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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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feiges Leben. Aengstlich flohen die Vögel vor dem ungewohnten Lärm,
das harmlose Racoon, das sich auf der Krone des Palmetto sonnte, zwin¬
kerte neugierig mit seinen schlauen Augen durch die Blätter aus die weißen
Zelte hernieder, die sich plötzlich aus dem Boden erhoben. Gewehre knallten,
lautes Lanken erscholl, und überall machte sich die ungebundene Lust geltend,
welche die plötzliche Versetzung in eine neue frische Welt unter so beneidens-
werthen Verhältnissen in den meisten Menschen hervorruft, die nicht allen Ein¬
drücken abgestorben sind.

An andern Plätzen der Insel gab es ruhigere, aber nicht weniger
reizende Scenen. In stillen, von Lorbeer und immergrünen Eichen be¬
schatteten Buchten erlabten sich die Mädchen im kühlen Bade und gaben
verlangend ihre schönen Glieder dem kosenden Elemente hin. An den schönen
Abenden sammelten sich die Jungen zum Tanze im Freien und hier und
da huschte ein liebendes Paar durch die natürlichen Laubgänge; kurz die ganze
Romantik des südlichen Ritterthums entwickelte sich für eine Zeit lang zu ihrer
herrlichsten Blüthe. -- Jetzt war's freilich anders auf Bay-Point. Wo früher
dem Vergnügen lustige Zelte errichtet worden waren, da drohte jetzt ein starkes
Fort mit seinen Feuerschlünden; die ganze westliche Spitze der Insel war rasirt und
statt des Schattens jetzt nur feiner Staub zu finden, der die Augen blendete.
Aus dem gegenüberliegenden Hilton Head sah es noch trostloser aus. Wo
sich noch vor Kurzem undurchdringlicher Wald erhoben hatte, war nur hier und
da ein Baum zu sehen. Auf einer großen Sandwüste sah man lange niedrige
Schuppen, die zu Ställen, Provisivnsdepots und andern Zwecken dienten, hier
und da wirbelte der Staub unter dem Pferde einer Ordonnanz, welche quer
über das Feld sprengte, in die Höhe; und aus der Ferne erscholl die kriegerische
Musik eines Regiments, das vom Manoeuvre oder von der Parade zurückkehrte.
Dicht am Ufer erhob sich Fort Walker, welches gegen 40 Geschütze montirte
und durchaus keinen einladenden Anblick gewährte.

Wenn wir unter solchen Verhältnissen Parallelen zwischen Gegenwart und
Vergangenheit ziehen, so offenbart sich immer wieder der alte Dualismus in unsrer
Natur, welcher wohl in Schillers "Götter Griechenlands" seinen höchsten Ausdruck
gefunden hat. "Da ihr noch die schöne Welt regiertet, holde Wesen aus dem Fabel¬
land !" hätte ich auch ausrufen mögen, als ich mein Auge über die öde Stätte schwei¬
fen ließ, welche noch vor Kurzem so reich an Schönem und Genußreichem war ; meine
innerste Natur fühlte sich unangenehm berührt durch den rohen Wechsel, der so
überraschend plötzlich hier eingetreten war; aber dies unangenehme Gefühl wird
uns überall überkommen, wo eine Revolution bestehende Verhältnisse verkehrt.
Es ist der Kampf unsres ästhetischen Bedürfnisses mit unserm Rechtsbewußtsein;
denn die Romantik ist nie auf Seiten der Revolution, welche in der Umwäl¬
zung mit dem faulen Kern auch die glänzende Schaale zerstört, und wir müssen


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feiges Leben. Aengstlich flohen die Vögel vor dem ungewohnten Lärm,
das harmlose Racoon, das sich auf der Krone des Palmetto sonnte, zwin¬
kerte neugierig mit seinen schlauen Augen durch die Blätter aus die weißen
Zelte hernieder, die sich plötzlich aus dem Boden erhoben. Gewehre knallten,
lautes Lanken erscholl, und überall machte sich die ungebundene Lust geltend,
welche die plötzliche Versetzung in eine neue frische Welt unter so beneidens-
werthen Verhältnissen in den meisten Menschen hervorruft, die nicht allen Ein¬
drücken abgestorben sind.

An andern Plätzen der Insel gab es ruhigere, aber nicht weniger
reizende Scenen. In stillen, von Lorbeer und immergrünen Eichen be¬
schatteten Buchten erlabten sich die Mädchen im kühlen Bade und gaben
verlangend ihre schönen Glieder dem kosenden Elemente hin. An den schönen
Abenden sammelten sich die Jungen zum Tanze im Freien und hier und
da huschte ein liebendes Paar durch die natürlichen Laubgänge; kurz die ganze
Romantik des südlichen Ritterthums entwickelte sich für eine Zeit lang zu ihrer
herrlichsten Blüthe. — Jetzt war's freilich anders auf Bay-Point. Wo früher
dem Vergnügen lustige Zelte errichtet worden waren, da drohte jetzt ein starkes
Fort mit seinen Feuerschlünden; die ganze westliche Spitze der Insel war rasirt und
statt des Schattens jetzt nur feiner Staub zu finden, der die Augen blendete.
Aus dem gegenüberliegenden Hilton Head sah es noch trostloser aus. Wo
sich noch vor Kurzem undurchdringlicher Wald erhoben hatte, war nur hier und
da ein Baum zu sehen. Auf einer großen Sandwüste sah man lange niedrige
Schuppen, die zu Ställen, Provisivnsdepots und andern Zwecken dienten, hier
und da wirbelte der Staub unter dem Pferde einer Ordonnanz, welche quer
über das Feld sprengte, in die Höhe; und aus der Ferne erscholl die kriegerische
Musik eines Regiments, das vom Manoeuvre oder von der Parade zurückkehrte.
Dicht am Ufer erhob sich Fort Walker, welches gegen 40 Geschütze montirte
und durchaus keinen einladenden Anblick gewährte.

Wenn wir unter solchen Verhältnissen Parallelen zwischen Gegenwart und
Vergangenheit ziehen, so offenbart sich immer wieder der alte Dualismus in unsrer
Natur, welcher wohl in Schillers „Götter Griechenlands" seinen höchsten Ausdruck
gefunden hat. „Da ihr noch die schöne Welt regiertet, holde Wesen aus dem Fabel¬
land !" hätte ich auch ausrufen mögen, als ich mein Auge über die öde Stätte schwei¬
fen ließ, welche noch vor Kurzem so reich an Schönem und Genußreichem war ; meine
innerste Natur fühlte sich unangenehm berührt durch den rohen Wechsel, der so
überraschend plötzlich hier eingetreten war; aber dies unangenehme Gefühl wird
uns überall überkommen, wo eine Revolution bestehende Verhältnisse verkehrt.
Es ist der Kampf unsres ästhetischen Bedürfnisses mit unserm Rechtsbewußtsein;
denn die Romantik ist nie auf Seiten der Revolution, welche in der Umwäl¬
zung mit dem faulen Kern auch die glänzende Schaale zerstört, und wir müssen


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[0155] feiges Leben. Aengstlich flohen die Vögel vor dem ungewohnten Lärm, das harmlose Racoon, das sich auf der Krone des Palmetto sonnte, zwin¬ kerte neugierig mit seinen schlauen Augen durch die Blätter aus die weißen Zelte hernieder, die sich plötzlich aus dem Boden erhoben. Gewehre knallten, lautes Lanken erscholl, und überall machte sich die ungebundene Lust geltend, welche die plötzliche Versetzung in eine neue frische Welt unter so beneidens- werthen Verhältnissen in den meisten Menschen hervorruft, die nicht allen Ein¬ drücken abgestorben sind. An andern Plätzen der Insel gab es ruhigere, aber nicht weniger reizende Scenen. In stillen, von Lorbeer und immergrünen Eichen be¬ schatteten Buchten erlabten sich die Mädchen im kühlen Bade und gaben verlangend ihre schönen Glieder dem kosenden Elemente hin. An den schönen Abenden sammelten sich die Jungen zum Tanze im Freien und hier und da huschte ein liebendes Paar durch die natürlichen Laubgänge; kurz die ganze Romantik des südlichen Ritterthums entwickelte sich für eine Zeit lang zu ihrer herrlichsten Blüthe. — Jetzt war's freilich anders auf Bay-Point. Wo früher dem Vergnügen lustige Zelte errichtet worden waren, da drohte jetzt ein starkes Fort mit seinen Feuerschlünden; die ganze westliche Spitze der Insel war rasirt und statt des Schattens jetzt nur feiner Staub zu finden, der die Augen blendete. Aus dem gegenüberliegenden Hilton Head sah es noch trostloser aus. Wo sich noch vor Kurzem undurchdringlicher Wald erhoben hatte, war nur hier und da ein Baum zu sehen. Auf einer großen Sandwüste sah man lange niedrige Schuppen, die zu Ställen, Provisivnsdepots und andern Zwecken dienten, hier und da wirbelte der Staub unter dem Pferde einer Ordonnanz, welche quer über das Feld sprengte, in die Höhe; und aus der Ferne erscholl die kriegerische Musik eines Regiments, das vom Manoeuvre oder von der Parade zurückkehrte. Dicht am Ufer erhob sich Fort Walker, welches gegen 40 Geschütze montirte und durchaus keinen einladenden Anblick gewährte. Wenn wir unter solchen Verhältnissen Parallelen zwischen Gegenwart und Vergangenheit ziehen, so offenbart sich immer wieder der alte Dualismus in unsrer Natur, welcher wohl in Schillers „Götter Griechenlands" seinen höchsten Ausdruck gefunden hat. „Da ihr noch die schöne Welt regiertet, holde Wesen aus dem Fabel¬ land !" hätte ich auch ausrufen mögen, als ich mein Auge über die öde Stätte schwei¬ fen ließ, welche noch vor Kurzem so reich an Schönem und Genußreichem war ; meine innerste Natur fühlte sich unangenehm berührt durch den rohen Wechsel, der so überraschend plötzlich hier eingetreten war; aber dies unangenehme Gefühl wird uns überall überkommen, wo eine Revolution bestehende Verhältnisse verkehrt. Es ist der Kampf unsres ästhetischen Bedürfnisses mit unserm Rechtsbewußtsein; denn die Romantik ist nie auf Seiten der Revolution, welche in der Umwäl¬ zung mit dem faulen Kern auch die glänzende Schaale zerstört, und wir müssen 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/155>, abgerufen am 28.05.2024.