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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Garnison stand. Plötzlich so jung aus ^strengster Zucht iTi unbeschränkteste
Freiheit versetzt, ohne Erfahrung, ohne ältere Freunde und Berather, umgeben
von selbst noch unsicheren Altersgenossen, die meist nur Sinn für Lebensgenuß
aller Art zeigten, hatte er nicht geringe Mühe, sich ohne Schaden in die neue
Lage zu finden. Die furchtbare Katastrophe von 1806 traf auch ihn und rettete
ihn aus den Gefahren, die in diesem Verhältniß ihn bedrohten. Er wurde in
der Schlacht bei Auerstädt schwer verwundet und gerieth dann in Erfurt in
französische Gefangenschaft, aus der er nach den Bestimmungen der Kapitulation
auf Ehrenwort entlassen wurde.

So aus der Grenze zwischen Kind und Jüngling von der ungeheuren
Begebenheit des Sturzes der Monarchie Friedrichs des Großen mitergriffcn
und in andre Bahnen gedrängt, nach dem tilsiter Frieden als nunmehriger
Wcstphä tisch er genöthigt, den preußischen Dienst zu verlassen, überdies im März
1807 seines Baders durch den Tod beraubt, war der junge Militär in Betreff
der Richtung seines künftigen Thuns und Lassens nur über Eins völlig klar
mit sich: auf keine Weise wollte er dem fremden Herrscher dienen. Der nächste
Gedanke war, etwas Tüchtiges zu lernen, sich für bessere Zeiten zu größeren
Leistungen vorzubereiten, woran sich die sehnliche Hoffnung knüpfte, bald an
der Befreiung des unterjochten preußischen Baterlandes -- ein deutsches sing
damals erst an aufzudämmern-- mitarbeiten zu können; Gedanken, Hoffnungen
und Wünsche, wie sie in dieser Zeit in der ganzen bessern Jugend lebten und
für Viele die Quelle edelster Anstrengung wurden. Die brennende Schmach,
Fremden unterworfen zu sein, trat selbst an sonst Leichtsinnige heran mit der
Forderung, Gemeines von sich fern zu halten und sein Bestes zu leisten.
Anstrengung aller Kräfte schien hohe Pflicht, jede Entbehrung Genuß.

Willisen empfand in dieser Stimmung bald, wie viel ihm in Folge seiner
einseitig militärischen Erziehung mangelte. Noch ehe er von seiner Wunde völlig
geheilt war, bezog er das Pädagogium in Halle und lernte mit Eiser Latein
und Griechisch. Der noch hinkende junge Offizier, der zum Gymnasiasten
geworden, machte unter Lehrern und Schülern großes Aufsehn, "obwohl der
siebzehnjährige sonst noch recht wohl auf die Schulbank paßte."

"Diese Wendung meines Geschicks," heißt es in der Selbstbiographie, "ist
entscheidend für mich gewesen. Meine ganze wissenschaftliche und politische
Richtung hat sich damals begründet. Alles was ich lernte und durch Nach¬
denken gewann, bezog sich aus den einen Gedanken, der meine Seele erfüllte,
die Befreiung des Vaterlandes. Die Erweiterung meines militärischen Gesichts-'"
t'reifes stammt aus dieser Zeit, ich las den Cäsar, den Polybius, den Tacitus
fast nur mit militärischen Gedanken und nahm daneben Kenntniß von Bülow
und Jomini."

Nach dieser Vorbereitung bezog Willisen 1808 die Universität Halle, wo


Garnison stand. Plötzlich so jung aus ^strengster Zucht iTi unbeschränkteste
Freiheit versetzt, ohne Erfahrung, ohne ältere Freunde und Berather, umgeben
von selbst noch unsicheren Altersgenossen, die meist nur Sinn für Lebensgenuß
aller Art zeigten, hatte er nicht geringe Mühe, sich ohne Schaden in die neue
Lage zu finden. Die furchtbare Katastrophe von 1806 traf auch ihn und rettete
ihn aus den Gefahren, die in diesem Verhältniß ihn bedrohten. Er wurde in
der Schlacht bei Auerstädt schwer verwundet und gerieth dann in Erfurt in
französische Gefangenschaft, aus der er nach den Bestimmungen der Kapitulation
auf Ehrenwort entlassen wurde.

So aus der Grenze zwischen Kind und Jüngling von der ungeheuren
Begebenheit des Sturzes der Monarchie Friedrichs des Großen mitergriffcn
und in andre Bahnen gedrängt, nach dem tilsiter Frieden als nunmehriger
Wcstphä tisch er genöthigt, den preußischen Dienst zu verlassen, überdies im März
1807 seines Baders durch den Tod beraubt, war der junge Militär in Betreff
der Richtung seines künftigen Thuns und Lassens nur über Eins völlig klar
mit sich: auf keine Weise wollte er dem fremden Herrscher dienen. Der nächste
Gedanke war, etwas Tüchtiges zu lernen, sich für bessere Zeiten zu größeren
Leistungen vorzubereiten, woran sich die sehnliche Hoffnung knüpfte, bald an
der Befreiung des unterjochten preußischen Baterlandes — ein deutsches sing
damals erst an aufzudämmern— mitarbeiten zu können; Gedanken, Hoffnungen
und Wünsche, wie sie in dieser Zeit in der ganzen bessern Jugend lebten und
für Viele die Quelle edelster Anstrengung wurden. Die brennende Schmach,
Fremden unterworfen zu sein, trat selbst an sonst Leichtsinnige heran mit der
Forderung, Gemeines von sich fern zu halten und sein Bestes zu leisten.
Anstrengung aller Kräfte schien hohe Pflicht, jede Entbehrung Genuß.

Willisen empfand in dieser Stimmung bald, wie viel ihm in Folge seiner
einseitig militärischen Erziehung mangelte. Noch ehe er von seiner Wunde völlig
geheilt war, bezog er das Pädagogium in Halle und lernte mit Eiser Latein
und Griechisch. Der noch hinkende junge Offizier, der zum Gymnasiasten
geworden, machte unter Lehrern und Schülern großes Aufsehn, „obwohl der
siebzehnjährige sonst noch recht wohl auf die Schulbank paßte."

„Diese Wendung meines Geschicks," heißt es in der Selbstbiographie, „ist
entscheidend für mich gewesen. Meine ganze wissenschaftliche und politische
Richtung hat sich damals begründet. Alles was ich lernte und durch Nach¬
denken gewann, bezog sich aus den einen Gedanken, der meine Seele erfüllte,
die Befreiung des Vaterlandes. Die Erweiterung meines militärischen Gesichts-'"
t'reifes stammt aus dieser Zeit, ich las den Cäsar, den Polybius, den Tacitus
fast nur mit militärischen Gedanken und nahm daneben Kenntniß von Bülow
und Jomini."

Nach dieser Vorbereitung bezog Willisen 1808 die Universität Halle, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/135>, abgerufen am 29.05.2024.