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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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legen gegen Frankreich theilen oder nicht, Lord Palmerston hatte durch seine
diplomatischen Maßregeln den Knoten zu fest geschürzt, als daß ihm aus dem
Schooße des Cabinets so leicht ein Widerstand erwachsen konnte. Er hatte
sein System zu einer vollendeten Thatsache gemacht. Gewiß der Wahrheit
gemäß konnte er versichern, daß hinter Frankreichs Rücken keine weiteren bin¬
denden Verabredungen getroffen waren. Es bedürfte derselben eben nicht, da
alle weiteren Maßregeln sich mit Nothwendigkeit aus der von ihm geschaffenen
Situation entwickeln mußten.

Wir können nicht behaupten, daß Guizot die aus dieser Verwickelung für
Frankreich mit Nothwendigkeit entspringenden Gefahren verkannte. In einem
Schreiben an Thiers vom 12. März behauptet er, was uns freilich nur sehr
bedingt als richtig erscheint, d"as englische Cabinet wünsche mit Frankreich im
EinVerständniß zu handeln und sei zu Concessionen geneigt, um dies EinVer¬
ständniß herzustellen. Wenn indessen, fährt er fort, wir zu nichts Positivem
kommen, wenn wir immer nur zu vertagen und alle Schwierigkeiten in Unmög¬
lichkeiten zu verwandeln scheinen, so würde, glaube ich, ein Augenblick kommen,
wo das großbritannische Cabinet in Folge eines plötzlichen Entschlusses vor¬
ziehen würde, lieber ohne uns und mit andern zu handeln, als nichts zu thun.
Aber eine große Selbsttäuschung war es, wenn er bei der Mittheilung, daß
Rußland die Zulassung des türkischen Bevollmächtigten bei den Verhandlungen
zugegeben hatte, und daß derselbe nächstens erscheinen würde, noch, wenn auch
nicht mit völliger Sicherheit, die Alternative glaubte aufstellen zu können: ent¬
weder Frankreich zieht sich ganz von der Angelegenheit zurück, oder es setzt sich
in EinVerständniß mit England, ind^in es mit ihm in der konstantinopolitani-
schen Frage gemeinschaftlich handelt und in der syrischen Frage Concessionen
von ihm für Mehemed Ali erhält. Als ob England in diesem Augenblicke
irgend eines Dienstes von Seiten Frankreichs bedurft hätte, den es mit Con¬
cessionen-hätte erkaufen müssen. Das war ja eben der Meisterstreich der
Politik Lord Palmerstons, daß er die konstantinopolitanische Frage ganz besei¬
tigt hatte, um nicht nöthig zu haben in der syrischen Frankreich Con¬
cessionen zu machen. In der That war die Alternative vielmehr so zu stellen:
Entweder Frankreich zieht sich von der Angelegenheit zurück, oder es gibt seine
Anschauung in der syrischen Frage völlig auf. -- Guizot hatte allerdings von
diesem Wandel der Dinge eine Ahnung, suchte sich ihrer aber zu erwehren und
zwar, wie aus vielen Stellen hervorzuleuchten scheint, gegen seine innere
Ueberzeugung; der König dagegen war völlig Sanguiniker. "Seien Sie über¬
zeugt, mein lieber General," sagte er zum Generat Baudrand, "daß die Engländer
über einen derartigen Gegenstand niemals eine Convention mit den andern
Mächten abschließen werden, ohne daß Frankreich eine der verhandelnden Mächte
ist. Ich wünschte, daß unser Gesandter davon ebenso überzeugt wäre, wie ich


legen gegen Frankreich theilen oder nicht, Lord Palmerston hatte durch seine
diplomatischen Maßregeln den Knoten zu fest geschürzt, als daß ihm aus dem
Schooße des Cabinets so leicht ein Widerstand erwachsen konnte. Er hatte
sein System zu einer vollendeten Thatsache gemacht. Gewiß der Wahrheit
gemäß konnte er versichern, daß hinter Frankreichs Rücken keine weiteren bin¬
denden Verabredungen getroffen waren. Es bedürfte derselben eben nicht, da
alle weiteren Maßregeln sich mit Nothwendigkeit aus der von ihm geschaffenen
Situation entwickeln mußten.

Wir können nicht behaupten, daß Guizot die aus dieser Verwickelung für
Frankreich mit Nothwendigkeit entspringenden Gefahren verkannte. In einem
Schreiben an Thiers vom 12. März behauptet er, was uns freilich nur sehr
bedingt als richtig erscheint, d"as englische Cabinet wünsche mit Frankreich im
EinVerständniß zu handeln und sei zu Concessionen geneigt, um dies EinVer¬
ständniß herzustellen. Wenn indessen, fährt er fort, wir zu nichts Positivem
kommen, wenn wir immer nur zu vertagen und alle Schwierigkeiten in Unmög¬
lichkeiten zu verwandeln scheinen, so würde, glaube ich, ein Augenblick kommen,
wo das großbritannische Cabinet in Folge eines plötzlichen Entschlusses vor¬
ziehen würde, lieber ohne uns und mit andern zu handeln, als nichts zu thun.
Aber eine große Selbsttäuschung war es, wenn er bei der Mittheilung, daß
Rußland die Zulassung des türkischen Bevollmächtigten bei den Verhandlungen
zugegeben hatte, und daß derselbe nächstens erscheinen würde, noch, wenn auch
nicht mit völliger Sicherheit, die Alternative glaubte aufstellen zu können: ent¬
weder Frankreich zieht sich ganz von der Angelegenheit zurück, oder es setzt sich
in EinVerständniß mit England, ind^in es mit ihm in der konstantinopolitani-
schen Frage gemeinschaftlich handelt und in der syrischen Frage Concessionen
von ihm für Mehemed Ali erhält. Als ob England in diesem Augenblicke
irgend eines Dienstes von Seiten Frankreichs bedurft hätte, den es mit Con¬
cessionen-hätte erkaufen müssen. Das war ja eben der Meisterstreich der
Politik Lord Palmerstons, daß er die konstantinopolitanische Frage ganz besei¬
tigt hatte, um nicht nöthig zu haben in der syrischen Frankreich Con¬
cessionen zu machen. In der That war die Alternative vielmehr so zu stellen:
Entweder Frankreich zieht sich von der Angelegenheit zurück, oder es gibt seine
Anschauung in der syrischen Frage völlig auf. — Guizot hatte allerdings von
diesem Wandel der Dinge eine Ahnung, suchte sich ihrer aber zu erwehren und
zwar, wie aus vielen Stellen hervorzuleuchten scheint, gegen seine innere
Ueberzeugung; der König dagegen war völlig Sanguiniker. „Seien Sie über¬
zeugt, mein lieber General," sagte er zum Generat Baudrand, „daß die Engländer
über einen derartigen Gegenstand niemals eine Convention mit den andern
Mächten abschließen werden, ohne daß Frankreich eine der verhandelnden Mächte
ist. Ich wünschte, daß unser Gesandter davon ebenso überzeugt wäre, wie ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/12>, abgerufen am 14.05.2024.