daraus zu rechnen, daß,


keinen Tag eher, und keinen später geschrieben hatte. Ich schrieb, sobald ich
konnte (im eigentlichen Sinne des Worts konnte) Hätte ich eher ge-
konnt, so hätte ich es eher gethan: hätte ich auch dann noch nicht gekonnt, so
hätte es auch dann bleiben müßen. Wer hat denn aber seitdem auf 3. bis
4. Briefe aus der Schweiz — auf den, den ich sogleich nach meiner Ankunft
in Leipzig schrieb, nicht geantwortet? mir nicht einmal einen Empfangsschein
zugeschikt? Wüste ich nicht sicher, daß sie richtig abgegeben wären, so müste
ich fest glauben, sie seien untergeschlagen.

Denen es so sehr leid thut, daß ich nicht mehr in der Schweiz bin, will
ich den Gefallen auch thun. Ick reise Anfangs Aprilis wieder in die
Schweiz zurük, um nie wieder nach Sachsen zu kommen. — Was
will man denn wohl mit diesem Bedauern? mit diesem Verheimlichen? Du
hättest mich Dir sehr verbindlich gemacht, wenn Du mir die Ursachen davon
geschrieben hättest. Nimmt man vielleicht die Maske, als ob es einem um
meine Wohlfahrt sei? O, wer kann denn über meine Wohlfahrt aus seinem
engen Gesichtspuncte so dreist urtheilen? Wer weiß denn die Gründe meines
Abgehens in der Schweiz? wer weiß denn das, was mich bewogen hat, wieder
nach Leipzig zu gehn? wer weiß denn, wie es mir in Leipzig geht? Man muß
Schach'inniger sein, als ich bis jezt gewust habe. — Oder ist es ihnen nur da<
rum zu thun, mich recht weit von sich zu wißen? O! ich mag weit oder nahe
sein, so sind sie immer sehr sicher, daß ich mich ihnen nicht nahe. Laß sie
glauben, ich bin gar tod; das ist noch weiter als die Schweiz. — Oder ist
ihnen nur das zuwider, daß sie nicht mit mir, nach ihrer Art, Staat machen
können? Mögen sie doch immer sagen, ich sei irgendwo ein Dorf Pfarrer.
Ich werde nicht kommen, und ihnen widersprechen. — Beßer konnte man nicht
sagen, daß man sich meiner schäme. Aber, laß sie es immer sagen. Ich will
mich ihrer nicht schämen.

Daß man mein Glück wünscht, würde mich noch mehr freuen, wenn man
mir zugleich, — mir, der ich schon längst mündig bin, der ich wohl etwas von
der Welt kennen sollte, der ich wenigstens eben so viel weiß, als sie — erlau¬
ben wollte, es nach meiner Art zu suchen.

Dies in Antwort auf Deine Aufträge. Richte es so pünctlich aus, als
Du Dich derjenigen an mich erledigt zu haben scheinst. Jezt blos an Dich.

Ich habe in meinem lezten Briefe auf niemand weniger gezielt, als auf
Dich. Du bist jung und Dir war eine solche Nachläßigkeit im Briefschreiben eher
zu verzeihen. Daß ein Brief an mich entworfen gewesen ist, glaube ich. Aber warum
nicht fortgeschikt? Daß ich in Dreßdcn sei, war ein sechr albernes Gerücht, und es
war übereilt ihm zu glauben. Da ich mich nicht scheue, irgend jemand unter die
Augen zu gehen, so würde ich von Dreßden aus nicht ermangelt haben, meinen
Ausenthalt zu wißen zu thun. Eben so sicher war' daraus zu rechnen, daß,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/98>, abgerufen am 16.06.2024.