Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Behörden unserer Zeit wenig Gnade finden würde, mit wie lobenswertem Eifer
er auch für die Anrechte der Kirche auf jene Sendung guten Schweidnitzer Bieres
in die Schranken getreten ist.

Es geht in der That ein heiterer epikuräischer Zug durch sein ganzes
Wesen. Wie trefflich er auch seinem lieben Hieronymus Moral predigt, und wie
sehr es derselbe auch nöthig gehabt zu haben scheint, man sieht, der Mentor
wäre doch der Letzte, der es nicht sehr erklärlich fände, wenn der Jüngling die
Rosen der Jugend nicht ungepflückt ließe. Dafür spricht gleich die barocke
Elegie, mit der die g,rs clietanäi beginnt, ein seine'scher Gedanke in der etwas
massiven Fassung des vierzehnten Jahrhunderts. Es ist das Fest des heiligen
Burghard. In fröhlichen Spielen und Tänzen vereinen sich junge Mädchen und
Studenten (Levi^res), ein niedlicher Krauskopf im grünen Kleide springt lustig um¬
her gleich einem Böcklem im Weinberge. Da kommt der Alte einhergefahren.
Wehmuth erfaßt ihn über den Gegensatz zwischen dem Einst und Jetzt, der
vergangenen Blüthe der Jugend, wo er sich auch in den lieblichen Reigen mischen
durste, und der gegenwärtigen Hinfälligkeit seines Alters. I'uimus Iross--
fernab von den Fröhlichen muß er jetzt die Einsamkeit suchen, übel beschäftigt
durch eine unerquickliche Nothwendigkeit des Körpers.

Ueberhaupt klagt er an verschiedenen Stellen über die Beschwerden des
Alters, selbst das Schachspiel freut ihn nicht mehr; nur zuweilen, wenn er
nach einem guten Mahle mit seinen Genossen am Kamine beisammen sitzt, kommt
wieder etwas von der alten Ausgelassenheit über ihn, und er erzählt seine
Schwänke, um dies dann am andern Tage zu bereuen. Aber alle guten Vor¬
sätze schützen nicht vor Rückfällen, das Quantum von Reue und Zerknirschung,
zu dem er es bringt, macht auf ihn, wie er klagt, nicht mehr Wirkung als
ein kleiner Bissen auf einen großen Hund, der denselben mit einem Male hin¬
unterschluckt (S. 307). Trefflich ist dann auch auf S. 300 die Warnung
vor dem Umgang mit Weibern. Mit wirklich psychologischer Feinheit wird
hier dargethan, wie unmerklich leicht bei den besten Vorsätzen das schwache
Menschenherz sich von der harmlosesten Platonik in holder Selbsttäuschung auf
weniger unverfängliche Gebiete verlocken läßt, das "experto ereäg.s" guckt
aus jeder Zeile hervor.

Seinen Schülern erscheint unser Nicolaus um seiner Beredsamkeit willen
einem Apostel vergleichbar. Bescheiden das Lob ablehnend tadelt er sie deswegen,
und wenn sie immer neue Dictamina von ihm verlangen, sagt er ihnen wohl,
er finde nicht immer geeigneten Stoff, und wenn er nicht vorsichtig in der Aus¬
wahl sei, könne es nur bei der besten Absicht so gehen wie dem Esel in der
Fabel, der, als er el" Hündchen auf dem Schoße des Herrn spielen sah, dies
auch versuchen wollte und für die gute Meinung nur Schläge erntete (S. 308).

Es wären noch manche Stücke, die hier als besonders charakteristisch hervor-


14"

Behörden unserer Zeit wenig Gnade finden würde, mit wie lobenswertem Eifer
er auch für die Anrechte der Kirche auf jene Sendung guten Schweidnitzer Bieres
in die Schranken getreten ist.

Es geht in der That ein heiterer epikuräischer Zug durch sein ganzes
Wesen. Wie trefflich er auch seinem lieben Hieronymus Moral predigt, und wie
sehr es derselbe auch nöthig gehabt zu haben scheint, man sieht, der Mentor
wäre doch der Letzte, der es nicht sehr erklärlich fände, wenn der Jüngling die
Rosen der Jugend nicht ungepflückt ließe. Dafür spricht gleich die barocke
Elegie, mit der die g,rs clietanäi beginnt, ein seine'scher Gedanke in der etwas
massiven Fassung des vierzehnten Jahrhunderts. Es ist das Fest des heiligen
Burghard. In fröhlichen Spielen und Tänzen vereinen sich junge Mädchen und
Studenten (Levi^res), ein niedlicher Krauskopf im grünen Kleide springt lustig um¬
her gleich einem Böcklem im Weinberge. Da kommt der Alte einhergefahren.
Wehmuth erfaßt ihn über den Gegensatz zwischen dem Einst und Jetzt, der
vergangenen Blüthe der Jugend, wo er sich auch in den lieblichen Reigen mischen
durste, und der gegenwärtigen Hinfälligkeit seines Alters. I'uimus Iross—
fernab von den Fröhlichen muß er jetzt die Einsamkeit suchen, übel beschäftigt
durch eine unerquickliche Nothwendigkeit des Körpers.

Ueberhaupt klagt er an verschiedenen Stellen über die Beschwerden des
Alters, selbst das Schachspiel freut ihn nicht mehr; nur zuweilen, wenn er
nach einem guten Mahle mit seinen Genossen am Kamine beisammen sitzt, kommt
wieder etwas von der alten Ausgelassenheit über ihn, und er erzählt seine
Schwänke, um dies dann am andern Tage zu bereuen. Aber alle guten Vor¬
sätze schützen nicht vor Rückfällen, das Quantum von Reue und Zerknirschung,
zu dem er es bringt, macht auf ihn, wie er klagt, nicht mehr Wirkung als
ein kleiner Bissen auf einen großen Hund, der denselben mit einem Male hin¬
unterschluckt (S. 307). Trefflich ist dann auch auf S. 300 die Warnung
vor dem Umgang mit Weibern. Mit wirklich psychologischer Feinheit wird
hier dargethan, wie unmerklich leicht bei den besten Vorsätzen das schwache
Menschenherz sich von der harmlosesten Platonik in holder Selbsttäuschung auf
weniger unverfängliche Gebiete verlocken läßt, das „experto ereäg.s" guckt
aus jeder Zeile hervor.

Seinen Schülern erscheint unser Nicolaus um seiner Beredsamkeit willen
einem Apostel vergleichbar. Bescheiden das Lob ablehnend tadelt er sie deswegen,
und wenn sie immer neue Dictamina von ihm verlangen, sagt er ihnen wohl,
er finde nicht immer geeigneten Stoff, und wenn er nicht vorsichtig in der Aus¬
wahl sei, könne es nur bei der besten Absicht so gehen wie dem Esel in der
Fabel, der, als er el» Hündchen auf dem Schoße des Herrn spielen sah, dies
auch versuchen wollte und für die gute Meinung nur Schläge erntete (S. 308).

Es wären noch manche Stücke, die hier als besonders charakteristisch hervor-


14"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114971"/>
          <p xml:id="ID_372" prev="#ID_371"> Behörden unserer Zeit wenig Gnade finden würde, mit wie lobenswertem Eifer<lb/>
er auch für die Anrechte der Kirche auf jene Sendung guten Schweidnitzer Bieres<lb/>
in die Schranken getreten ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_373"> Es geht in der That ein heiterer epikuräischer Zug durch sein ganzes<lb/>
Wesen. Wie trefflich er auch seinem lieben Hieronymus Moral predigt, und wie<lb/>
sehr es derselbe auch nöthig gehabt zu haben scheint, man sieht, der Mentor<lb/>
wäre doch der Letzte, der es nicht sehr erklärlich fände, wenn der Jüngling die<lb/>
Rosen der Jugend nicht ungepflückt ließe. Dafür spricht gleich die barocke<lb/>
Elegie, mit der die g,rs clietanäi beginnt, ein seine'scher Gedanke in der etwas<lb/>
massiven Fassung des vierzehnten Jahrhunderts. Es ist das Fest des heiligen<lb/>
Burghard. In fröhlichen Spielen und Tänzen vereinen sich junge Mädchen und<lb/>
Studenten (Levi^res), ein niedlicher Krauskopf im grünen Kleide springt lustig um¬<lb/>
her gleich einem Böcklem im Weinberge. Da kommt der Alte einhergefahren.<lb/>
Wehmuth erfaßt ihn über den Gegensatz zwischen dem Einst und Jetzt, der<lb/>
vergangenen Blüthe der Jugend, wo er sich auch in den lieblichen Reigen mischen<lb/>
durste, und der gegenwärtigen Hinfälligkeit seines Alters. I'uimus Iross&#x2014;<lb/>
fernab von den Fröhlichen muß er jetzt die Einsamkeit suchen, übel beschäftigt<lb/>
durch eine unerquickliche Nothwendigkeit des Körpers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_374"> Ueberhaupt klagt er an verschiedenen Stellen über die Beschwerden des<lb/>
Alters, selbst das Schachspiel freut ihn nicht mehr; nur zuweilen, wenn er<lb/>
nach einem guten Mahle mit seinen Genossen am Kamine beisammen sitzt, kommt<lb/>
wieder etwas von der alten Ausgelassenheit über ihn, und er erzählt seine<lb/>
Schwänke, um dies dann am andern Tage zu bereuen. Aber alle guten Vor¬<lb/>
sätze schützen nicht vor Rückfällen, das Quantum von Reue und Zerknirschung,<lb/>
zu dem er es bringt, macht auf ihn, wie er klagt, nicht mehr Wirkung als<lb/>
ein kleiner Bissen auf einen großen Hund, der denselben mit einem Male hin¬<lb/>
unterschluckt (S. 307). Trefflich ist dann auch auf S. 300 die Warnung<lb/>
vor dem Umgang mit Weibern. Mit wirklich psychologischer Feinheit wird<lb/>
hier dargethan, wie unmerklich leicht bei den besten Vorsätzen das schwache<lb/>
Menschenherz sich von der harmlosesten Platonik in holder Selbsttäuschung auf<lb/>
weniger unverfängliche Gebiete verlocken läßt, das &#x201E;experto ereäg.s" guckt<lb/>
aus jeder Zeile hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_375"> Seinen Schülern erscheint unser Nicolaus um seiner Beredsamkeit willen<lb/>
einem Apostel vergleichbar. Bescheiden das Lob ablehnend tadelt er sie deswegen,<lb/>
und wenn sie immer neue Dictamina von ihm verlangen, sagt er ihnen wohl,<lb/>
er finde nicht immer geeigneten Stoff, und wenn er nicht vorsichtig in der Aus¬<lb/>
wahl sei, könne es nur bei der besten Absicht so gehen wie dem Esel in der<lb/>
Fabel, der, als er el» Hündchen auf dem Schoße des Herrn spielen sah, dies<lb/>
auch versuchen wollte und für die gute Meinung nur Schläge erntete (S. 308).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_376" next="#ID_377"> Es wären noch manche Stücke, die hier als besonders charakteristisch hervor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 14"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Behörden unserer Zeit wenig Gnade finden würde, mit wie lobenswertem Eifer er auch für die Anrechte der Kirche auf jene Sendung guten Schweidnitzer Bieres in die Schranken getreten ist. Es geht in der That ein heiterer epikuräischer Zug durch sein ganzes Wesen. Wie trefflich er auch seinem lieben Hieronymus Moral predigt, und wie sehr es derselbe auch nöthig gehabt zu haben scheint, man sieht, der Mentor wäre doch der Letzte, der es nicht sehr erklärlich fände, wenn der Jüngling die Rosen der Jugend nicht ungepflückt ließe. Dafür spricht gleich die barocke Elegie, mit der die g,rs clietanäi beginnt, ein seine'scher Gedanke in der etwas massiven Fassung des vierzehnten Jahrhunderts. Es ist das Fest des heiligen Burghard. In fröhlichen Spielen und Tänzen vereinen sich junge Mädchen und Studenten (Levi^res), ein niedlicher Krauskopf im grünen Kleide springt lustig um¬ her gleich einem Böcklem im Weinberge. Da kommt der Alte einhergefahren. Wehmuth erfaßt ihn über den Gegensatz zwischen dem Einst und Jetzt, der vergangenen Blüthe der Jugend, wo er sich auch in den lieblichen Reigen mischen durste, und der gegenwärtigen Hinfälligkeit seines Alters. I'uimus Iross— fernab von den Fröhlichen muß er jetzt die Einsamkeit suchen, übel beschäftigt durch eine unerquickliche Nothwendigkeit des Körpers. Ueberhaupt klagt er an verschiedenen Stellen über die Beschwerden des Alters, selbst das Schachspiel freut ihn nicht mehr; nur zuweilen, wenn er nach einem guten Mahle mit seinen Genossen am Kamine beisammen sitzt, kommt wieder etwas von der alten Ausgelassenheit über ihn, und er erzählt seine Schwänke, um dies dann am andern Tage zu bereuen. Aber alle guten Vor¬ sätze schützen nicht vor Rückfällen, das Quantum von Reue und Zerknirschung, zu dem er es bringt, macht auf ihn, wie er klagt, nicht mehr Wirkung als ein kleiner Bissen auf einen großen Hund, der denselben mit einem Male hin¬ unterschluckt (S. 307). Trefflich ist dann auch auf S. 300 die Warnung vor dem Umgang mit Weibern. Mit wirklich psychologischer Feinheit wird hier dargethan, wie unmerklich leicht bei den besten Vorsätzen das schwache Menschenherz sich von der harmlosesten Platonik in holder Selbsttäuschung auf weniger unverfängliche Gebiete verlocken läßt, das „experto ereäg.s" guckt aus jeder Zeile hervor. Seinen Schülern erscheint unser Nicolaus um seiner Beredsamkeit willen einem Apostel vergleichbar. Bescheiden das Lob ablehnend tadelt er sie deswegen, und wenn sie immer neue Dictamina von ihm verlangen, sagt er ihnen wohl, er finde nicht immer geeigneten Stoff, und wenn er nicht vorsichtig in der Aus¬ wahl sei, könne es nur bei der besten Absicht so gehen wie dem Esel in der Fabel, der, als er el» Hündchen auf dem Schoße des Herrn spielen sah, dies auch versuchen wollte und für die gute Meinung nur Schläge erntete (S. 308). Es wären noch manche Stücke, die hier als besonders charakteristisch hervor- 14"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/115>, abgerufen am 29.05.2024.