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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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liebe Kenntniß der Verhältnisse und Ereignisse darin zu suchen, als^es in Wahr¬
heit enthält.

Die wörtlich aus dem Tagebuch entnommenen, mit Anführungszeichen ein¬
geschlossenen Sähe und Capitel sind meist Berichte und Schilderungen, bei
denen es der größer" Lebendigkeit halber geboten schien, den Verfasser über
sich und und seine Umgebung selbst reden zu lassen, oder politische Ansichten,
wie sie d. Bl. nicht vertreten können, und die wir darum nur als wesentliche
Züge zu dein geschichtlichen Bilde des Generals anführen. Letztere beschränken
sich auf einige mit Anmerkungen der Redaction begleitete Aeußerungen über
die Zustände und Ereignisse in Posen; zu ersteren gehört der größte Theil des
Abschnitts über die Schlacht bei Jdstedt.

Wilhelm von Willisen. am 30. April 1790 zu Staßsurt im Herzogthum
Magdeburg geboren, war der zweite Sohn einer zahlreichen Familie von vier¬
zehn Kindern. Der Adel seines Geschlechts ist nicht von sehr altem Datum.
Ein Vorfahr, der noch Willius hieß, war zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts
kaiserlicher Reichshofrath, als welcher er 1702 von Leopold dem Ersten in den
Neichsadelsstand erhoben und von Willisen genannt wurde. Der Großvater
des Generals war 1757 Kammerpräsident in Halberstadt und starb, von den
Franzosen als Geisel mitgenommen, in der Gefangenschaft zu Nürnberg an
den Pocken, als sein zweiter Sohn, der Vater unseres Willisen. erst acht Jahre
zählte. Letzterer war spater Offizier im damaligen Leibkürassier-Regiment,
nahm, als er 1788 heirathete, seinen Abschied, taufte mit wenigen Mitteln das
größte der elf adeligen Güter, welche die weitgebreitete Feldflur von Staßfurt
bildeten, wurde dadurch Mitbesitzer der alten Salzwerke der Stadt und erwarb
sich bald darauf die Würde eines Oberbürgermeisters deo damals hochadeligen
Magistrats derselben. Er war nach dem Tagebuche ein ernster Mann, von
scharfem Verstand und seinen Sitten, der vortrefflich französisch sprach und
schrieb und sich auch im Deutschen correct auszudrücken verstand. Ein leiden¬
schaftlicher Bewunderer Friedrichs des Großen, dem er fast zwanzig Jahre
gedient, hatte er auch der Geistesbildung desselben nachgestrebt. Die Mutter
von Willisens war aus dem zahlreichen Geschlecht derer von Trotha aus Krvsigk
am Petersberg, und das Tagebuch bezeichnet sie als daS Muster einer Haus¬
frau, thätig, aufopfernd, von edelstem, weichsten Herzen.

Nachdem Willisen den ersten Unterricht im elterlichen Hause genossen, in
dem es streng und den beschränkten Verhältnissen gemäß herging, kam er mit
zehn Jahren in das Kadettencorps zu Berlin, wo er und sein älterer Bruder
Freistellen erhalten hatten, während ein jüngerer Sohn der Familie, der später
bei Ligny fiel, als Pensionär eintrat. Bald wurde Willisen Unteroffizier, und
mit fünfzehn Jahren war er Fähndrich und damit Glied des Offizierscorps
im Regiment Althcrzog von Braunschweig, welches damals in Halberstadt in


liebe Kenntniß der Verhältnisse und Ereignisse darin zu suchen, als^es in Wahr¬
heit enthält.

Die wörtlich aus dem Tagebuch entnommenen, mit Anführungszeichen ein¬
geschlossenen Sähe und Capitel sind meist Berichte und Schilderungen, bei
denen es der größer» Lebendigkeit halber geboten schien, den Verfasser über
sich und und seine Umgebung selbst reden zu lassen, oder politische Ansichten,
wie sie d. Bl. nicht vertreten können, und die wir darum nur als wesentliche
Züge zu dein geschichtlichen Bilde des Generals anführen. Letztere beschränken
sich auf einige mit Anmerkungen der Redaction begleitete Aeußerungen über
die Zustände und Ereignisse in Posen; zu ersteren gehört der größte Theil des
Abschnitts über die Schlacht bei Jdstedt.

Wilhelm von Willisen. am 30. April 1790 zu Staßsurt im Herzogthum
Magdeburg geboren, war der zweite Sohn einer zahlreichen Familie von vier¬
zehn Kindern. Der Adel seines Geschlechts ist nicht von sehr altem Datum.
Ein Vorfahr, der noch Willius hieß, war zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts
kaiserlicher Reichshofrath, als welcher er 1702 von Leopold dem Ersten in den
Neichsadelsstand erhoben und von Willisen genannt wurde. Der Großvater
des Generals war 1757 Kammerpräsident in Halberstadt und starb, von den
Franzosen als Geisel mitgenommen, in der Gefangenschaft zu Nürnberg an
den Pocken, als sein zweiter Sohn, der Vater unseres Willisen. erst acht Jahre
zählte. Letzterer war spater Offizier im damaligen Leibkürassier-Regiment,
nahm, als er 1788 heirathete, seinen Abschied, taufte mit wenigen Mitteln das
größte der elf adeligen Güter, welche die weitgebreitete Feldflur von Staßfurt
bildeten, wurde dadurch Mitbesitzer der alten Salzwerke der Stadt und erwarb
sich bald darauf die Würde eines Oberbürgermeisters deo damals hochadeligen
Magistrats derselben. Er war nach dem Tagebuche ein ernster Mann, von
scharfem Verstand und seinen Sitten, der vortrefflich französisch sprach und
schrieb und sich auch im Deutschen correct auszudrücken verstand. Ein leiden¬
schaftlicher Bewunderer Friedrichs des Großen, dem er fast zwanzig Jahre
gedient, hatte er auch der Geistesbildung desselben nachgestrebt. Die Mutter
von Willisens war aus dem zahlreichen Geschlecht derer von Trotha aus Krvsigk
am Petersberg, und das Tagebuch bezeichnet sie als daS Muster einer Haus¬
frau, thätig, aufopfernd, von edelstem, weichsten Herzen.

Nachdem Willisen den ersten Unterricht im elterlichen Hause genossen, in
dem es streng und den beschränkten Verhältnissen gemäß herging, kam er mit
zehn Jahren in das Kadettencorps zu Berlin, wo er und sein älterer Bruder
Freistellen erhalten hatten, während ein jüngerer Sohn der Familie, der später
bei Ligny fiel, als Pensionär eintrat. Bald wurde Willisen Unteroffizier, und
mit fünfzehn Jahren war er Fähndrich und damit Glied des Offizierscorps
im Regiment Althcrzog von Braunschweig, welches damals in Halberstadt in


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[0134] liebe Kenntniß der Verhältnisse und Ereignisse darin zu suchen, als^es in Wahr¬ heit enthält. Die wörtlich aus dem Tagebuch entnommenen, mit Anführungszeichen ein¬ geschlossenen Sähe und Capitel sind meist Berichte und Schilderungen, bei denen es der größer» Lebendigkeit halber geboten schien, den Verfasser über sich und und seine Umgebung selbst reden zu lassen, oder politische Ansichten, wie sie d. Bl. nicht vertreten können, und die wir darum nur als wesentliche Züge zu dein geschichtlichen Bilde des Generals anführen. Letztere beschränken sich auf einige mit Anmerkungen der Redaction begleitete Aeußerungen über die Zustände und Ereignisse in Posen; zu ersteren gehört der größte Theil des Abschnitts über die Schlacht bei Jdstedt. Wilhelm von Willisen. am 30. April 1790 zu Staßsurt im Herzogthum Magdeburg geboren, war der zweite Sohn einer zahlreichen Familie von vier¬ zehn Kindern. Der Adel seines Geschlechts ist nicht von sehr altem Datum. Ein Vorfahr, der noch Willius hieß, war zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts kaiserlicher Reichshofrath, als welcher er 1702 von Leopold dem Ersten in den Neichsadelsstand erhoben und von Willisen genannt wurde. Der Großvater des Generals war 1757 Kammerpräsident in Halberstadt und starb, von den Franzosen als Geisel mitgenommen, in der Gefangenschaft zu Nürnberg an den Pocken, als sein zweiter Sohn, der Vater unseres Willisen. erst acht Jahre zählte. Letzterer war spater Offizier im damaligen Leibkürassier-Regiment, nahm, als er 1788 heirathete, seinen Abschied, taufte mit wenigen Mitteln das größte der elf adeligen Güter, welche die weitgebreitete Feldflur von Staßfurt bildeten, wurde dadurch Mitbesitzer der alten Salzwerke der Stadt und erwarb sich bald darauf die Würde eines Oberbürgermeisters deo damals hochadeligen Magistrats derselben. Er war nach dem Tagebuche ein ernster Mann, von scharfem Verstand und seinen Sitten, der vortrefflich französisch sprach und schrieb und sich auch im Deutschen correct auszudrücken verstand. Ein leiden¬ schaftlicher Bewunderer Friedrichs des Großen, dem er fast zwanzig Jahre gedient, hatte er auch der Geistesbildung desselben nachgestrebt. Die Mutter von Willisens war aus dem zahlreichen Geschlecht derer von Trotha aus Krvsigk am Petersberg, und das Tagebuch bezeichnet sie als daS Muster einer Haus¬ frau, thätig, aufopfernd, von edelstem, weichsten Herzen. Nachdem Willisen den ersten Unterricht im elterlichen Hause genossen, in dem es streng und den beschränkten Verhältnissen gemäß herging, kam er mit zehn Jahren in das Kadettencorps zu Berlin, wo er und sein älterer Bruder Freistellen erhalten hatten, während ein jüngerer Sohn der Familie, der später bei Ligny fiel, als Pensionär eintrat. Bald wurde Willisen Unteroffizier, und mit fünfzehn Jahren war er Fähndrich und damit Glied des Offizierscorps im Regiment Althcrzog von Braunschweig, welches damals in Halberstadt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/134>, abgerufen am 29.05.2024.