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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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wenn ich meinen Aufenthalt auf eine andere Art verändert hätte, ich es eben
so richtig würde gemeldet haben, als ich meine Ankunft in Leipzig meldete.
Sind also alles dies nicht leere Entschuldigungen, wie ich nicht glauben will,
so gründen sich doch alle diese Muthmaaßungcn auf eine sehr verkehrte Meinung
von meinem Character, und diese freut mich nicht. In Dreßden bin ich vorigen
August 2. Tage gewesen. Ich habe nicht geglaubt, Ursache zu haben, mich vor
irgend jemand zu verödeten.

Daß ich Dich, mein Bruder, noch liebe wie sonst, versichere ich Dich mit
eben der Offenheit, mit der ich Dir es frei heraussagen würde, wenn Du bei
mir verloren hättest. Ich denke der Tage, da ich in Dir die einzige gute Seele'
fand, die mich liebte, und mit der ich ein Wort reden konnte, wie ichs reden
mochte. Gott erhalte Dein Herz unverdorben! und dann erhalte mir Deine
Freundschaft auch in der Entfernung; ob es gleich nicht scheint, daß wir ein¬
ander in diesem Leben wiedersehen werden.

In Absicht des Briefwechsels werde ich es immer halten. Wie jezt. So
oft Du mir schreibst, erhältst Du den nächsten Posttag Antwort. schreibst Du
mir nicht, so hast Du freilich auch auf keine Zeile von mir zu rechnen. Worum
Du mich fragst, wer! e ich Dir stets, so viel es sicher, und gut ist, beantworten.
Worüber Du mich nicbt fragst, darüber sage ich nichts. So hast Du z. B.
jezt auf keine Nachritt über meine Lage, Pläne, Aussichten zu rechnen, weil
Du mich nicht darum gefragt hast. Verändert sich mein Aufenthalt, fo fehlte
ich Dir meine Adresse, wenn Du es verlangst. So wollte ich Dir z. B.
wohl rathen, wenn Dir, oder irgend jemand.in unserer Familie an fortdauern¬
der Verbindung mit mir gelegen ist, mir noch vor Ende des Merzes zu schrei¬
ben. Sonst gehe ich aus Sachsen, ohne daß irgend jemand von euch erfährt,
wo ich bin.

Mein guter Vater -- Du weist es, wie sehr ich ihn immer geliebt habe
-- dauert mich, daß ich ihm, deßen Leben so leidenvoll war, nicht einst den
Nest seiner Tage versüßen, und seinen vortreflichen Umgang genießen soll:
Du dauerst mich, daß ich nicht etwas beitragen sollte, Deinen Geist bilden zu
helfen und wo möglich. Deine Schiksale etwas zu verbeßern. Aber es ist
nicht zu ändern. Du bist jung; Dich seh' ich vielleicht noch hinieden wieder.
Meinen geliebten Vater höchst wahrscheinlich nur in beßern Welten, in denen
seine Thränen abtrotnen und sein Leiden enden wird. Die Augen gehn mir
über. Grüße diesen theuern Vater herzlich, und sage ihm. aber allein, wie
ich gegen ihn denke: aber er solle mir verzeihen, daß ich nicht anders handeln könne.

Ueber Deine Zunahme freue ich mich; ich sehe zum Theil aus Deinem
Briefe, daß sie nicht bloße leere Einbildung ist. Aber, erlaube einem ältern
Dich herzlich liebenden Bruder Dir zu sagen, daß wahre Weißheit immer be¬
scheiden ist; und daß jede List das Herz, verderbt. Ich habe mein ganzes


12*

wenn ich meinen Aufenthalt auf eine andere Art verändert hätte, ich es eben
so richtig würde gemeldet haben, als ich meine Ankunft in Leipzig meldete.
Sind also alles dies nicht leere Entschuldigungen, wie ich nicht glauben will,
so gründen sich doch alle diese Muthmaaßungcn auf eine sehr verkehrte Meinung
von meinem Character, und diese freut mich nicht. In Dreßden bin ich vorigen
August 2. Tage gewesen. Ich habe nicht geglaubt, Ursache zu haben, mich vor
irgend jemand zu verödeten.

Daß ich Dich, mein Bruder, noch liebe wie sonst, versichere ich Dich mit
eben der Offenheit, mit der ich Dir es frei heraussagen würde, wenn Du bei
mir verloren hättest. Ich denke der Tage, da ich in Dir die einzige gute Seele'
fand, die mich liebte, und mit der ich ein Wort reden konnte, wie ichs reden
mochte. Gott erhalte Dein Herz unverdorben! und dann erhalte mir Deine
Freundschaft auch in der Entfernung; ob es gleich nicht scheint, daß wir ein¬
ander in diesem Leben wiedersehen werden.

In Absicht des Briefwechsels werde ich es immer halten. Wie jezt. So
oft Du mir schreibst, erhältst Du den nächsten Posttag Antwort. schreibst Du
mir nicht, so hast Du freilich auch auf keine Zeile von mir zu rechnen. Worum
Du mich fragst, wer! e ich Dir stets, so viel es sicher, und gut ist, beantworten.
Worüber Du mich nicbt fragst, darüber sage ich nichts. So hast Du z. B.
jezt auf keine Nachritt über meine Lage, Pläne, Aussichten zu rechnen, weil
Du mich nicht darum gefragt hast. Verändert sich mein Aufenthalt, fo fehlte
ich Dir meine Adresse, wenn Du es verlangst. So wollte ich Dir z. B.
wohl rathen, wenn Dir, oder irgend jemand.in unserer Familie an fortdauern¬
der Verbindung mit mir gelegen ist, mir noch vor Ende des Merzes zu schrei¬
ben. Sonst gehe ich aus Sachsen, ohne daß irgend jemand von euch erfährt,
wo ich bin.

Mein guter Vater — Du weist es, wie sehr ich ihn immer geliebt habe
— dauert mich, daß ich ihm, deßen Leben so leidenvoll war, nicht einst den
Nest seiner Tage versüßen, und seinen vortreflichen Umgang genießen soll:
Du dauerst mich, daß ich nicht etwas beitragen sollte, Deinen Geist bilden zu
helfen und wo möglich. Deine Schiksale etwas zu verbeßern. Aber es ist
nicht zu ändern. Du bist jung; Dich seh' ich vielleicht noch hinieden wieder.
Meinen geliebten Vater höchst wahrscheinlich nur in beßern Welten, in denen
seine Thränen abtrotnen und sein Leiden enden wird. Die Augen gehn mir
über. Grüße diesen theuern Vater herzlich, und sage ihm. aber allein, wie
ich gegen ihn denke: aber er solle mir verzeihen, daß ich nicht anders handeln könne.

Ueber Deine Zunahme freue ich mich; ich sehe zum Theil aus Deinem
Briefe, daß sie nicht bloße leere Einbildung ist. Aber, erlaube einem ältern
Dich herzlich liebenden Bruder Dir zu sagen, daß wahre Weißheit immer be¬
scheiden ist; und daß jede List das Herz, verderbt. Ich habe mein ganzes


12*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/99>, abgerufen am 24.05.2024.